Tauchsieder
Quelle: imago images

#Mietdebattenwahnsinn

Das Gespenst des Kapitalismus geht um in Deutschland – und alle Mächte haben sich zur heiligen Hetzjagd auf Immobilienhaie verbündet. Enteignet wird dabei vor allem der gesunde Menschenverstand.

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6,71 Euro kalt. Darum also geht es. 6,71 Euro kalt – das ist der Betrag, um dessentwillen sie in Deutschland neuerdings gegen Wohnungsbesitzer zu Felde ziehen, das Grundgesetz in Stellung bringen, die Marktwirtschaft außer Kraft setzen wollen, sie mit der Klassenkampf-Formel „Keine Rendite mit der Miete“ um die Häuser ziehen. Es ist kaum noch auszuhalten. 6,71 Euro. Nie war Symbopolitik billiger.

6,71 Euro kalt haben Mieter des Unternehmens Deutsche Wohnen 2018 in Berlin im Schnitt gezahlt – 66 Cent mehr als Mieter der sechs landeseigenen Unternehmen in Berlin, viele Euro weniger als Durchschnittsmieter in Köln, Frankfurt, Hamburg – und viele Euro weniger als hunderttausende Mieter oder Eigentümer in allen Städten der Republik durchschnittlich an Miete zahlen oder Rate abstottern.

Und trotzdem geht es ausgerechnet hier und jetzt wieder um: das Gespenst des Kapitalismus in Deutschland - und alle Mächte des neuen Deutschland haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, die Linken und Grünen, Gregor Gysi und Robert Habeck, die bezahlbares Wohnen zur „sozialen Frage unserer Zeit“ erklären (so übrigens auch Innenminister Horst Seehofer) – und mit dem Hammer der Verfassung philosophieren: Wohnen ist ein „Grundrecht“, Eigentum verpflichtet – und wer nicht hören will, der wird enteignet!

Wer so redet, will keine Debatte. Sondern der bewirtschaftet mit rhetorischen Kurzschlüssen und willkürlichen Setzungen die Wählerstimmung im Land – und versündigt sich mit einem linken Sündenbock-Populismus am gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der schaltet alle Einwände und Argumente ab und verunmöglicht eine Debatte, die die eigenen Lebenslügen und Widersprüchlichkeiten in den Blick nimmt. Mit Selbstblindheit sind sie übrigens alle geschlagen – ausdrücklich auch die Oberscheinheiligen aus dem liberalen, so genannten „bürgerlichen Lager“, an deren Rotsockenreflexe („Mottenkiste des DDR-Sozialismus…“) und Dauerwerbeschändung von Ludwig Erhard, des „Vaters der Sozialen Marktwirtschaft“, man sich beinahe schon gewöhnt hat.

Noch einmal in Kürze: Ein rot-roter Berliner Senat hat vor 15 Jahren für 405 Millionen Euro 65.000 Wohnungen (und gut 1,5 Milliarden Schulden) an Investoren verkauft, die von denselben rotroten Politikern damals gern als „Heuschrecken“ bezeichnet wurden. Heute müsste der rot-rot-grüne Senat die Deutsche Wohnen mit acht bis 30 Milliarden Euro entschädigen.

Das ist nicht nur der Anfang, sondern auch schon das Ende der Gespensterdebatte. Die Stadt hat keine Milliarden. (Sie hat sie am Flughafen Schönefeld in den Märkischen Sand gesetzt.) Und wenn sie sie hätte, hätte die Stadt damit für alle anderen Mieter noch kein Problem gelöst. Hätte noch keine neue Wohnung gebaut. Und hätte auch noch immer nicht das Tempelhofer Feld bebaut, nur zum Beispiel - weil die Berliner eben nicht nur billiger wohnen wollen als alle anderen Hauptstädter in Europa, sondern immer auch zugleich ihr Grundrecht auf Skaten, Grillen, Chillen verteidigen müssen.

Wollte man wirklich diskutieren, was schief gelaufen und zu tun ist, müsste man noch einmal ernsthaft zurückblicken – und sich nicht mit den Hinweis begnügen: „Ja, der Verkauf der Wohnungen damals, das war ein Fehler - aber es war halt eine andere Zeit.“ Nein, der Verkauf war kein Fehler. Sondern ein kommunalpolitisches Totalversagen aus trivialliberaler Gesinnung. Denn Berlin verabschiedete sich damals nicht nur als Wohnungsbesitzer, sondern vor allem als städtepolitischer Akteur mit sozialräumlichen Interessen von seinen Bürgern: „Die Privatisierung des Wohnungsbaus hat in Verbindung mit der Einführung des Niedriglohnsektors… dazu geführt, dass immer mehr Menschen die Marktmieten in vielen Quartieren nicht bezahlen können“, so Helmut Häussermann in einem Interview mit der WirtschaftsWoche vor genau neun Jahren: „Faktisch läuft das auf eine soziale Ausgrenzung hinaus.“

Der Stadtsoziologe wusste, was jede Stadt, jenseits ihrer Konjunkturen, jederzeit braucht: „kluges Quartiersmanagement“. Er plädierte „für die Wiedereinführung des sozialen Wohnungsbaus, damit sich die Wohnmöglichkeiten für einkommensschwache Haushalte nicht… räumlich konzentrieren“. Und natürlich war Häussermann so klug, dabei „nicht an das Modell der Großsiedlungen aus den Sechzigerjahren“ zu denken, sondern „an kleine Einheiten in allen Stadtteilen“.

Das wäre ein Schlüssel zum Weg aus der sich abzeichnenden Wohnungskrise. Zu den anderen Schlüsseln gehören etwa: verschärfte Vorschriften für das private Vermieten von Ferienwohnungen in Großstädten (die Renditen der Deutsche Wohnen sind im Vergleich zu den Airbnb-Renditen mancher Mieter ein Witz). Kein Verkauf von Wohnungen an anonyme Gesellschaften, deren Besitzverhältnisse sich nicht ermitteln lassen. Kein Verkauf von Bauland ohne Zusicherung, es binnen einer bestimmten Frist zu bebauen - so wie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer es für seine Stadt anstrebt und im Wege der Enteignungsdrohung auch durchsetzen will. Die Einführung von Quoten für den sozialen Wohnungsbau in allen, auch „teuren“ Stadtteilen. Die Bevorzugung von Investoren, die sich zu Mietpreisbindungen verpflichten. Die zügige Ausweisung von Bauland.

Vor allem aber müssten Liberale und Linke gleichermaßen an einem Strang ziehen und das schleunige Ende der Niedrigzinspolitik besorgen. Solange sich immer neues Kreditgeld als Liquidität an den Kapital- und Immobilienmärkten austoben kann und vor allem den Superreichen dieser Welt einen sich selbst befeuernden Dauerboom garantiert, ist ein Ende der Kapitalkonzentration und des Preisauftriebs im Immobiliensektor nicht in Sicht.

Die Deutsche Wohnen und die 6,71 Euro kalt, liebe Freunde und Feinde des Kapitalismus, sind nicht das Problem. Das Problem ist eine (politisch gesteuerte) Notenbankwirtschaft, die ihr entscheidendes Steuerungsinstrument - den Zins, den Preis des Geldes – manipuliert und seit zehn Jahren eine gigantische Umverteilungspolitik von unten nach oben forciert. Weil Kapital, steuerlich bessergestellt und geldpolitisch subventioniert, höher rentiert als Arbeit (Thomas Piketty), geraten nicht nur Banken und mittelständische Unternehmen, sondern eben auch die Wohnungsmärkte in Großstädten aus dem Gleichgewicht.

Ray Dalio, Gründer der Hedgefondsgesellschaft Bridgewater, weiß besser als die scheinliberalen Erhard-Apologeten und empörungstumben Eigentumsverächter, worum es wirklich geht: „Der Kapitalismus produziert heute sich selbst erneuernde Spiralen, die nach oben führen für die Besitzenden und nach unten für die Nichtbesitzenden.“ Hat man das einmal verstanden, könnte man anfangen zu diskutieren. Etwa darüber, dass es gewiss kein Grundrecht auf „billige Mieten“ gibt, wohl aber viele städtepolitische Steuerungsmöglichkeiten. Dass Mieter in Großstädten nicht per se mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung verdienen als Eigentümer, die aufs Land ziehen und sich ihr Eigenheimglück vom Mund absparen. Und dass möglichst breit verteiltes (Wohn-)Eigentum einen Wert an sich darstellt: Weil es seinen Eigentümern erlaubt, nicht in der Macht eines anderen zu stehen.

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