Tauchsieder
Im Ringen um den Parteivorsitz der CDU hat Jens Spahn schlechte Karten. Die Gegenkandidaten Norbert Röttgen und Friedrich Merz (unten, v.l.) haben an der CDU-Basis bessere Chancen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Nichts spricht für Jens Spahn spricht alles

Friedrich Merz und Norbert Röttgen haben die größten Chancen auf den CDU-Vorsitz. Aber ohne Jens Spahn, den windigen und wendigen Karrieristen, wird es mit dem selbstverordneten Aufbruch der Partei nichts.

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„Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden“, hat Jens Spahn vor drei Jahren mal dem Journalisten Michael Bröcker erzählt. Nun, damit ist es fürs Erste nichts geworden. Die CDU wird im Wege eines Mitgliederentscheids  ihren neuen Vorsitzenden bestimmen. Und laut einer Umfrage von infratest dimap finden nur 14 Prozent der CDU-Anhänger, Spahn sei „am ehesten geeignet“, die Partei zu führen. 36 Prozent präferieren Friedrich Merz. 25 Prozent möchten Norbert Röttgen die Führung des Konrad-Adenauer-Hauses anvertrauen.

Platz drei. Bronze. Schon wieder. Für Jens Spahn, der Politik immer auch als Arena seiner unbändigen Siegerlust, als Sphäre seines agonal gestimmten Gemüts, als Universum seiner persönlichen Ambitionen begreift, muss sich das wie ein Rückschritt anfühlen. Wie eine Niederlage. Wie sein Versagen. Er hat in den vergangenen Wochen mehrfach verdeutlicht, „die neue CDU“ von der Spitze weg gestalten, sie „für eine neue Generation und eine neue Zeit“ aufstellen zu wollen. Aber die CDU will ihn nicht. Wieder nicht. Noch immer nicht. Vor drei Jahren, als er gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz um den CDU-Vorsitz antrat, erhielt er im ersten Wahlgang 15,7 Prozent der Stimmen. Platz drei. Bronze. Im vergangenen Jahr reihte er sich hinter Armin Laschet ein, der sich als CDU-Chef durchsetzte. Platz zwei. Silber.

Und nun? Von Gold so weit entfernt wie lange nicht.

Dabei hat Jens Spahn doch so „vieles, was man für die Spitzenämter in einer Demokratie braucht: Leidenschaft, Gestaltungswille, Überzeugung“. Sagt Sebastian Kurz, der vielbewunderte, politische Freund. Kurz ist noch jünger als Spahn. Noch schneidiger. Noch erfolgreicher. Und vor allem: schon mal Kanzler gewesen, ehe Chatprotokolle ihn endgültig als talentierten Mr. Rüpel-Rücksichtslos demaskierten. Aber Kurz stand bereits mit 31 Jahren im Zenit seiner politischen Karriere. Spahn tritt mit 41 immer noch auf der Stelle. Das ist der Unterschied.

Spahn ist seit 2002 im Bundestag, sechs mal direkt gewählt, Staatssekretär Finanzen, Minister Gesundheit – jetzt wieder Abgeordneter. Spahn ist seit 1997 in der CDU, seit 2014 im Präsidium, seit 2021 stellvertretender Parteichef – und dabei bleibt es vorerst wohl.

Alles an Spahn ist Kampf, Angriff und Kalkül

Nichts ist ihm in seiner Karriere bisher geschenkt, geschweige denn angetragen worden. Spahn hat sich hat seine erste Kandidatur für den Bundestag in einer Kampfabstimmung (gegen Benno Hörst) erkämpft. Spahn hat sich 2014 in einer Kampfabstimmung (gegen Hermann Gröhe) ins CDU-Präsidium geputscht. Spahn hat auf einem Parteitag 2016 mit einem Kampfantrag gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Kanzlerin Angela Merkel vorgeführt. Spahn hat sich 2018 bei seiner Partei für die „Ungeduld“ entschuldigt, mit der er nach der Macht greift.

Kurz gesagt: Alles an Spahn ist Kampf, Angriff und Kalkül, aber auch galanter Auftritt, dressierter Aufstiegswille und opernballhafte Erfolgslust: Die Archive der Illustrierten sind voller Bilder, auf denen er sich als tadellos gekleideter Parkett-Politiker markiert. Aber Deutschland ist nun mal nicht Österreich, die CDU nicht die ÖVP. Das Land wartet nicht auf einen jungenhaften Erlöser, der das Schwarze türkis maskiert und das Konservative grellbunt schminkt. Und die Partei bescheidet ihrem größten Parvenü offenbar erneut: „Lass gut sein, lieber Jens.“

Spahn hat sich seine Unbeliebtheit hart erarbeitet: mit vielen Fehlern, noch mehr Hochmut – und mit seinem maßlosen Selbstinszenierungseifer. Nehmen wir nur mal die vergangenen zehn Tage. Erst zwang Spahn, der Gesundheitsmagier, das Coronavirus an den Verhandlungstisch, um mit ihm „das Ende der pandemischen Lage“ auszuhandeln – eine Farce. Dann baute sich Spahn, der Kronprinz der Partei, jubelnd und erstgratulierend neben dem neuen Chef der nordrhein-westfälischen CDU auf – gerade so, als sei Hendrik Wüst allein von seinen Gnaden aufgestiegen.

Dann gab Spahn, der Erlöser, dem „Focus“ ein aufschlussreiches Interview, in dem er sozusagen als Allerletzter in der christdemokratischen Schulhof-Meute noch einmal gegen Armin Laschet nachtrat, nur um als Heilsbringer der Zukunft hinkünftig umso heller strahlen zu können: Vor 18 Monaten habe er, Spahn, gesagt, die CDU sei „in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Ich muss das heute revidieren, es kam noch schlimmer: Nicht damals, jetzt sind wir in der schwersten Krise.“



Schwerste Krise. Armin Laschet hat das als „wirklichen Unsinn“ abgetan und Spahn empfohlen, er möge bitteschön „die Tassen im Schrank lassen“. Recht hat er. Die Union ist programmatisch entkernt. Aber nicht moralisch insolvent wie vor gut zwanzig Jahren, auf dem Höhepunkt der Parteispendenaffäre.

Die politische Freundschaft zwischen Laschet und Spahn ist zerrüttet. Sie sind als „Team“ in den (parteiinternen) Wettbewerb gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen gezogen, im Wahlkampf dann aber kaum mehr als „Tandem“ in Erscheinung getreten – weil Spahn mit „Loyalität“ vor allem taktische Erwägungen verbindet. Spahn hat sich in den  entscheidenden Wochen in aller Stille von seinem glücklosen Chef distanziert, ihm nur zu gern die Bühne überlassen, auf der er ausgebuht wurde von den billigen Rängen in den asozialen Medien. Und Spahn hat sich nach dem Vorhang des Wahlabends flugs selbst unter die Zuschauer und Rezensenten gemischt, um Laschet gnadenlos auszupfeifen: „Dass…. unser Spitzenkandidat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen. Allein das hat viele Prozente gekostet.“

Messerscharf analysiert, fürwahr, darauf war noch keiner gekommen.

Ohne Posten ein freier Radikaler?

Spahn ficht das nicht an, im Gegenteil: Er toppt seine Ruchlosigkeit, dreht erneut sein Fähnchen in den Wind, wechselt blitzschnell „das Team“ und gibt vier Wochen nach der Bundestagswahl seine „Lust“ zu erkennen, „die neue CDU mitzugestalten“ – ganz so, als habe er mit der alten CDU nichts zu tun.

Dennoch müssen die nächsten Wochen für Spahn nicht erfolglos verlaufen. Er wird sich der „neuen CDU“ nicht mehr aufdrängen müssen; statt dessen wird die Partei erstmals der Auffassung sein, nicht an ihm vorbeizukommen, wenn es um die Besetzung der ersten Team-Reihe geht. Parteichef? Eher nicht. Fraktionschef? Möglich, nicht wahrscheinlich. Aber was dann? Zurück auf Los? Sich erneut profilieren mit scharfkantigen Schlagzeilen? Oder sich mal ein, zwei Jahre aus dem Spiel nehmen – und sich darüber freuen, überhaupt noch im Kader zu stehen?


Gesundheitsminister Jens Spahn hat das Virus am Anfang der Pandemie marginalisiert. Er hat dementiert, dass Masken wirksam seien. Er hat zu spät Schutzausrüstung, Masken, Tests und Impfstoffe gekauft, dann bei der Auftragsvergabe nicht so genau hingesehen, schlechte Ware eingekauft, dabei auch persönliche Kontakte genutzt, von denen die Kontakte profitierten, hat über Bedarf und viel zu teuer bestellt – die deutschen Steuerzahler Milliarden gekostet. Er hat den Deutschen davon abgeraten, gesellig zu sein und sich gleichzeitig zu einem „Spendendinner“ einladen lassen, zu dem die Gäste je 9999 Wahlkampf-Euro mitbrachten. Er hat immer wieder voreilig angekündigt, was er nicht halten konnte (Tests für alle, Booster). 

Und er hat dabei jederzeit versucht, politische Verantwortung zu vergesellschaften – uns alle mit ins patriotische Boot zu holen für seine Fehler und Versäumnisse („Wir werden einander viel verzeihen müssen“) - man könnte auch sagen: Spahn hat uns seine Zuständigkeit verweigert.

Er hat sich zwischenzeitlich auch für 4,125 Millionen Euro eine Villa in Berlin-Dahlem gekauft, finanziert durch ein Darlehen der Sparkasse, für die er sechs Jahre lang im Verwaltungsrat saß – und sich in den vergangenen Jahren gleich  mehrfach dem Verdacht ausgesetzt, in Good-Buddy-Geschäfte auf dem schmalen Grat zwischen Mandat und Lobbyismus verwickelt zu sein. Seine Zuneigung zum Geld scheint ähnlich ausgeprägt wie seine Liebe zur Macht. Das ist nicht ehrenrührig. Aber das weckt den Verdacht der Empfänglichkeit. Und das fördert bei vielen in der CDU (und im Land) nicht gerade das Vertrauen in Jens Spahn. Von Sympathie mal ganz zu schweigen.

„Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden“? Es ist ironisch, dass Spahn dieses Ziel, wenn überhaupt, nur erreichen kann, wenn er seine Macht- und Amtsziele irgendwann einmal erreicht haben wird. Jedenfalls nicht vorher. Zur Erinnerung: Der Jens Spahn vor dem Gesundheitsminister meinte, politische Stimmung am Fließband produzieren, den Gesinnungsmarkt jederzeit maximal express beliefern zu müssen – meistens nicht, um politische Lösungen anzudeuten, sondern oft nur, um teils billige (Zu-)Stimmung bei denen zu triggern, die er meinte, für die Union gewinnen zu sollen. Zuletzt forderte er etwa 4000 Euro Mindestlohn in der Pflegebranche. Schön und gut. Aber warum nicht für alle?

Spahn kann Populist. Er plädierte auch schon für ein Burka-Verbot (Burka? Deutschland?) und die konsequente Abschiebung nach Afghanistan („Wie erkläre ich einer deutschen Mutter, deren Sohn oder Tochter im Norden Afghanistans dient, dass wir dorthin keine jungen Afghanen abschieben?“), er wetterte gegen „Muskelmachos“ aus fremden Ländern, die Pille danach und den Gebrauch des Englischen in Großstädten, beschied Hartz-IV-Empfängern, sich dem Staat gegenüber gefälligst dankbar zu erweisen – und warf (nicht etwa sich selbst während der Pandemie, wohl aber:) Merkel in der Flüchtlingskrise „Staatsversagen“ vor. Nur zum Beispiel.

Das ist das Risiko für die CDU: Findet Spahn in den nächsten Wochen keinen privilegierten Platz, startet er womöglich erneut als freier Radikaler durch. Und das ist die Chance für die CDU: Binden sie ihn ganz vorne ein, kann er weiterhin zeigen, dass er Machtpositionen nicht nur für sich beansprucht, sondern auch glänzend auszufüllen weiß. Wer wollte etwa bezweifeln, dass Deutschland mit einem Bildungsminister Spahn laufend über Pisa-Ergebnisse oder Lehrereinstellungen diskutieren würde – so wie Deutschland mit einem Gesundheitsminister Spahn über Masernimpfungen und Sterbehilfe, Organspenden und den Wert der Pflege diskutiert hat?

Spahn wäre womöglich auch genau der Richtige, der den Liberalisierungsoffensiven der neuen Ampel-Freunde (Cannabis, Zuwanderung, Fortpflanzungsmedizin etc.) als Oppositionsführer glaubhaft ins Wort fallen, ja überhaupt das Konservative als Bestimmung von Regeln, Grenzen, Differenzen und Sicherheitsansprüchen gegenüber einer veränderungsseligen Koalition in Stellung bringen, auf eine Beweispflicht des Neuen gegenüber dem Tradierten bestehen, mithin die CDU als konservative und moderne Partei markieren könnte.

Oder anders gesagt: Es spricht in der CDU in diesen Wochen nicht nur alles gegen Jens Spahn. Sondern zugleich auch für ihn.

Der neue Vorsitzende sollte das wissen.

Mehr zum Thema: Die CDU-Kreisvorsitzenden wollen über die Wahlniederlage und einen neuen Parteichef sprechen. Es zeichnet sich ein Votum der Basis ab. Dann dürfte sich Friedrich Merz gegen Jens Spahn und Norbert Röttgen durchsetzen.

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