Tauchsieder
Wohnungsnot und Verkehrschaos in Berlin. Quelle: action press

Nur Verkehrsknoten im Kopf – und maximaler Ideenleerstand im Häuserkampf

Muss man sich in Hamburg, Köln oder München für die Landtagswahl in Berlin interessieren? Sicher nicht. Wohl aber dafür, wie beispielhaft ignorant und ambitionslos die Mobilitäts- und Wohnungspolitik aller Parteien dort ist.

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Haken wir die Landtagswahl in Berlin schnell ab an dieser Stelle, in drei Punkten und drei Absätzen, das reicht. Ihre bundespolitische Bedeutung wird schon nach wenigen Stunden parteilich frisierter Analysen asymptotisch gegen Null streben, das ist das Eine: die Wahlbeteiligung mäßig, das Ergebnis unspektakulär – und von einem Sieger weit und breit nichts zu sehen. Im Gegenteil. Die Rund-20-Prozent-SPD um Franziska Giffey hat sich zwar erfolgreich bemüht, den Wahlkampf auf seiner Zielgeraden zu einem Duell zuzuspitzen, um auf Kosten von Grünen und Linken vielleicht doch noch die Lücke zur Rund-24-Prozent-CDU um Kai Wegner schließen zu können.

Aber wenn ein Viertel oder Fünftel der abgegebenen Stimmen reicht, um ins Rote Rathaus einzuziehen, dann weiß das künftige Stadtoberhaupt am Ende gerade mal jeden achten, neunten Berliner hinter sich, dann ist das kaum als „Mandat“ zu verstehen – dann wird in den nächsten fünf (?) Jahren Demut erste Bürgermeisterpflicht sein: gegenüber allen, die sich an der Spitze lieber von jemand anderem repräsentiert und regiert gesehen hätten.

Zweitens blickt Restdeutschland bekanntlich immer nur dann und deshalb nach Berlin, damit sich lange aufgestaute Inferioritätsgefühle in Provinzbejahungsenergien entladen können. Psychologen sprechen von Übertragung: Menschen von Flensburg bis Friedrichshafen und Aachen bis Zwickau wehren das Unter-Bewusstsein für ihr randständiges Defizitdasein und Mängelleben dadurch ab, dass sie es der Kapitale Berlin und ihren angeblich bedauernswerten Bewohnern zuschreiben. Verständlich. Die Hauptstadt hat die Berlinale und Kirill Petrenkos Philharmoniker, zählt drei Opern und ein Dutzend Theater, gewährt Nofretete Asyl und Carravaggios Amor und bekocht seine Bewohner rund um die Uhr, kubanisch, koreanisch, georgisch, israelisch, was auch immer – weshalb der Wahlberichterstattung vor allem die Funktion zufällt, das Selbstvertrauen Restdeutschlands im Wege routinierter Häme über den „failed state“ Berlin zu stabilisieren.

Aber das allein ist es nicht. Denn drittens geht durchaus was in Berlin. Und nicht nur ausnahmsweise. Berlin hat etwa seine Bürger und Bürgerinnen während der Pandemie besonders geordnet durchgeimpft, später viele Zehntausend Flüchtlinge aus der Ukraine reibungslos durch seinen Hauptbahnhof geschleust. Die Wirtschaft der Stadt (plus 3,7  Prozent im ersten Halbjahr 2022) wächst schneller im Schnitt der Republik (2,8 Prozent).

Amazon und Tesla wird der rote Teppich ausgerollt, die Gründerszene trifft sich nirgends lieber als hier – und wer in Berlin seine Grundsteuer erklärt hat, hat den Amtsbescheid längst vorliegen. Das alles vergisst man leicht im Rest der Republik. Übrigens auch, dass die Warteschlangen am Flughafen inzwischen kürzer sind als in Düsseldorf. Oder dass innenstadtnahes Wohnen auch für Durchschnittsverdiener immer noch halbwegs erschwinglich sein kann, anders als in München und Hamburg, Frankfurt, Stuttgart oder auch Freiburg.

Berliner Politiker konsequent ohne Ambitionen

Umso befremdlicher, dass Politiker aller Parteien in Berlin beispielhaft ignorant und ambitionslos agieren. Speziell die Fantasielosigkeit und Selbstanspruchsarmut in der Wohnungs- und Verkehrspolitik stehen sinnbildlich für republikweit verbreitete Blockaden – und stellvertretend für die Feigheit einer Politik, die den Status quo prämiert statt seine Überwindung, in Bestandsschutz investiert statt in Veränderungsdynamik – die sich finanziell verausgabt für den Substanzverzehr statt auf die Begrünung der Zukunft zu spekulieren.

Der böse Kapitalismus. Das ist seit Jahren so ziemlich alles, was rot-grün-roten Wohnungspolitikern in Berlin einfällt. Oder, wie sich „Die Linke“ auf einem Wahlplakat ausdrückt: „Wohnung Wärme Widerstand“. Es ist so erbärmlich. Die Enteignung großer Wohnkonzerne („Häuser gehören nicht an die Börse.“) steht nach dem Volksentscheid des Jahres 2021 noch immer im Raum: Die Linken wollen enteignen, weite Teile von SPD und Grünen wollen enteignen – und wer in den drei Parteien die Konzerne nur halbwegs enteignen will, will immerhin mit Enteignung drohen können, sprich: „den Druck nutzen, um die größte soziale Frage zu lösen“, so die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Ja, klar, Politikerinnen von ihrem Schlage können sowas, ganz bestimmt: „die größte soziale Frage lösen“!

Nicht wieder Trottel vom Dienst sein

Allein Franziska Giffey hat sich (zuletzt auch mit dem Segen von Bundeskanzler Olaf Scholz) entschieden, die offene Frage der Enteignung in einer Kommission so lange schwären zu lassen, bis es sich womöglich irgendwann von selbst erledigt hat. Na hoffentlich. Die Bestandsmieten der Konzerne sind vergleichsweise moderat. Und Berlin könnte die eingesparten Milliarden weiß Gott gut brauchen – etwa um sie in den (sozialen) Wohnungsbau zu investieren.

Vor allem aber würde es „dem Staat“ als Ganzes helfen, wenn Berlin es sich ersparte, im Verhältnis zum „Neoliberalismus“ ein zweites Mal wie der Trottel vom Dienst zu erscheinen: Nur weil „der Staat“ „dem Markt“ vor dreißig Jahren mit dem Verkauf seiner Sozialwohnungen tatsächlich auf den Leim gegangen ist, muss er seine Niederlage mit einem Rückkauf ja nicht gleich verdoppeln.

Zumal es an anderen Ideen nicht mangelt. Mietendeckel, Mietenschutzschirm, Mietpreisbremse, zuletzt sogar ein „Vermieterführerschein“ (Jarasch) – erfindungsreich sind Rote und Grüne immer dann, wenn es um Neologismen geht, die Protektion, Betreuung und Fürsorge annoncieren. Auch wenn sie sich damit meist nur eines statischen Denkens überführen. Giffey zum Beispiel findet ihre Idee super charmant, dass alle Mieterinnen und Mieter in Berlin künftig nicht mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens fürs Wohnen aufbringen müssen: „Stellen Sie sich vor…“!

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Okay, dann stellen wir uns das mal vor. Stellen uns ein bürokratisches Überwachungsmonster vor, das böse Betrüger-Vermieter aufspürt und sanktioniert, also auch die Mehrheit der Kleinvermieter systematisch verdächtigt, ihre Opfer über Gebühr auszusaugen. Oder wir stellen uns einen zahnlosen Tiger vor, weil Giffey findet, das Ganze solle vielleicht doch nur auf Freiwilligkeit beruhen. Oder wahnsinnig gut beschützte Bestandsmieter, die das Angebot für Zuzügler abermals verknappen. Oder eine verschärfte Gentrifizierung durch Neuvermietungen, also eine Verdichtung teurer Quartiere (30 Prozent von 8000 Euro) und Problemviertel (30 Prozent von 2000 Euro). Oder marginalisierte Renditen der Eigentümer – mit der Konsequenz, dass das der Ausweitung des Wohnungsangebots eher nicht zuträglich ist. Oder aber, dass die Mieten bei diesem „dynamischen Deckel“ natürlich indexiert gehören, also permanent gekoppelt an den Lohn der Mieter – aber halt, wollen wir dieselben Mieter nicht gerade vor „Indexmieten“ schützen, vor „Knebelverträgen“, in denen die Miete an die Inflationsentwicklung gekoppelt ist?

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