Tauchsieder

Nichts spricht für Jens Spahn spricht alles

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Ohne Posten ein freier Radikaler?

Spahn ficht das nicht an, im Gegenteil: Er toppt seine Ruchlosigkeit, dreht erneut sein Fähnchen in den Wind, wechselt blitzschnell „das Team“ und gibt vier Wochen nach der Bundestagswahl seine „Lust“ zu erkennen, „die neue CDU mitzugestalten“ – ganz so, als habe er mit der alten CDU nichts zu tun.

Dennoch müssen die nächsten Wochen für Spahn nicht erfolglos verlaufen. Er wird sich der „neuen CDU“ nicht mehr aufdrängen müssen; statt dessen wird die Partei erstmals der Auffassung sein, nicht an ihm vorbeizukommen, wenn es um die Besetzung der ersten Team-Reihe geht. Parteichef? Eher nicht. Fraktionschef? Möglich, nicht wahrscheinlich. Aber was dann? Zurück auf Los? Sich erneut profilieren mit scharfkantigen Schlagzeilen? Oder sich mal ein, zwei Jahre aus dem Spiel nehmen – und sich darüber freuen, überhaupt noch im Kader zu stehen?


Gesundheitsminister Jens Spahn hat das Virus am Anfang der Pandemie marginalisiert. Er hat dementiert, dass Masken wirksam seien. Er hat zu spät Schutzausrüstung, Masken, Tests und Impfstoffe gekauft, dann bei der Auftragsvergabe nicht so genau hingesehen, schlechte Ware eingekauft, dabei auch persönliche Kontakte genutzt, von denen die Kontakte profitierten, hat über Bedarf und viel zu teuer bestellt – die deutschen Steuerzahler Milliarden gekostet. Er hat den Deutschen davon abgeraten, gesellig zu sein und sich gleichzeitig zu einem „Spendendinner“ einladen lassen, zu dem die Gäste je 9999 Wahlkampf-Euro mitbrachten. Er hat immer wieder voreilig angekündigt, was er nicht halten konnte (Tests für alle, Booster). 

Und er hat dabei jederzeit versucht, politische Verantwortung zu vergesellschaften – uns alle mit ins patriotische Boot zu holen für seine Fehler und Versäumnisse („Wir werden einander viel verzeihen müssen“) - man könnte auch sagen: Spahn hat uns seine Zuständigkeit verweigert.

Er hat sich zwischenzeitlich auch für 4,125 Millionen Euro eine Villa in Berlin-Dahlem gekauft, finanziert durch ein Darlehen der Sparkasse, für die er sechs Jahre lang im Verwaltungsrat saß – und sich in den vergangenen Jahren gleich  mehrfach dem Verdacht ausgesetzt, in Good-Buddy-Geschäfte auf dem schmalen Grat zwischen Mandat und Lobbyismus verwickelt zu sein. Seine Zuneigung zum Geld scheint ähnlich ausgeprägt wie seine Liebe zur Macht. Das ist nicht ehrenrührig. Aber das weckt den Verdacht der Empfänglichkeit. Und das fördert bei vielen in der CDU (und im Land) nicht gerade das Vertrauen in Jens Spahn. Von Sympathie mal ganz zu schweigen.

„Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden“? Es ist ironisch, dass Spahn dieses Ziel, wenn überhaupt, nur erreichen kann, wenn er seine Macht- und Amtsziele irgendwann einmal erreicht haben wird. Jedenfalls nicht vorher. Zur Erinnerung: Der Jens Spahn vor dem Gesundheitsminister meinte, politische Stimmung am Fließband produzieren, den Gesinnungsmarkt jederzeit maximal express beliefern zu müssen – meistens nicht, um politische Lösungen anzudeuten, sondern oft nur, um teils billige (Zu-)Stimmung bei denen zu triggern, die er meinte, für die Union gewinnen zu sollen. Zuletzt forderte er etwa 4000 Euro Mindestlohn in der Pflegebranche. Schön und gut. Aber warum nicht für alle?

Spahn kann Populist. Er plädierte auch schon für ein Burka-Verbot (Burka? Deutschland?) und die konsequente Abschiebung nach Afghanistan („Wie erkläre ich einer deutschen Mutter, deren Sohn oder Tochter im Norden Afghanistans dient, dass wir dorthin keine jungen Afghanen abschieben?“), er wetterte gegen „Muskelmachos“ aus fremden Ländern, die Pille danach und den Gebrauch des Englischen in Großstädten, beschied Hartz-IV-Empfängern, sich dem Staat gegenüber gefälligst dankbar zu erweisen – und warf (nicht etwa sich selbst während der Pandemie, wohl aber:) Merkel in der Flüchtlingskrise „Staatsversagen“ vor. Nur zum Beispiel.

Das ist das Risiko für die CDU: Findet Spahn in den nächsten Wochen keinen privilegierten Platz, startet er womöglich erneut als freier Radikaler durch. Und das ist die Chance für die CDU: Binden sie ihn ganz vorne ein, kann er weiterhin zeigen, dass er Machtpositionen nicht nur für sich beansprucht, sondern auch glänzend auszufüllen weiß. Wer wollte etwa bezweifeln, dass Deutschland mit einem Bildungsminister Spahn laufend über Pisa-Ergebnisse oder Lehrereinstellungen diskutieren würde – so wie Deutschland mit einem Gesundheitsminister Spahn über Masernimpfungen und Sterbehilfe, Organspenden und den Wert der Pflege diskutiert hat?

Spahn wäre womöglich auch genau der Richtige, der den Liberalisierungsoffensiven der neuen Ampel-Freunde (Cannabis, Zuwanderung, Fortpflanzungsmedizin etc.) als Oppositionsführer glaubhaft ins Wort fallen, ja überhaupt das Konservative als Bestimmung von Regeln, Grenzen, Differenzen und Sicherheitsansprüchen gegenüber einer veränderungsseligen Koalition in Stellung bringen, auf eine Beweispflicht des Neuen gegenüber dem Tradierten bestehen, mithin die CDU als konservative und moderne Partei markieren könnte.

Oder anders gesagt: Es spricht in der CDU in diesen Wochen nicht nur alles gegen Jens Spahn. Sondern zugleich auch für ihn.

Der neue Vorsitzende sollte das wissen.

Mehr zum Thema: Die CDU-Kreisvorsitzenden wollen über die Wahlniederlage und einen neuen Parteichef sprechen. Es zeichnet sich ein Votum der Basis ab. Dann dürfte sich Friedrich Merz gegen Jens Spahn und Norbert Röttgen durchsetzen.

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