Tauchsieder
Politischer Stillstand wie die Fahrgeschäfte im Spreepark? Quelle: imago images

Rasend in den Stillstand

Die Wahlkämpfer sind jetzt im Tunnel, berauscht vom Adrenalin der Umfragen, Twittertwists und Fernsehauftritte. Das Problem: Am Abend des 26. September droht der politische Lockdown. Deutschland taumelt in eine Regierungs- und Demokratiekrise.

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Drei Wochen noch bis zur Bundestagswahl, drei Wochen schnelldrehender Wahlkampf – dann verabschiedet sich das Land in den politischen Lockdown. Am Abend des 26. September wird alles entschieden sein – und alles unentschieden für Wochen und Monate. Die Mehrheit der Deutschen wird einen neuen Bundestag gewählt haben - und augenblicklich unzufrieden sein mit dem Ergebnis. Die Politiker werden versprechen, den „Auftrag der Wähler“ demütig anzunehmen - und die Wähler vier Jahre lang enttäuschen.

Die fünf Parteien der Mitte (CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne), vielleicht auch die Linke, buhlen um das Erbe von Bundeskanzlerin Angela Merkel; sehr wahrscheinlich alle werden in komplizierten Sondierungen und Verhandlungen bis mindestens Weihnachten streiten, es in der ein oder anderen Konstellation anzutreten. Es wird sich eine Koalition bilden, die nicht vom Geist des Miteinanders geprägt ist, sondern den Keim des Misstrauens in sich trägt, die nicht das Beste der Partner addieren wird, sondern faule Kompromisse produziert.

von Dieter Schnaas

Und es wird eine Regierung vereidigt, die nur bedingt regierungsbereit ist, weil sie die vielen großen Aufgaben (Klimawandel, Mobilitätswende, Energieversorgung, Digitalisierung, Rentenreform, Infrastrukturinvestitionen, Neujustierung der Handels-, Europa- und Außenpolitik etc.) in der nächsten Legislaturperiode gegenläufig adressiert, zu langsam, zu spät oder auch überhaupt nicht – mit der Folge, dass die Unzufriedenheit der Deutschen mit den demokratischen Prozessen und Verfahren steigt. Das alles sind keine schönen Aussichten. Aber dafür sprechen mindestens fünf Gründe.

Erstens: Union und Grüne haben das potenzielle 60-Prozent-Projekt Schwarz-Grün mit Markus Söder und Robert Habeck an der Spitze so absehbar wie gründlich vergeigt. Übrig bleiben, nach Lage der Dinge: Ampel oder Jamaika, SPD-Union-FDP oder Rot-Grün-Rot. Und alle wahrscheinlichen oder auch nur denkbaren Dreier-Konstellationen sind inzwischen so konfliktbeladen, dass die Verhandlungsführer der Parteien große Mühe haben werden, ihre Gremien und Wähler von einer Koalition zu überzeugen – von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende.

Jamaika? Welches Interesse sollten die Grünen an einer Koalition haben, in der Friedrich Merz (CDU) im Wirtschaftsministerium auf die Klimabremse tritt oder Christian Lindner (FDP) sich mit dem spitzem Rotstift des Finanzministers in seiner Traumrolle als Zuchtmeister der Staatsgläubigen verwirklichen darf?

Die Ampel? Warum sollten die Lobbyliberalen ihrem Versprechen entsagen, Vermieter zu schonen, die Wohlhabenden und Reichen über Gebühr zu entlasten oder auch nur einem Mindestlohn von zwölf Euro zustimmen, den sie Niedriglöhnern noch immer vorenthalten möchten, damit es mit deren Selbstvorsorge und Eigentumsbildung möglichst nichts wird?

SPD plus Schwarz-Gelb? Eine erstarkte, womöglich siegreiche SPD, die 2017 unter großen innerparteilichen Schmerzen als Juniorpartner in eine „große Koalition“ einstieg, degradiert sich als Kanzlerpartei abermals zum „Chef-Juniorpartner“, diesmal einer „bürgerlichen Koalition“ – es käme einem politischen Selbstmord gleich. 

Schließlich Rot-Grün-Rot: Ein solches Bündnis zur Erhöhung der Staatsquote und Ausweitung der therapiepolitischen Zuwendungszone hätte von vornherein alle Innovations- und Produktivkräfte in diesem Land, alle Unternehmer, Investoren, Gründer, Mäzene, Aktionäre, und sehr, sehr viele Arbeitnehmer und Steuerzahler vor allem im produktiven Süden der Republik gegen sich – zu Recht.

Zweitens: Union und Grüne werden nach Lage der Dinge mindestens wochenlang mit dem politischen Meucheln und Morden in den eigenen Reihen beschäftigt sein; im Falle der Union werden sich die Diadochenkämpfe vermutlich sogar mehrere Jahre hinziehen. Die Messer in CDU und CSU sind längst gewetzt. Zu offensichtlich ist das strategische Versagen der CDU-Parteispitze um Wolfgang Schäuble, Volker Bouffier und Paul Ziemiak, die aus Eifersucht auf die kleine Schwester in Bayern und aus rein parteiräsonalen Gründen den falschen Kandidaten ins Kanzlerrennen geschickt hat; zu peinlich verpasst wird in Rücksicht auf verschrobene Altkonservative, Linksgrünenfresser, AfD-Claquere und Friedrich-Merz-Nostalgiker seit zwei, drei Jahren die Chance, die Union über die Merkel-Ära hinaus als Hegemon in der deutschen Parteienlandschaft zu etablieren.


Die Grünen wiederum haben die Deutschen mit ihrem Dilettantismus, ihrer Hybris regelrecht geschockt: Annalena Baerbock repräsentiert und bestätigt, ja: personifiziert inzwischen exakt die Lücke zwischen allerhöchsten Gestaltungsansprüchen und niedriger Kompetenz, die viele Deutsche den Grünen immer noch vorbehaltvoll zuschreiben. Wie auch anders nach aufgepimptem Lebenslauf und Doofbuch-Distribution? Im Übrigen: Eine Kanzlerkandidatin ins Schaufenster zu stellen, die permanent „Veränderung“ ruft ohne zugleich „Sicherheit im Wandel“ zu signalisieren (und etwa auch Kohlekumpel zu adressieren), unterstreicht die politische Unreife der Grünen: Wer den Deutschen kein volksparteipolitisches Angebot unterbreiten möchte und noch dazu nicht das Zeug dazu hat, es ihnen glaubhaft zu vermitteln, hat in Fernsehtriellen (noch) nichts verloren.

Zwingend unklares Wahlergebnis


Drittens: Weil sich die Präferenzen der Mitte-Wähler diesmal auf zwei kulturelle Lager („bürgerliche Mitte“ vs. „linke Mitte“), drei Kanzlerkandidaten, vier politische Basisangebote und fünf mögliche Koalitionen (inkl. „große Koalition“) verteilen, werden viele politisch interessierte Deutschen ihre Wahlentscheidung vor allem als defizitär empfinden. Sie sehen sich zu einer taktisch-strategischen Wahl geradezu herausgefordert – weshalb das Risiko, am Ende nicht das zu bekommen, worauf die Spekulation zielte, so groß ist wie nie zuvor. Statt dessen „gewinnt“ die Wahl auf relativste Weise, wen die Deutschen in welcher Partei mit welchem Personal in welcher denkbaren Koalition am wenigsten ablehnen. Ein deshalb zwingend unklares Wahlergebnis auf der Basis einer derart komplexen, in sich verschachtelten, noch dazu primär negativen Präferenzordnung hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben.

Anders gesagt: Es ist schier unmöglich bei dieser Wahl, sein Kreuz am Abend des 26. September 2021 nicht zu bereuen. Was wählt, wer Olaf Scholz gern an der Spitze einer schwarz-grünen Koalition sähe? Wen wählt, wer die Merkel-CDU seit 16 Jahren schätzt, die Merz und Maassen so sehr verachtet? Wohin mit dem Kreuz, wenn man diesmal dringend lindnern möchte, aber ahnt: Der FDP-Chef kann nicht noch einmal den politischen Bartleby mimen („I would prefer not to…“) – und wird sich am Ende auch mit Kevin Kühnert an einen Kabinettstisch setzen?

Viertens: Der politische Lockdown 2021/22 wird ausgerechnet durch das symbolisiert sein, was die Deutschen gewählt haben: den Bundestag. Das Parlament wird (aufgrund der Schrumpfung der beiden vormaligen Volksparteien und absehbar hoher Zweitstimmenanteile der Wettbewerber) im Wege von Überhangmandaten und Ausgleichsmandaten abermals wachsen, diesmal womöglich in volkskongressionale Dimensionen: auf 800 bis 950 Abgeordnete. Und es ist tatsächlich fraglich, ob und wie sie alle physisch Platz finden sollen in den Bürogebäuden rund um den Reichstag und im Plenarsaal.

Schon die Wahl der neuen Bundeskanzlerin oder des neuen Bundeskanzlers wird auf diese Weise zum Schauspiel einer systemischen Dysfunktionalität, für die vor allem Union und SPD Verantwortung tragen: Sie haben jahrelang jede Gelegenheit ausgelassen, das Parlament wieder seiner Normgröße (598 Abgeordnete) anzunähern und die sinnfreie Aufblähung des politischen Betriebs verschuldet.     

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Fünftens: Union und SPD sind maximal bedingt regierungsbereit. Wobei der CDU die Oppositionsrolle beinahe schon zu wünschen ist, so sehr hat sie die Orientierung verloren. Nichts, aber auch gar nichts mehr passt nach Jahrzehnten der programmatischen Selbstentkernung in dieser Partei zusammen; niemand im Konrad-Adenauer-Haus scheint nach 16 Jahren der widerwillig-nachholendem Selbstmodernisierung der Partei einen Plan zu haben, was er für konservativ, christlich, liberal halten soll.

Schlimmer noch: Keiner weiß (und Merz offensichtlich am wenigsten), was er sich unter den Bedingungen von Finanzkrisen und Schuldenbergen, Niedrigzinsen und Kapitalkonzentration, Vermögensblasen und Plattformkonzernen, Steuerflucht und Patentklau, Bitcoin und ökologischer Transformation, explodierenden Großstadtmieten und sinkenden Eigentumsquoten noch unter einer „sozialen Marktwirtschaft“ vorzustellen hat.

Das Ergebnis ist niederschmetternd – und lässt sich neuerdings jeden Abend in den Fernsehnachrichten und Talk-Shows besichtigen. 

Armin Laschet zum Beispiel. Der Parteichef distanziert sich in einer angespannten politischen Lage ohne Not und sachliche Grundlage panisch von der beliebtesten Politikerin des Landes („2015 darf sich nicht wiederholen“), dringt auf ein „Modernisierungsjahrzehnt“ und beruft in Friedrich Merz ausgerechnet Merkels Traumapatienten Nummer eins in sein „Zukunftsteam“ – nur um nach Olaf Scholz“ dreistgenialer Erbschleicherei („Die Kanzlerin und ich…“) doch noch um Merkels Unterstützung zu barmen. Er zimmert eilig ein „Klima-Team“ zusammen, um doch noch irgendwie den Anschluss an ein Thema zu finden, das nicht nur „grüne Verbotspolitiker“, sondern etwa auch Unternehmen wie VW und BASF seit langen Jahren entschieden und ideenreich bewirtschaften. Er beruft ein „Zukunftsteam“ ein, mit dem er die personell-programmatische Dürftigkeit der Partei geradezu ausstellt.

Der „Wirtschaftsexperte“ Friedrich Merz wird unterdessen von Robert Habeck als ökonomischer Antiquitätenhändler vorgeführt. Derselbe Merz will die Einführung einer CO2-Grenzsteuer zur Einhaltung europäischer Klimaziele verhindern, die seine Parteifreundin Ursula von der Leyen gerade in Brüssel vorbereitet. Und derselbe Merz nimmt es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht so genau, wenn er Betrüger an den „Steuerpranger“ gestellt sieht und Ideen zur besseren Rechtsdurchsetzung seitens der Grünen als „staatsautoritäre(s) Denken“ denunziert.

Vertane Chancen – und nur noch drei Wochen


Unterdessen legen Merz und Laschet (und Lindner) tatsächlich noch einmal den Trickle-down-Schlager aus den Siebzigerjahren auf, wollen Steuern senken, sparen, Schulden minimieren – eine Unmöglichkeit, wie jeder weiß (jedenfalls abgesehen von der Streichung des Solidarzuschlags für alle) oder auch: eine Lüge angesichts der ökonomischen Ausnahmesituation nach Corona, der demografischen Lage, der inzwischen rettungslos aus dem Ruder gelaufenen Steuerzuschüsse für das Renten- und Gesundheitssystem.   

Gleichwohl: Das Rennen ist noch nicht gelaufen – und die Chancen, dass Armin Laschet Kanzler wird, sind immer noch leidlich passabel. Er hat viel Kritik einstecken müssen in den vergangenen Monaten, dafür gibt es gute Gründe. Aber die Häme, die in den asozialen Medien seit Wochen gewohnheitsmäßig über ihn ausgekübelt wird, die hat er nicht verdient: Laschet hört den Menschen zu und will sie zusammenführen, er wägt ab, grenzt nicht aus, sucht den Konsens, wenn auch auf Kosten der Führungs- und Entschlusskraft: Die Deutschen wollen keinen Sucher im Kanzleramt, sondern einen Finder.

Laschets letzte Patrone: Die Furcht der Deutschen vor einem Linksbündnis, das Scholz nicht kategorisch ausschließen will. Die Möglichkeiten und Risiken dieser Strategie sind schwer einzuschätzen. Scholz meint das Thema abzuräumen mit gebetsmühlenartigen Hinweisen darauf, dass er als Person für eine verlässliche Außenpolitik, für ein Bekenntnis zur Nato und zu Europa und eine solide Finanzpolitik bürge: Kein Linksruck mit mir! Aber die Linke, beinah' schon glücklich vergessen, ist plötzlich wieder Thema - und ihre fast schon aufdringlichen Avancen und Mitregierungsambitionen könnten Scholz auf der Zielgeraden noch schaden. Und Annalena Baerbock? Sie hätte sich und die Grünen womöglich grandios zurück ins Wettrennen um das Vertrauen der Mitte-Wähler bringen können mit dem Satz: „Olaf Scholz schließt ein Linksbündnis nicht kategorisch aus. Ich schon. Ich will Deutschland als Kanzlerin der Mitte dienen.“ Chance vertan.

Andererseits scheinen die meisten Deutschen der SPD die Linksbündnis-Option nicht zu verübeln, solange sie von ihr annehmen, dass Scholz sie nicht zieht. Und der inquistorische Stil von Laschet, sein kirchenverhörähnliches „Confite!“ vermag Scholz auch deshalb nicht in Bedrängnis zu bringen, weil die Union selbst nicht gerade bekenntnisfroh ist, wenn es etwa darum geht, in Thüringen und Sachsen-Anhalt auf den rechten Abstand zur AfD zu dringen.

Im Moment deutet alles darauf hin, dass sich eine relative Mehrheit der Deutschen abermals einen Kapitän wünscht, der das Schiff in schwerer See irgendwie auf einem indifferenten Kurs hält – jedenfalls keinen, den sie für eine Leichtmatrosen halten (Laschet), oder die allzu forsch auf neue Ziele zusteuert (Baerbock). Einen Kapitän, von dem sie annehmen, dass er seine Mannschaft (die SPD) unter Kontrolle hat, kein schräges Personal anheuert (Linke) – und jederzeit respektvoll mit denen umgeht, die im Maschinenraum werkeln (also den Deutschen).

Das ist nicht viel. Das reicht womöglich für einen knappen, relativen Wahlsieg. Aber reicht das auch für Deutschland? Mehr als die Hälfte der jungen Wähler bis 30 wünscht sich das Land so pragmatisch wie zukunftsfroh Grün-Gelb(-Volt) regiert: Klimaschutz plus Digitalisierung, Mobilitätswende plus Bürokratieabbau. Sie werden enttäuscht sein, ganz gleich, ob künftig Scholz oder Laschet die Gegenwart abstottert – übrigens auch von Grünen und Liberalen, die immer noch wechselseitig ihren kulturellen Ekel pflegen statt eine Innovationspartnerschaft zu erproben.        

Ein letzter Punkt: Mehr als die Hälfte der Deutschen findet inzwischen, dass „soziale Gerechtigkeit“ das wichtigste Thema in diesem Wahlkampf ist. Eine „sozialdemokratisierte“ Union unter Angela Merkel hat es stets blendend verstanden, die Erfolge der SPD (Hartz-IV-Reform, Kurzarbeitergeld, Mindestlohn, Grundrente) politisch zu kapitalisieren – die Laschet-Merz-CDU hat dieses Vermögen in nur wenigen Monaten verjubelt, genauer: einer SPD überwiesen, die die Deutschen für eine Olaf-Scholz-Partei halten.

Es wäre daher viel gewonnen, wenn Union und SPD (auch Grüne und FDP) die zentrale Lehre aus diesem Wahlkampf ziehen würden: Die älteren Deutschen wollen vor allem moderat und mittig, die jüngeren vor allem modern und gut regiert werden, nicht irrlichternd, ideologisch, altbürgerlich, links, sondern stabil und verlässlich, nüchtern und zukunftsorientiert: „Sicherheit im Wandel“. Eben deshalb hat vor der Nominierung der Spitzenkandidaten fast alles für ein (recht liberales) Schwarz-Grün-Bündnis gesprochen.

Sei’s drum. Blinkte die SPD im Falle ihrer Regierungsübernahme zu stark links, wäre sie das Vertrauen, das sie gerade zu gewinnen scheint, gleich wieder los. Setzte Armin Laschet auf ein „Reformbündnis“ mit Merz und Lindner, ließe die Union endgültig den Kontakt zu den Durchschnittsdeutschen abreißen.

Nur auf der Basis des Grundvertrauens, dass sich bei allen Veränderungen nicht allzu viel ändert, kann welche Koalition auch immer in den nächsten vier Jahren das Land politisch verändern. Die Deutschen brechen aus einem sicheren Hafen auf in die offene See – oder gar nicht.

Drei Wochen noch. Die Wahlkämpfer sind jetzt im Tunnel, berauscht vom Adrenalin der Umfragen und Fernsehauftritte, der Marktplatzgespräche und Twittertwists, der Strategiegespräche und Sprechzettelparolen. Sie stehen jetzt unter der dauernden Bobachtung von Kameras, Mikrofonen, Notizbüchern und Smartphones, werden permanent taxiert und bewertet von Journalisten, Aktivisten, Kabarettisten. Sie müssen jetzt allzeit fehlerfrei das Programm hersagen und pointierte Kernbotschaften aussenden können, Spitzen setzen, Seriosität ausstrahlen, Schlagfertigkeit beweisen. Sie müssen gendersensibel sprechen und unbedingt bürgernah wirken, die aktuelle Nachtrichtenlage souverän bemeinen, große und rote Linien aufzeigen und bei alledem natürlich auch ein wenig Privates und Persönliches offenbaren.

Drei Wochen noch, dann geht’s raus aus diesem Tunnel und rein in die Realität. Ein politischer Lockdown droht. Also reißt euch zusammen. Nehmt den Wählerwillen zur Kenntnis. Und macht was draus!

Mehr zum Thema: Die Laschet-Union und die Baerbock-Grünen – zwei politische Weichwährungen im Abwertungswettlauf. Eine Bodenbildung nach dem Kursverfall? Nicht in Sicht. Eher brechen die letzten Unterstützungslinien.

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