Tauchsieder
Regierungspolitiker der neuen Art: Jens Spahn und Markus Söder Quelle: imago, Montage

Regieren mit Spahn und Söder

Die neue Union: eine Partei der „Kümmerer“, die „kleinen Leuten“ das nachholend Selbstverständliche mit schwarz-rot-goldenen Ausrufezeichen serviert – im Dienste der politischen Perfidie.

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Jens Spahn, fordert jeden Tag was, ohne Unterlass, ist immer zur Stelle, wenn ein Sachverhalt schnell bemeint werden muss: ein Exportwunder in eigener Sache, der Stimmung wie am Fließband produziert und den Gesinnungsmarkt so express beliefert wie kein zweiter Politiker.

In den vergangenen Wochen hat Jens Spahn die „faire Vergabe von Arztterminen“ gefordert und eine „harte und ungemütliche Diskussion“ um die Neuausrichtung der CDU, das „Aus für die Rente mit 63“ und einen „starken Staat“, „bessere Schulen“ und „zentrale Ausreisezentren“, „mehr Geld im Portemonnaie der Bürger“ und ein „Burka-Verbot“, eine „Partei der Leitkultur“ und eine „bessere Bezahlung der Pflegeberufe“, ein „Islamgesetz“ und Metropolenkellner, die ihm das Wiener Schnitzel auf gut deutsch servieren - und eine Regierung, die „Sicherheit, Ordnung und Recht ohne Wenn und Aber garantiert.“ Und das ist - wenn hin, aber her - garantiert noch nicht alles.

Die Themensau, die Jens Spahn vergangene Woche durchs Mediendorf ritt: „Niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe“ - und: Mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“. Zwei typische Spahn-Sätze. In ihnen geht es nicht um Erkenntnisgewinn und diskursoffene Anschlussfähigkeit, sondern um die Aktivierung von Ressentiments - um die Selbstabschließung des Vorurteils durch die Affirmation des Selbstverständlichen.

Natürlich sind beide Sätze unbedingt zustimmungspflichtig, als Aussagesätze unbezweifelbar: „Niemand muss in Deutschland hungern“ - der Satz ist so richtig wie der Satz: „Wenn es regnet, dann regnet es.“ Und „Mit Hartz IV hat jeder, was er zum Leben braucht“ - das ist auf der basalsten aller Bedeutungsebenen so korrekt wie „Jens Spahn kann es sich durchaus leisten, bei Aldi einzukaufen.“  

Wenn es sich bei Spahns Äußerungen also erwiesenermaßen nicht um einen Sachbeitrag zur „Armutsdebatte“ handelt - warum tun dann die meisten Medien ihm den Gefallen, zu behaupten, er habe genau das, eben eine „Armutsdebatte“, ausgelöst? Wäre es nicht besser, Spahns Meinen so lange zu beschweigen, bis er ein Interesse an der Materie bekundet hat? Es sollte das Mindeste sein, was man von Politikern und Journalisten erwartet.

Eine zweite Möglichkeit wäre, die Behandlung der von Spahn aufgeworfenen „Themen“ gleich auszusparen und ihn mit der perfiden politischen Semantik zu konfrontieren, in deren Dienst er sie stellt: Spahn will sich als hauptamtlicher Rechtsausleger der CDU legitimieren und die CDU als Partei der „Kümmerer“ positionieren, die den „kleinen Leuten“ das nachholend Selbstverständliche mit schwarz-rot-goldenen Ausrufezeichen eintrichtert, um gegenüber der AfD kleine Geländegewinne zu erzielen.

Das ist abstoßend. Weil Spahn die Partei zu einer kraftnationalen Betreuungsorganisation entpolitisiert, gleichsam zu einer Linken der rechtsdeutschen Kleinbürger, weil er Geringverdiener gegen Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfänger gegen Flüchtlinge in Stellung bringt - und weil er Stimmungen bewirtschaftet, indem er das fahrlässig Verkürzte als „Muss-man-sagen-können-Wahrheit“ ausbeutet, statt um Lösungen bemüht zu sein, indem er das hochgradig Komplexe politisch bearbeitbar macht.

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