Tauchsieder
17.07.2019, Berlin: Ursula von der Leyen (CDU, M), scheidende Verteidigungsministerin und neugewählte EU-Kommissionspräsidentin, sitzt im Schloss Bellevue neben ihrer Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer (l), Bundesvorsitzende der CDU, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie erhält hier ihre Entlassungsurkunde. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Quelle: dpa

Toughes Trio?

Drei Frauen ziehen feixend die Fäden der Macht – und Deutschland dreht durch. Welche Bewunderung und Kritik haben Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer verdient – und welche nicht?

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Auch die größten Soziologen sind nicht zeitlos. Georg Simmel zum Beispiel. Keiner hat uns bereits an der Schwelle zum 20. Jahrhundert die zentralen Phänomene der Moderne – den Rationalitätsglauben der Naturwissenschaft, die Rechenhaftigkeit der Wirtschaftswelt, die Sachlichkeit des Geldes, das durchgetaktete Großstadtleben – so plastisch vor Augen geführt. Aber dass der moderne Mensch auf die Beschleunigung der Zeit und die Schrumpfung des Raums, auf die Vermehrung des Neuen und den Sturm der Eindrücke, auf den Strom der Nachrichten und die „Steigerung des Nervenlebens“ schon aus Selbsterhaltungsgründen blasiert, also mit „Reserviertheit“, „Distanz“ und „Indifferenz“, heute würde man vielleicht sagen: „cool“ reagiert – das kann man nach dieser Nachrichtenwoche einmal mehr nicht behaupten. Leider. Denn ausgerechnet Journalisten, die schon von Berufs wegen in „Reserviertheit“, „Distanz“ und „Indifferenz“ eingeübt sein müssten, sind es offenbar am wenigsten. Anders ist die Laudationsbereitschaft und Kritikhysterie, mit der diese Woche die politische Karriere dreier deutscher Frauen verfolgt wurde, nicht zu erklären.

Womit anfangen? Vielleicht mit der Bildkritik der „Bild“: Wir sehen drei Frauen, die sich freuen und ein bisschen feixen, die Kanzlerin (Angela Merkel), die künftige EU-Kommissarin (Ursula von der Leyen), die CDU-Parteichefin und Verteidigungsministerin (Annegret Kramp-Karrenbauer). Sie haben einen machtpolitischen Coup gelandet, viel riskiert und viel gewonnen – klar, dass hier ein Trio lacht und jubelt. Und die „Bild“? Nun, die „Bild“ ist die „Bild“, jeder weiß es, eine Mätresse des Geschmack- und Prinzipienlosen. Sie sieht das „eiskalte Lächeln der Macht“ und findet es „bei Frauen nicht sympathischer als bei Macht-Männern“. Das allerdings muss eigens erwähnt werden, weshalb die ohnehin sexualisierte Macht-Kritik (in der Alltagssprache steht das Adjektiv „eiskalt“ Frauen offenbar besser als Männern…) in blanke Kastrationsangst umkippt. Die Politik- und Wirtschaftswelt produziert jeden Tag unzählige Bilder von Kerlen in peinlichen Potenzposen – aber wenn Frauen immer noch ausnahmsweise aus ihren Marien- und Venusrollen fallen, muss man sie in der Axel-Springer-Straße offenbar immer noch in die Domina-Schublade stecken.

Womit wir bei der Kritik der Machtpolitik wären, die vergangene Woche mal wieder besonders laut ertönte. Die ist selbstverständlich zulässig. Aber nur aus Gründen, die jenseits des Machtpolitischen liegen. Denn die Leitwährung der Politik, ihr zentraler Code, ist nun mal die Macht, wie man nicht erst seit Niklas Luhmann weiß: Ein Politiker ohne (den Willen zur) Macht hat sich in seinem Beruf geirrt. Etwas ganz anderes ist die Akklamation von Machtpolitik, mit der Beobachter des politischen Betriebs anderen Beobachtern des politischen Betriebs gern ihre exklusive Nähe zum politischen Betrieb annoncieren – auf dass ein klein wenig vom (eis-)kalten Glanz der (kanzleramtlichen) Schach- und Winkelzüge auf ihn, den Beobachter abfällt. Mit der Feier von Manöver und Intrige, Taktik und List stillen Journalisten nicht nur die Schlüssellochlust von Nachrichtkonsumenten, sondern sie feiern auch sich selbst als Teilnehmer des politmedialen Innenrummels: Nur wer jegliche „Distanz“, „Reserviertheit“ und „Indifferenz“ zum politischen Betrieb aufgegeben hat, kann Macht zynisch und zwecklos, also um ihrer selbst willen bewundern.

Konkret: Dass Annegret Kramp-Karrenbauer noch vor zwei Wochen gesagt hat, sie wolle sich ganz auf die Parteiarbeit konzentrieren, ist wenig kritikwürdig. Angela Merkel meinte jahrelang, Kanzleramt und Parteiführung gehörten zusammen. Und wäre der Selbstzweifel eine Eigenschaft Ursula von der Leyens, hätte sie sich noch vor drei Wochen eingestehen müssen, die politische Zukunft liege weit hinter ihr. Konstellationen ändern sich, und Gelegenheiten ergeben sich – wer hier in den Maßstäben von Prinzipientreue und Pragmatismus denkt, leugnet den etymologischen Sinn des Wortes Opportunismus: eine günstige Gelegenheit ergreifen. Etwas ganz anderes meint Opportunismus, der sich auf die Beliebigkeit einer Meinung bezieht: Hier zielt der Vorwurf, ein Politiker verfahre nach dem Prinzip „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ auf Sachverhalte, die für die Wahlentscheidung eines Wählers von Bedeutung sind. Und dieser Vorwurf trifft.

Und, was schließen wir daraus? Erstens: Der Opportunismus von Annegret Kramp-Karrenbauer (ihr Einzug ins Kabinett) ist keine große Sache. Der Opportunismus von Ursula von der Leyen dagegen (etwa ihr Eintreten für einen „New Green Deal“ und einen europäischen Mindestlohn, ein CO2-neutrales Europa) eine Unverfrorenheit erster Güte. Gewiss, man hat sich daran gewöhnt: Die Merkel-CDU ist definiert als Partei, die mit zehn Jahren Verspätung da ankommt, wohin ihr die politische Avantgarde den Weg gewiesen hat (in der Atom-, Klima-, Sozial-, Frauen-, Minderheiten- und Gesellschaftspolitik), um sich sodann mit Aplomb an die Spitze jeder dieser Bewegungen zu stellen.

Und doch: Die Chuzpe, mit der von der Leyen sich vor dem Europäischen Parlament sozial- und klimapolitisch von der Saula zur Paula wandelte – das darf einen schon ängstigen: Von der Leyen ist jederzeit, immer ein wenig verspätet, aber dann umso eisenfester, dank ihrer Kraft zum Pathos und zur Selbstrührung, auf der Höhe dessen, von dem sie meint, es sei zeitgemäß, demoskopisch geboten und nutze ihr – auch wenn sie vorher vom Gegenteil überzeugt war. Gewiss, das trifft auch auf Angela Merkel zu. Aber im Gegensatz zu ihr vollzieht von der Leyen ihre Wendungen betont felsenfest: schamlos, theatralisch, weihevoll. Von der Leyen ist stark außengeleitet, mit feinen Antennen ausgestattet; sie dreht und wendet sich im Spiegel des Bildes, das sie meint, in der Öffentlichkeit augenblicklich von sich abgeben zu müssen – das ist der große Unterschied zu den Volten einer innengeleiteten Merkel, die zuweilen mit Kompassschwierigkeiten kämpft.

Zweitens: Im Fall von Annegret Kramp-Karrenbauer ist nicht der Eintritt ins Kabinett, wohl aber ihre Doppelrolle als Parteichefin und Verteidigungsministerin kritikwürdig. Vor allem dann, wenn ihre pfarrerhaften Phrasen in den ersten Interviews mehr schmerzen als ihre Unredlichkeit: Als hätten die „Soldatinnen und Soldaten“, die in der Bundeswehr ihren „Dienst verrichten“, nur darauf gewartet, von Annegret Kramp-Karrenbauer „behütet“ zu werden, um die „höchste politische Priorität“ einer CDU-Vorsitzenden zu genießen, die sich „mit aller Kraft“, „hohem Respekt“ und „vollen Herzens“ für die Menschen einsetzen wird, die ihr jetzt „anvertraut sind“. Mit „aller Kraft“ zwei Halbtagsjobs in Bendlerblock und Adenauerhaus? Mit „höchster Priorität“ eine Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die bisher nur am Rande interessierte? Für politische Beobachter und Bürger ist die rhetorische Niedrigbegabung von AKK bloß eine Zumutung. Die Soldatinnen und Soldaten aber müssen sich angesichts solcher Worte fast schon verraten und verkauft fühlen.

Drittens: Dass es sich bei Annegret Kramp-Karrenbauer um eine „Frau“ handelt und bei Ursula von der Leyen noch dazu um eine „Deutsche“ an der Spitze der EU, spielt keine Rolle. Wohl aber spielt eine Rolle, dass nach dieser Woche Katharina Barley und die SPD keine Rolle mehr spielen in Brüssel. Aber das ist ein anderes Thema.

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