Es ist ein kein Liberalismus der Ermöglichung von Freiheit, sondern der Vermeidung von Machtmissbrauch, ein radikal defensiver, nicht-utopischer Liberalismus, der kein summum bonum bietet, nach dem alle politischen Akteure streben sollten, sondern der von einem summum malum ausgeht, "das wir alle kennen und nach Möglichkeit zu vermeiden trachten", kurz: ein Liberalismus, der den Menschen die Furcht vor der Furcht (vor struktureller und offener Gewalt) nimmt. Shklar möchte nicht "die Segnungen der Freiheit... rühmen", sondern "über die Gefahren der Tyrannei und des Krieges" nachdenken.
Ihr Liberalismus hat nicht unternehmerische Kaufleute, diskursoffene Bürger und tugendpädagogische Maßnahmen im Blick, sondern das Verhältnis der Schwachen zu den Mächtigen. Er sucht nicht wünschenswerte Zustände herbeiführen, sondern verdammungswürdige Zustände zu verhindern: "Die Freiheit, die dieser Liberalismus sichern will, ist die Freiheit von Machtmissbrauch und der Einschüchterung Wehrloser."
Auf den ersten Blick erscheint ein solcher Liberalismus nicht nur minimal und anspruchslos, sondern auch ein wenig gestrig, zumal in den liberalen Demokratien des Westens, die sich ihrer institutionellen Machtkontrollmechanismen (Rechtsstaat, freie Presse) rühmen. Und doch hat es Shklars "Liberalismus der Furcht" in sich, weil sie mit ihm nicht nur die Furcht vor Macht und Tyrannei bezeichnet, sondern - damit einhergehend - auch die Furcht vor einer Gesellschaft furchtsamer Menschen.
Shklar lässt daher einerseits gar keinen Zweifel am traditionellen Kerngedanken des Liberalismus aufkommen: Jeder Erwachsene soll sein Leben ohne Furcht vor Repression gemäß seinen Überzeugungen und Neigungen führen und so viele Entscheidungen über so viele Aspekte seines Lebens treffen können, wie es mit der gleichen Freiheit jedes anderen Erwachsenen vereinbar sei. Auch sei diese Freiheit zweifellos am besten durch eine Verfassung gesichert, durch eine unabhängige Judikative und eine Vielzahl politisch aktiver Gruppen, kurz: durch die Institutionen der repräsentativen Demokratie. So weit, so klar, so unspektakulär.
Allein: Die Selbstsicherheit der liberalen Demokratien auf die Bannung der Furcht, den Sonntagsreden-Stolz der Politiker auf die lineare Fortschrittsgeschichte der Freiheit - den teilte Shklar nicht. Statt dessen bestand sie darauf, den Freiheitsgrad einer Gesellschaft von den Rändern her zu prüfen und zu bestimmen, sich laufend der Empfindungen der weniger Erfolgreichen zu versichern, "die Stimmen der Opfer immer zuerst" zu hören. Shklar selbst hat darunter einen "Liberalismus der permanenten Minderheiten" verstanden, man könnte mit Axel Honneth auch sagen: einen "Liberalismus von unten", einen "Liberalismus der kleinen Leute". Jedenfalls ist es ein Liberalismus, der als Alarmsystem funktioniert - und dessen nicht geringster Vorzug darin besteht, die politische Universalvokabel der "Gerechtigkeit" auszuklammern, um sich die Wachsamkeit dafür zu erhalten, was ungerecht ist.
Ein Liberalismus, in dessen Zentrum die Identifikation von Ungerechtigkeit und die Vermeidung von Unfreiheit steht, ist natürlich alles andere als negativ im trivialliberalen Sinne, im Gegenteil: Er ist positiv, normativ und permanent ausbaubedürftig. Denn es ist erstens ein Liberalismus, der sich durch die laufende Verschiebung und Sicherung der Grenzen auszeichnet, die die Freiheit von der Unfreiheit trennt: "Wenn primäre Freiheiten sichergestellt und fundamentale Befürchtungen beruhigt sind, dann wird der Liberalismus der Furcht seine Aufmerksamkeit anspruchsvolleren Freiheitskonzeptionen zuwenden, anderen Formen der Furcht und anderen Weisen, in denen die Asymmetrien von Macht und Machtlosigkeit zuungunsten letzterer wirken", schreibt der Philosoph Bernard Williams und tatsächlich: Wie beschäftigt der Liberalismus der Furcht noch heute damit ist, die Zone der Unfreiheit zu verkleinern, davon erzählen beispielhaft die so unterschiedlichen (und durchaus noch nicht abgeschlossenen) Emanzipationsgeschichten der (Lohn-)Sklaven, der Frauen und der Schwulen.