Tauchsieder

Der gendergerechte Lohn - was für ein Unsinn!

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Was ist gerechter Lohn?

Der vielleicht schärfste Einwand aber wäre wohl ausgerechnet gegen Linksbewegte zu erheben, die das „Entgelttransparenzgesetz“ für eine prima Idee halten. Denn was passiert, wenn man die Frage der materiellen Gerechtigkeit nicht mehr allein vertikal verhandelt, also entlang der Höhe der Bezahlung und entlang der drei klassischen Gerechtigkeitsfragen: Wie viel muss ein Mensch in Deutschland mindestens verdienen? Wie hoch sollen Top-Bezahlte maximal vergütet werden? Welches Lohnverhältnis zwischen Geschäftsführer und Durchschnittsarbeiter ist pareto-optimal für die Erhaltung eines individual-bürgerlichen Leistungsethos’ einerseits und die soziale Kohäsion einer Gesellschaft andererseits? Sondern wenn man die Frage der materiellen Gerechtigkeit stattdessen auch horizontal zu beantworten sucht?

Es ist jedenfalls gerade für die SPD nicht ungefährlich, die „soziale Frage“ als Subthema von Genderpolitik und Diversitätsdogma zu behandeln - und als ein Sonderrecht besserverdienender Frauen. Denn darauf läuft das Entgelttransparenzgesetz am Ende hinaus. Welche Putzkraft und welche Angestellte in der Systemgastronomie sollte schon auf die Idee kommen, gegenüber ihrem Arbeitgeber auf die Herausgabe von Vergleichsdaten zu pochen, wenn jeder von jedem weiß, dass mehr als neun Euro die Stunde für keinen drin sind?

Kurzum: Bis auf welche Gebiete darf sich Frage des „gerechten Lohnes“ also erstrecken, ohne dass die Gerechtigkeit dabei selbst Schaden nimmt? Vielleicht hilft ein Blick in die Geschichte: Bis weit ins Mittelalter hinein wurde die Frage des „gerechten Lohns“ rein ethisch beantwortet.

Der zentrale Grundsatz suum cuique, jedem das Seine, wies dem Menschen in der guten Ordnung Gottes das zu, was ihm an seinem sozialen Platz zustand. Entsprechend hielt zum Beispiel Thomas von Aquin (1225–1274) wortwörtlich standesgemäße, also höchst unterschiedliche Löhne, für angemessen. Andererseits war die Frage des gerechten Lohns seit der Antike eng an die Frage des gerechten Preises gebunden: Der iustum pretium sichert in der Tauschwirtschaft „jedem das Seine“, schützt also vor Übervorteilung und Ausbeutung. Noch für Martin Luther (1483–1546) galt das aristotelische Prinzip, das ein Lohn dann gerecht ist, wenn eine Leistung einer Gegenleistung entspricht - das noch heute, im christdemokratischen Schlagwort von der „Fairness“ und in der sozialdemokratischen Formel vom „guten Lohn für gute Arbeit“, sein Echo findet.

„Über Geld spricht man nicht“ – doch dieses Gesetz soll das ändern

Erst mit dem Zerfall der mittelalterlichen Ordnung emanzipierte sich die Ökonomie von der Ethik – und die Frage nach dem gerechten Lohn wurde zunehmend an individuellen Interessen und Präferenzen ausgerichtet. Für Thomas Hobbes (1588–1679) etwa war der Wert eines Menschen „nicht höher, als er von anderen geschätzt wird“. Entsprechend ist der Arbeiter im frühen Industriekapitalismus nichts weiter als ein ausbeutbarer Produktivfaktor, der dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt: Der Lohn ist „jener Preis, der nötig ist, die Arbeiter instand zu setzen, sich zu erhalten“, glaubte David Ricardo (1772–1823).

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Eine moderne Wendung erfährt die Geschichte des gerechten Lohns daher erst mit der Emanzipation des Arbeiters zum Konsumenten: Die Sozialdemokratie arbeitet seit 150 Jahren nicht nur an einer Lösung der „sozialen Frage“, sondern sie arbeitet zugleich auch den Interessen von Unternehmern zu, die neue Absatzmärkte für ihre Waren erschließen müssen – und höhere Löhne zahlen, um ihren Kundenkreis zu erweitern.

Seither ist der „gerechte Lohn“ in Deutschland vor allem eine Aufwärtsbewegung, fachlich gesprochen: das ständig neue Ergebnis von (tarif-)politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen auf der Basis eines wachsenden Kapitalstocks. 

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