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Tauchsieder

Was von Erhard übrig blieb

Ludwig Erhard wird behandelt wie eine wirtschaftspolitische Jukebox. An der Grundmelodie von Erhards Denken ist niemand mehr interessiert. Dritter und letzter Teil einer Serie über den Vater der sozialen Marktwirtschaft.

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Ludwig Erhard Quelle: dpa

Vergangene Woche haben wir die historischen Leistungen von Ludwig Erhard gewürdigt – und sind dabei zu einem paradoxen Schluss gekommen: Nur wer Ludwig Erhard radikal historisiert, wird mit ihm gegenwärtig was anzufangen wissen. Nur wer darauf verzichtet, ihn in vergleichender Absicht zu zitieren, wird ihn analogisierend verstehen.

Unser Vorschlag zielte auf eine Entmystifizierung der "Wirtschaftswunder"-Figur. Wir fragten: Warum sind die Wirtschaftswunder-Jahre hierzulande eine Heldensage und die "Trente Glorieuses" in Frankreich nur eine glückliche Wachstumsphase nach dem Zweiten Weltkrieg? Und wir kamen zu dem Schluss: Weil Deutschland seine Souveränität verspielt und die Geschichte den deutschen Staat verneint hatte. Und weil Ludwig Erhard den (west-)deutschen Staat 1948 aus dem Geist der Marktwirtschaft gründete, noch bevor er sich staatsrechtlich konstituierte: Seine Wurzel ist vollkommen ökonomisch.

Die Stärken Deutschlands

Mit der Währungsreform (20. Juni 1948) und der Freigabe der Industriepreise (24. Juni 1948) waren ein knappes Jahr vor der Gründung der Bundesrepublik (23. Mai 1949) nicht nur jede Menge Waren im Umlauf, sondern auch jede Menge Vertrauen in ein Deutschland, das keine starken und totalitären Züge mehr aufwies: "Der institutionelle Embryo" eines Staates, der gleichsam unter der Aufsicht des Marktes stand, erzeugte positive "politische Zeichen", so der französische Philosoph Michel Foucault. Erhards dezentral organisierte Marktwirtschaft schuf die "Legitimität für einen Staat", der sich anschickte, ihr Garant zu werden.

Im Geiste des Neoliberalismus

Anders als in Frankreich (anders auch als in England und den USA), wo sich der (bestehende) Staat als "Modernisierungsagentur" verstand und (fast dasselbe) Wachstum durch "Planification" entfesselte, ist (West-)Deutschland im Geiste des Neoliberalismus aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges auferstanden. Während also die souveränen Siegermächte an die planerischen Erfordernisse der Kriegswirtschaft anknüpften, die Umstellung auf eine Friedenswirtschaft mit staatlichen Impulsen steuerten und sozialpolitisch abfederten, unterzog Erhard das besetzte und zerstörte Deutschland dem Praxistest der neoliberalen Theorie. Diese Theorie stammte fraglos von größeren Denkern, als Erhard einer war, und lag ihm fix und fertig vor.

Was der deutschen Wirtschaft Mut und Angst macht
Konsum Quelle: dpa
Investitionen Quelle: dpa
Angstmacher: EurokriseSie hat sich dank dem Einschreiten der Europäischen Zentralbank (EZB) merklich beruhigt. Seit ihr Chef Mario Draghi Ende 2012 den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder angekündigt hat, hat nach Ansicht der Finanzmärkte die Gefahr einer Staatspleite in Spanien und Italien deutlich abgenommen. Doch die Ruhe könnte sich als trügerisch erweisen. So reagieren die Börsianer zunehmend nervös auf die Umfrageerfolge von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der bei der Parlamentswahl kommende Woche in Italien wieder kandidiert. Berlusconi will viele Reformen seines Nachfolgers Mario Monti wieder zurücknehmen und beispielsweise die Immobiliensteuer wieder abschaffen. Quelle: REUTERS
Angstmacher: Euro-StärkeDie Gemeinschaftswährung steht unter Aufwertungsdruck. Seitdem die japanische Notenbank ihre Geldschleusen geöffnet hat, ist der Euro um 20 Prozent im Verglich zum Yen gestiegen. Dort sitzen einige der größten Konkurrenten der deutschen Exporteure, darunter Autokonzerne wie Toyota und viele Maschinenbauer. Sie können ihre Produkte dank der Yen-Abwertung billiger anbieten. Quelle: dpa
Auch im Vergleich zu anderen Währungen ist der Euro teurer geworden. Experten warnen bereits vor einem Abwertungswettlauf. Noch können die deutschen Exporteure mit dem Wechselkurs gut leben. Die größere Sorge ist, dass weniger konkurrenzfähige Euro-Länder wie Frankreich oder Italien darunter leiden. Das würde am Ende auch Deutschland treffen, das fast 40 Prozent seiner Waren in die Währungsunion verkauft. Quelle: dpa

Wie aber konnte sich Ludwig Erhard seiner Sache so sicher sein? Alfred Müller-Armack, Walter Eucken, Wilhelm Röpke, auch Friedrich August von Hayek haben der neoliberalen Theorie schließlich je eigene Akzente verliehen. Dennoch waren die Wurzeln und Grundzüge der sozialen Marktwirtschaft bereits 1948 wie in Stein gemeißelt. In doppelter Abkehr einerseits von einem Liberalismus, der die Marktwirtschaft in den Zwanzigerjahren "zum Idol seiner Weltanschauung" pervertiert hatte und dem Irrtum erlegen war, "die Wettbewerbsordnung für eine Naturform gehalten zu haben, die keiner besonderen Pflege bedarf" (Müller-Armack) sowie andererseits von einem Faschismus, der als unheilvolle Melange aus Nationalismus, Sozialismus, Industrialismus, Vermassung und Tyrannei gedeutet wurde (von Hayek), gewann die neoliberale Theorie ihre spezifische Kontur.

Gefahr für die Gesellschaft

Alles, was auch nur entfernt nach Kartell, Kollektivismus und (Staats-)Allmacht roch, wurde als Gefahr für das Gewebe einer sozialen Gesellschaft selbstbestimmter Bürger markiert. Das ging so weit, dass sich von Hayek und Röpke bereits vor dem Ende des Krieges nicht einmal scheuten, in Großbritannien den nächsten Nazismus heraufziehen zu sehen, nur weil William Beveridge dort gerade dabei war, eine aus Steuermitteln finanzierte staatliche Gesundheitsversicherung für alle durchzusetzen.

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