Tauchsieder
Eine medizinische Maske liegt am Straßenrand. Quelle: imago images

Ziehen wir die richtigen Lehren aus der Corona-Zeit?

Macron erklärte Covid vor drei Jahren den Krieg, Lauterbach warnte noch vor einem Jahr vor einer „absoluten Killer-Variante“. Jetzt wird das Virus in aller Stille politisch beigesetzt. Alles wieder gut? Nicht wirklich. Eine Kolumne.

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Die Inzidenzen ziehen wieder an, besonders im Südwesten der Republik, in den Kreisen Limburg, Merzig und Euskirchen, rund 500, keine Kleinigkeit. Was soll’s. Das Robert-Koch-Institut meldet 20.000 Neuinfizierte täglich, rund 1000 Coronapatienten liegen auf den Intensivstationen der Krankenhäuser, rund 100 sterben an und mit dem Virus in Deutschland, Tag für Tag. Wen kümmert’s.

Keiner schaut noch sorgenvoll auf die Dashboards von „Worldometer“, des Robert-Koch-Instituts oder der Johns-Hopkins-University. Corona ist endemisch, Gewohnheit, Alltag, wie Grippe, trifft vor allem Alte und Kranke, jeder kann sich impfen lassen. Kein Ding. Wir werden irgendwann lernen müssen, mit dem Virus zu leben, hieß es während der Pandemie immer wieder, und auch wenn das schon damals nur die halbe Wahrheit war, weil es vor allem darum geht, mit dem Sterben zu leben, ein paar Tausend Todesopfer jährlich hinnehmen zu lernen: Das wäre geschafft.

680 Millionen Infizierte haben die Behörden bis heute weltweit gezählt und 6,8 Millionen Tote. Und noch immer ringen im Schnitt rund 40.000 Infizierte rund um den Globus mit dem Corona-Tod. Aber spätestens seit China im Dezember 2022 seine totalitäre Null-Covid-Politik revidierte, das Virus durchs weitgehend ungeimpfte Land rauschen ließ und wohl Zehntausende in den sicheren Tod schickte, um wieder Anschluss zu finden an die Welt – spätestens seither ist das Virus kein Primärthema des Regierungshandelns mehr.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat Corona erst aus den Nachrichten, dann auch aus unserem Bewusstsein gedrängt. Und das Virus selbst hat sich durch seine Omikron-Mutation schon vor einem Jahr gewissermaßen aus dem Spiel genommen. Allein der Gesundheitsminister Deutschlands mochte die Pandemie (und sich) bis zuletzt nicht für politisch bedeutungslos erklären: Karl Lauterbach warnte noch im April 2022 vor einer „absoluten Killer-Variante“ – zwei Monate nachdem die Menschen in Dänemark bereits ihre Corona-Pässe zurückgegeben und ihre Masken abgelegt hatten.

Nun also auch Deutschland. Die Bundesländer haben im Januar die Isolationspflicht für Corona-Infizierte aufgehoben. Anfang Februar wurde die Maskenpflicht in Zügen und Bussen des Fernverkehrs ausgesetzt. Am 1. März folgte das Ende der Testpflicht für Mitarbeitende in medizinischen Einrichtungen. Am 7. April ist dann auch flächendeckend Schluss mit der Maskenpflicht im Nahverkehr. Alles vorbei also? Alles wieder gut?

Knüpfte man an die Rhetorik des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron an, der im März 2020 erklärte, die Welt stünde im „Krieg“ mit Corona und habe sich eines „unsichtbaren Feindes“ zu erwehren, wäre zu sagen: Wir haben Frieden geschlossen mit dem Virus. Und unsere Impf-, Masken- und Maßnahmentruppen wieder zurück in die Kasernen beordert.

Aber damit ist es nicht getan. Denn jetzt geht es um die Einordnung und Deutung der Coronapandemie, die Aufarbeitung politischer Fehler – um die Geschichte, die sich die Deutschen einmal erzählen werden über ihr Land in der Pandemie. Man könnte auch sagen: Es geht jetzt erst richtig los, nämlich ums Recht(gehabt)haben und Abrechnen, und viele Politiker und Publizisten fahren noch einmal schwere Geschütze auf, machen abermals mobil: So und nicht anders ist es gewesen!

Wolfgang Kubicki etwa, der FDP-Vize und stellvertretende Bundestagspräsident, möchte eine Enquete-Kommission des Parlamentes einsetzen, um die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie „(retrospektiv) auf ihre Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit“ zu überprüfen. Eine ausgezeichnete Idee. Eine kritische Überprüfung und Aufarbeitung, ob und wie das Zusammenspiel „von Exekutive, Legislative und Judikative auf dem Boden der Verfassungsordnung (noch) funktionierte“, ist nicht nur mit Blick auf die informell-formellen Beschlüsse der „Ministerpräsidentenkonferenzen“ geboten: Wie ließen sich künftig Geschwindigkeitsgebot, gerichtsfeste Beschlussverbindlichkeit und parlamentarische Mit- und Aussprache miteinander in Einklang bringen?

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Das Problem dabei scheint von vornherein zu sein, dass bei diesen Aussprachen offenbar auch persönliche Verletzungen und Kränkungen auskuriert werden sollen. So meint sich Kubicki mit dem Journalisten Heribert Prantl einig, dass kritische Stimmen während der Pandemie nicht genug Gehör bekommen hätten – obwohl während der Pandemie ständig von „zwei Schulen“ die Rede war, zwei (Lager von) Virologen in Fern(seh)duellen permanent die Klingen kreuzten und sich „Team Vorsicht“ in politischem Dauerwettstreit mit „Team Augenmaß“ befand.

Gleichwohl: Kritik sei damals „abgebügelt“ worden, verkündet Prantl, Andersdenkende seien „als Verschwörungstheoretiker bezeichnet“ worden: „Mir war dieser Staat, der mein Staat ist, der unser Staat ist, nie so fremd wie in dieser Zeit.“ Besonders der spätere Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe ein schlechtes Bild abgegeben, meint Prantl, habe „hysterisiert“ und dadurch „die Querdenkerei mit großgezogen“ – ein Vorwurf, den wiederum Lauterbach der bösen Legendenbildung zurechnet, als „perfide“ empfindet und entschieden zurückweist: Er habe nur versucht, die Bevölkerung zu schützen, „im Einklang mit der Wissenschaft“, was gebe es da zu denunzieren?

Allerdings räumt auch Lauterbach im Rückblick ein, manche Schutzmaßnahmen seien falsch, ja „Schwachsinn“ gewesen: Aufenthaltsverbote im Freien etwa, wie sie vor allem in Bayern verhängt worden seien, aber auch Schul- und Kitaschließungen: „Das hätte man so lange nie durchziehen dürfen.“ Und Kubicki legt den Finger noch einmal in die Wunde: „Die Schulen in Deutschland waren an 183 Tagen ganz oder teilweise geschlossen.“

Und hier sind wir bei vier weiteren Problemen der forschen (Selbst-)Kritik: Man blickt unterschiedslos auf „die Coronazeit“ zurück, kreidet sich vor allem die falschen Fehler an, unterschlägt die wirklich schweren Fehler – und zieht mit Blick auf die Zukunft auch noch den falschen Schluss, man könne aus Fehlern lernen, um sie in der nächsten Pandemie zu vermeiden. Anders gesagt: Man häuft auf Fehler der Vergangenheit Fehler der Gegenwart.

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