Terror-Abwehr Pro und Contra zur Vorratsdatenspeicherung

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PRO: Schützt die Opfer von Verbrechen und die Bürger!

Pro Vorratsdatenspeicherung: Quelle: dapd

Ein einziger Fall aus der kriminalpolizeilichen Praxis sagt über die Bedeutung der „Vorratsdatenspeicherung“ mehr aus als hundert lange Reden: Am 28.Mai 2009 erhielt das Bundeskriminalamt aus dem Ausland Hinweise auf 3.743 Zugriffe aus Deutschland auf ein kinderpornografisches Board. Der Tatzeitraum erstreckte sich über gut zwei Monate zwischen Februar und April 2009. Da damals die zur Aufklärung notwendigen Bestands- und Verkehrsdaten noch sechs Monate lang gespeichert werden mussten, war es den Ermittlern möglich, die IP-Adressen von 75 deutschen Providern insgesamt 1.237 Tatverdächtigen zuzuordnen. Viele waren der Polizei einschlägig bekannt und vorbestraft. Heute, gut neun Monate nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wäre ein solcher Tatkomplex nicht mehr aufklärbar.

Abgesehen von den relativ wenigen Fällen, in denen die Daten noch aus Abrechnungsgründen gespeichert werden müssen, speichern die Provider heute die elektronischen Daten nur noch bis zu sieben Tage. Und da es außer den elektronischen Spuren keine weiteren Ermittlungsansätze gibt, könnte heute im beschriebenen Fall kein Täter mehr ermittelt werden. Aber auch mit Hilfe der vermeintlichen Wunderwaffe „Quick Freeze“,  dem vorüber gehenden „Schockfrosten“ von sonst gelöschten Telekommunikationsdaten durch Strafverfolger, könnte hier kein einziger Täter ermittelt werden.

Dennoch haben es die Kritiker der Vorratsdatenspeicherung leicht. Sie behaupten einfach eine Erosion des Rechtsstaates und einen Abbau von Bürgerrechten (gerade so, als wenn die Unaufklärbarkeit von tausenden Straftaten in jedem Jahr den Rechtsstaat stärken würde). Sie malen in düsteren Farben die unersättliche Datensammelwut des Staates an die Wand - obwohl die Daten alle bei den privaten Providern gespeichert werden und ein Zugriff der richterlichen Kontrolle unterliegt. Gerne wird auch behauptet, jede verdachtslose Datenspeicherung sei ohnehin verfassungswidrig. Das gilt natürlich nicht, wenn man ganz schlicht ein Auto für den Straßenverkehr anmelden möchte.

Gleichzeitig weigern sich die Kritiker standhaft, auf die Folgen einer fehlenden Mindestspeicherfrist hinzuweisen. Auch spielt das Schicksal der Opfer von Straftaten, die künftig nicht mehr aufgeklärt werden könnten, in der öffentlichen Debatte allenfalls am Rande eine Rolle. Die Kritik wäre nachvollziehbar, wenn der Staat auf die gespeicherten Daten nach Lust und Laune zugreifen könnte – aber gerade das war nie geltendes Recht und sollte auch nie Recht werden! Ohne erfolgte oder drohende Straftat und ohne richterlichen Beschluss ist ein Zugriff nicht möglich. Missbrauch wurde zwar oft behauptet aber nie nachgewiesen.

Bei der Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinie hat sich Deutschland – aus guten Gründen – für die Mindestspeicherfrist entschieden. Ein Indiz dafür, dass sich der Staat der Tiefe des Eingriffs stets bewusst war und deshalb den weiten Ermessensspielraum der EU-Richtlinie gerade nicht extensiv genutzt hat. Im Gegenteil! Entgegen der Behauptungen und Erwartungen der Kläger hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht entschieden, dass eine Vorratsdatenspeicherung generell verfassungswidrig sei. Das Gericht hat an die Speicherung und den Zugriff auf die Daten strenge Anforderungen gestellt. Das Urteil ist so abgefasst, dass es dem Gesetzgeber faktisch keinen Gestaltungsspielraum lässt. Der Gesetzgeber müsste das Urteil eigentlich jetzt nur noch in Gesetzessprache umformulieren, um zu einer verfassungskonformen Neuregelung zu kommen.

Erstaunlicherweise lässt sich das Bundesjustizministerium hier mächtig Zeit. Anders war es vor Jahren bei der EU-rechtlich ebenfalls notwendigen Umsetzung der berühmten vier Anti-Diskriminierungs-Richtlinien. Damals konnte es dem Ministerium gar nicht schnell genug gehen. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist nicht die Folge einer schier grenzenlosen Datensammelwut der Sicherheitsbehörden, sondern das Ergebnis bitterer Erfahrungen mit dem mörderischen Treiben des internationalen Terrorismus. Besonders das Attentat im Madrider Bahnhof Atocha, bei dem am 2004 über 190 Menschen ihr Leben verloren und 2051 teils schwer verletzt wurden, hat die Bemühungen der EU vorangetrieben.

Der internationale Terrorismus ist nicht nur hoch kommunikativ, er agiert auch hoch konspirativ. Vor diesem Hintergrund ist die Überwachung der Telekommunikation für die Gefahrenabwehr und die Aufklärung von schweren Straftaten von überragender Bedeutung. Ohne eine neue, verfassungskonforme Regelung zur Vorratsdatenspeicherung werden unseren Sicherheitsbehörden auch weiterhin viele wichtige Ermittlungsansätze fehlen. Diese Schutzlücke müssen wir schließen! Nicht im Interesse der Sicherheitsbehörden des Staates, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, für die unser Land eine Schutzpflicht hat.

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