Terror-Abwehr Pro und Contra zur Vorratsdatenspeicherung

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CONTRA: Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Dateien

Contra Quelle: AP

Jeder Terrorwarnung folgt zuverlässig der Ruf nach schärferen Gesetzen von den politischen Scharfmachern, die ohnehin mit der Illusion von absoluter Sicherheit Freiheitsrechte immer mehr einschränken wollen. Zu diesen gehört so mancher Innenminister. Sie scheinen geradezu auf eine neue Bedrohung zu warten, um alte Gesetze neu in die Diskussion zu bringen. So war es jetzt wieder. Die Bombenattrappe am Flughafen in Namibia war noch nicht untersucht, da war die Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung wieder da.

Niemanden kümmert es, dass schon nach geltendem Recht die Strafverfolgung im Internet, wo künftig der Zugriff auf Verbindungsdaten erfolgen soll, sogar effektiver ist als außerhalb. 2009 konnte die Polizei 75,7 Prozent aller Delikte mit Tatort Internet aufklären. Die Aufklärungsquote für alle Delikte lag nur bei rund 55 Prozent. Hinzu kommt, dass die Telekommunikations-Unternehmen auch nach dem Verbot der Speicherung von Verbindungsdaten auf Vorrat durch das Bundesverfassungsgericht diese Kundendaten ein bis drei Monate rekonstruieren können, selbst bei einer Flatrate geht das für drei bis sieben Tage. Es werden also ausreichend Verbindungsdaten gespeichert, um Kriminalität wirksam zu bekämpfen . 2009 beantwortete allein die Deutsche Telekom 2,7 Millionen Anfragen nach IP-Adressen zur Verfolgung von Urheberrechtsdelikten.

Defizite sehen die Polizeifachleute nicht etwa in zu laschen Gesetzen, sondern bei ausreichend qualifiziertem Personal und guten Computern. Auch die Europäische Union fordert aktuell nicht, mehr Verbindungsdaten zu speichern. Die EU-Richtlinie, welche neben Deutschland sechs weitere Mitgliedsländer noch nicht umsetzten, soll ohnehin überarbeitet werden. Eine Klage ist am Europäischen Gerichtshof anhängig, weil die Richtlinie die EU-Grundrechte-Charta verletzt. In dieser Situation ist deutscher Aktionismus  nicht angesagt.

Die Vorratsdatenspeicherung greift tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Das Bundesverfassungsgericht hat sie deshalb untersagt. Zwar will es sie in engstem Rahmen begrenzt zulassen, aber fraglich ist, ob die dafür festgelegten Grenzen technisch eingehalten werden können. Und nicht alles, was technisch oder rechtlich möglich ist, ist auch wünschenswert.

Die Speicherung aller Verbindungsdaten würde 82 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in fast allen Lebensbereichen „durchsichtig“ machen. Soziale Kontakte würden dokumentiert, Bewegungen genau nachweisbar, persönliche Problemsituationen erkennbar, geschäftliche und private Kommunikation wären nicht länger vertraulich. Berufsgeheimnisträger wie Priester, Ärzte, Parlamentarier, Journalisten oder Anwälte würde das nötige Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten, Mandanten oder Informanten nicht mehr wahren können.

Vorratsdatenspeicherung greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, egal wie lange sie dauert. Das gilt auch für die nun propagierten angeblichen Kurzspeicherungen („Quick Freeze“). Wenn Datenmengen fast der Gesamtbevölkerung gesammelt und gespeichert zur Verfügung stehen, entsteht der Wunsch allüberall diesen Datenschatz auch zu heben. Nicht nur bei Behörden vom Sozial- oder Finanzamt bis zum Geheimdienst, sondern auch bei Privatunternehmen werden Begehrlichkeiten wachsen, die Daten zu nutzen - oft zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger. Das lehrt die Erfahrung.

Gegenteiligen Zusicherungen ist nicht zu trauen. So war es im Mautgebührengesetz ausdrücklich verboten, die Daten außer zur ordnungsgemäßen Gebührenerhebung bei Lkws zu anderen Zwecken zu nutzen. Gerade mal zwei Jahre später wurde das Gesetz einfach geändert und ermöglichte nun, die Daten für Strafverfahren auch wegen Terrorismus, Diebstahl und Räuberei zu einzusetzen. Private Verbände fordern schon jetzt eine möglichst lange Speicherung von Verbindungsdaten – und sobald sie zur Verfügung stehen, werden sie davon Gebrauch machen wollen. Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Dateien.

Die Speicherung aller Telefongesprächs- und Internetverbindungen fast der ganzen Bevölkerung ohne Verdacht ist Ausdruck tiefsten Misstrauens des Staates gegenüber dem Volk. Jeder und jede könnte ja Böses im Schilde führen. Aber solche Angst darf staatliches Handeln nicht bestimmen - nicht für eine ohnehin immer unvollständig bleibende Sicherheit zu Lasten der Privatsphäre. Echte oder scheinbare Bedrohungen dürfen nicht als Vorwand zur Einschränkung von BürgerInnenrechten dienen. "Diejenigen, die ihre Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgeben, werden am Ende keines von beiden haben - und verdienen es auch nicht“, soll Benjamin Franklin schon im 18. Jahrhundert formuliert haben.

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