Terror in Brüssel "Deutschland muss jederzeit mit einem Anschlag rechnen"

Der Islamische Staat hat sich zu den Anschlägen in Brüssel bekannt. Sicherheitsexperte Florian Peil erklärt, warum die Attacken wertvoll für die Terrororganisation sind, was die Situation im Viertel Molenbeek so gefährlich macht und warum es den Behörden schwer fällt, die Terroristen zu überwachen.

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So gedenkt die Welt der Opfer von Brüssel
Eiffelturm in Paris in den belgischen Farben Quelle: REUTERS
Berlin: In der deutschen Hauptstadt wird am Abend der Terroranschläge das Brandenburger Tor in den Farben der belgischen Trikolore angestrahlt. Quelle: dpa
Gerichtsgebäude von Lyon Quelle: REUTERS
RomDer weltberühmte Trevi-Brunnen, eines der größten Wahrzeichen von Italiens Hauptstadt Rom, wurde in Schwarz-Gelb-Rot getaucht. Quelle: REUTERS
Neptun-Brunnen auf der Piazza Signoria in Florenz Quelle: dpa
PolenIn Warschau ließen die Polen den Palast der Kultur und Wissenschaft in den Farben der belgischen Tricolore anstrahlen. „Die Tragödie, die sich heute in Brüssel ereignete, zeigt, dass wir in einer Welt leben, in der eigentlich alle Werte, die wir als Fundament für den Bau einer Gemeinschaft erachten, anfangen, in Trümmern zu liegen“, sagte polnische Regierungschefin Beata Szydlo. Quelle: dpa
Belgische Botschaft in Prag Quelle: REUTERS

Herr Peil, sind die Anschläge auf den Brüsseler Flughafen und den U-Bahnhof Maelbeek im EU-Viertel der Stadt die Antwort des „Islamischen Staats“ auf die Festnahme des Paris-Attentäters Salah Abdeslam?
Florian Peil: Das ist sicherlich der Eindruck, den der IS mit den Anschlägen erwecken will. Tatsächlich braucht die Vorbereitung eines solchen Anschlags Zeit, in diesem Fall Monate. So eine Attacke organisiert niemand in ein paar Tagen. Zum Zeitpunkt der Verhaftung Abdelslams dürften die Vorbereitungen weitgehend abgeschlossen gewesen sein. Die Verhaftung könnte jedoch ein Auslöser dafür gewesen sein, die Pläne in die Tat umzusetzen.

Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve sprach nach der Festnahme Abdeslams von einem „wichtigen Schlag“ gegen den IS. Inwiefern ist der „Gegenschlag“ des IS nun psychologisch wertvoll für die Terrororganisation?
Der IS hat seinen Anhängern und den Sympathisanten bewiesen, dass er auf Knopfdruck im Herzen Europas komplexe Terroranschläge verüben kann. Und zwar mit beinahe chirurgischer Präzision: Genau dort, wo er selbst angegriffen wurde. Abdeslam wurde in Brüssel verhaftet und vier Tage später werden Flughafen und Metro attackiert – das ist ein Propaganda-Coup für den IS. Darüber hinaus belegt es eine zunehmende Professionalisierung des IS und macht deutlich, über welch gefestigte Strukturen er bereits in Europa verfügt.


Zur Person

Können Sie das genauer erklären?
An solchen Anschlägen sind immer Unterstützer und Logistiker beteiligt, die helfen, die Attacken vorzubereiten, Waffen und Sprengstoffe beschaffen, Bomben bauen und grundsätzlich das Organisatorische übernehmen. Die Attentäter sind immer nur der sichtbare Teil solcher Anschläge. Im aktuellen Fall ist dieses Netzwerk zudem eingebettet in eine Gemeinschaft aus Sympathisanten und Mitwissern.

Diese Gemeinschaft bildet der Brüsseler Stadtteil Molenbeek, wo Abdeslam sich zuvor vier Monate verstecken konnte, obwohl sein Gesicht in der ganzen Welt bekannt war.
Die meistgesuchte Person Europas kann man nicht vier Monate lang unbemerkt verstecken. Es gibt immer Mitwisser. Die Tatsache, dass so eine Information nicht nach außen gesickert ist, zeigt nur, wie eng die Bindung innerhalb dieser Gemeinschaft in Teilen von Molenbeek sein muss.


So gedenkt die Welt der Opfer von Brüssel
Eiffelturm in Paris in den belgischen Farben Quelle: REUTERS
Berlin: In der deutschen Hauptstadt wird am Abend der Terroranschläge das Brandenburger Tor in den Farben der belgischen Trikolore angestrahlt. Quelle: dpa
Gerichtsgebäude von Lyon Quelle: REUTERS
RomDer weltberühmte Trevi-Brunnen, eines der größten Wahrzeichen von Italiens Hauptstadt Rom, wurde in Schwarz-Gelb-Rot getaucht. Quelle: REUTERS
Neptun-Brunnen auf der Piazza Signoria in Florenz Quelle: dpa
PolenIn Warschau ließen die Polen den Palast der Kultur und Wissenschaft in den Farben der belgischen Tricolore anstrahlen. „Die Tragödie, die sich heute in Brüssel ereignete, zeigt, dass wir in einer Welt leben, in der eigentlich alle Werte, die wir als Fundament für den Bau einer Gemeinschaft erachten, anfangen, in Trümmern zu liegen“, sagte polnische Regierungschefin Beata Szydlo. Quelle: dpa
Belgische Botschaft in Prag Quelle: REUTERS

Was macht die Sache so gefährlich?
Die Sicherheitsbehörden erhalten keinen Zugriff. Sitzt ein Großteil des Netzwerks in Molenbeek, ist eine Kommunikation per Mail oder Telefon nicht mehr notwendig, da alles direkt und persönlich weitergegeben werden kann. Eine elektronische Überwachung fördert daher keine relevanten Informationen zu Tage. Bei der Überwachung dieser Milieus gibt es ganz erhebliche Lücken.

Wie können Regierung und Behörden diese Lücken schließen?
Der entscheidende Punkt ist: Die Sicherheitsbehörden brauchen Zugänge zu diesen Milieus – über Informanten. Das ist aber im jihadistischen Milieu sehr schwierig. Die Geheimdienste müssten hier viel aggressiver vorgehen dürfen. Dafür brauchen die Behörden aber auch die entsprechenden Befugnisse.


Unmöglich, alle potentiellen Ziele zu schützen

Das müssen Sie erläutern.
In Deutschland dürfen sich V-Leute beispielsweise nur in sehr eingeschränktem Maße bei der Aufklärung strafbar machen. Das können Sie aber in vielen Milieus gar nicht verhindern, wollen Sie Zugang zum inneren Zirkel bekommen. Wer nicht mitzieht, ist raus. Hinzu kommt, dass solche Einschleusungen dauern können - mitunter sind es Jahre, bis ein Informant brauchbare Informationen liefert.

Ähnlich wie in Paris liefen die Attacken in Brüssel nahezu gleichzeitig ab, was viel Kommunikation erfordert. Ist es ein Versagen der Sicherheitsbehörden, dass das – trotz verschärfter Sicherheitsvorkehrungen – zum zweiten Mal geschehen konnte?
Sicher sind die Anschläge von Brüssel auch ein Versagen der Sicherheitsbehörden. Was die Attacken in Paris und Brüssel verbindet ist der Umstand, dass beide vermutlich vom selben Netzwerk ausgeführt wurden. Das wäre das erste Mal, dass ein solches Netzwerk zwei große Anschläge hintereinander verüben kann. Normalerweise werden solche Netzwerke nach dem ersten Anschlag von den Behörden zerschlagen. Der norwegische Terrorismusforscher Thomas Hegghammer hat darauf hingewiesen.


Die Gegner des Islamischen Staates

Bei den Anschlägen wurden Bomben genutzt. Wie kamen die Terroristen trotz der intensiven Fahndung nach den Attacken von Paris an die Materialien?
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Materialien dieselben sind, die die Terroristen bereits in Paris benutzt haben. Sie dürften diese also lange vor den Anschlägen in einer einzigen Charge besorgt haben. Denn nach den Attacken von Paris wird es nahezu unmöglich gewesen sein, solche Materialien zu beschaffen.

Der "New York Times" liegt ein Bericht des französischen Innenministeriums vor, in dem einer der Anschlagsplaner von Paris mit den Worten zitiert wird: „Trefft jeden und alles.“ Von der Suche nach speziellen Zielen rät er ab. Ist so ein Terrorismus überhaupt noch zu bekämpfen?
Das Ziel dieser Terroristen ist Massenmord. Das geht am einfachsten, indem sie weiche Ziele angreifen, solche, an denen regelmäßig viele Menschen zusammenkommen. Für die Sicherheitsbehörden ist es unmöglich, alle potentiellen Ziele zu schützen. Dafür sind aktuell einfach nicht genügend Ressourcen vorhanden, personell wie finanziell.


Das heißt, wir können solche Attacken nur hinnehmen?
Man müsste viel früher ansetzen: Solche Milieus wie Molenbeek dürfen gar nicht erst entstehen.

Dafür ist es jetzt zu spät.
Das stimmt. Jetzt geht es darum, die Symptome zu bekämpfen, das ist Aufgabe der Behörden. Aber zugleich muss die Politik anfangen, den Ursprüngen etwas entgegen zu setzen. Terrorismus ist ein gesellschaftliches Problem und seine Bekämpfung setzt entsprechende Maßnahmen voraus: Prävention, Aufklärung, Programme zur Deradikalisierung. Es muss verhindert werden, dass die Menschen nach Syrien ausreisen wollen, dann tatsächlich ausreisen und in Camps die Fähigkeiten für solch komplexe Anschläge erlernen.


Muss nach den Anschlägen von Brüssel die Sicherheitslage in Deutschland neu bewertet werden?
Die Lage hierzulande hat sich meiner Ansicht nach nicht geändert. Der Anschlag zeigt einfach nur, wie bedrohlich die Lage die ganze Zeit über ist. Der IS verfügt mit hoher Wahrscheinlichkeit über Netzwerke und Attentäter, die solche Attacken auch in Deutschland ausführen können. Wir müssen jederzeit mit einem Anschlag rechnen.

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