Terror in Brüssel "Deutschland muss jederzeit mit einem Anschlag rechnen"

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Unmöglich, alle potentiellen Ziele zu schützen

Das müssen Sie erläutern.
In Deutschland dürfen sich V-Leute beispielsweise nur in sehr eingeschränktem Maße bei der Aufklärung strafbar machen. Das können Sie aber in vielen Milieus gar nicht verhindern, wollen Sie Zugang zum inneren Zirkel bekommen. Wer nicht mitzieht, ist raus. Hinzu kommt, dass solche Einschleusungen dauern können - mitunter sind es Jahre, bis ein Informant brauchbare Informationen liefert.

Ähnlich wie in Paris liefen die Attacken in Brüssel nahezu gleichzeitig ab, was viel Kommunikation erfordert. Ist es ein Versagen der Sicherheitsbehörden, dass das – trotz verschärfter Sicherheitsvorkehrungen – zum zweiten Mal geschehen konnte?
Sicher sind die Anschläge von Brüssel auch ein Versagen der Sicherheitsbehörden. Was die Attacken in Paris und Brüssel verbindet ist der Umstand, dass beide vermutlich vom selben Netzwerk ausgeführt wurden. Das wäre das erste Mal, dass ein solches Netzwerk zwei große Anschläge hintereinander verüben kann. Normalerweise werden solche Netzwerke nach dem ersten Anschlag von den Behörden zerschlagen. Der norwegische Terrorismusforscher Thomas Hegghammer hat darauf hingewiesen.


Die Gegner des Islamischen Staates

Bei den Anschlägen wurden Bomben genutzt. Wie kamen die Terroristen trotz der intensiven Fahndung nach den Attacken von Paris an die Materialien?
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Materialien dieselben sind, die die Terroristen bereits in Paris benutzt haben. Sie dürften diese also lange vor den Anschlägen in einer einzigen Charge besorgt haben. Denn nach den Attacken von Paris wird es nahezu unmöglich gewesen sein, solche Materialien zu beschaffen.

Der "New York Times" liegt ein Bericht des französischen Innenministeriums vor, in dem einer der Anschlagsplaner von Paris mit den Worten zitiert wird: „Trefft jeden und alles.“ Von der Suche nach speziellen Zielen rät er ab. Ist so ein Terrorismus überhaupt noch zu bekämpfen?
Das Ziel dieser Terroristen ist Massenmord. Das geht am einfachsten, indem sie weiche Ziele angreifen, solche, an denen regelmäßig viele Menschen zusammenkommen. Für die Sicherheitsbehörden ist es unmöglich, alle potentiellen Ziele zu schützen. Dafür sind aktuell einfach nicht genügend Ressourcen vorhanden, personell wie finanziell.


Das heißt, wir können solche Attacken nur hinnehmen?
Man müsste viel früher ansetzen: Solche Milieus wie Molenbeek dürfen gar nicht erst entstehen.

Dafür ist es jetzt zu spät.
Das stimmt. Jetzt geht es darum, die Symptome zu bekämpfen, das ist Aufgabe der Behörden. Aber zugleich muss die Politik anfangen, den Ursprüngen etwas entgegen zu setzen. Terrorismus ist ein gesellschaftliches Problem und seine Bekämpfung setzt entsprechende Maßnahmen voraus: Prävention, Aufklärung, Programme zur Deradikalisierung. Es muss verhindert werden, dass die Menschen nach Syrien ausreisen wollen, dann tatsächlich ausreisen und in Camps die Fähigkeiten für solch komplexe Anschläge erlernen.


Muss nach den Anschlägen von Brüssel die Sicherheitslage in Deutschland neu bewertet werden?
Die Lage hierzulande hat sich meiner Ansicht nach nicht geändert. Der Anschlag zeigt einfach nur, wie bedrohlich die Lage die ganze Zeit über ist. Der IS verfügt mit hoher Wahrscheinlichkeit über Netzwerke und Attentäter, die solche Attacken auch in Deutschland ausführen können. Wir müssen jederzeit mit einem Anschlag rechnen.

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