Terror in Düsseldorf „Wie weit ist das weg von Deiner Arbeit?“ „600 Meter“

Düsseldorf als Angriffsziel von Terroristen? Viele Redakteure lassen die Ereignisse auch nach Feierabend lange noch nicht los. Denn die Altstadt ist nur wenige Meter vom Büro des Handelsblatt entfernt. Ein Streiflicht.

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An der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee haben IS-Terroristen einen Anschlag geplant. Quelle: dpa

Düsseldorf/Köln Am Tag, nachdem bekannt wurde, dass die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in der Düsseldorfer Altstadt einen Anschlag plante, regieren die Menschen unterschiedlich. Für viele Redakteure beim Handelsblatt ist die Festnahme dreier mutmaßlicher Terroristen auch noch Thema, lange nachdem die Zeitung in Druck ist und Online alle Nachrichten verarbeitet sind. Denn die Düsseldorfer Altstadt ist nur einen Steinwurf vom eigenen Arbeitsplatz entfernt – wie für Axel Schrinner und seine Tochter: „Papa, arbeitest Du nicht da?“, fragt die Tochter. „Ja“, antwortet er. „Wie weit ist das weg von Deiner Arbeit?“ „600 Meter.“

Andere sind nicht überrascht, fühlen sich wenig betroffen. Denn für sie ist die Bedrohung nicht neu. Unsere Redakteure berichten, was sie erlebt haben.


Stefan Menzel: Die Angst vor dem Terror und die Reaktion der Kinder

Schon auf dem Heimweg ist mir am Donnerstag klar gewesen: Das wird zu Hause kein gewöhnlicher Abend. Schon den ganzen Nachmittag über liefen die Meldungen über den geplanten Terroranschlag in der Düsseldorfer Altstadt, natürlich mussten meine Kinder davon etwas mitbekommen haben. Sie würden mich danach fragen, zumal die Redaktion nur wenige Hundert Meter entfernt ist vom avisierten Anschlagsziel in der Heinrich-Heine-Allee in der Düsseldorfer Innenstadt.

Was ich erwartet hatte, passierte dann auch sofort. Ich hatte nur die Haustür aufgeschlossen, da kam schon mein Junge auf mich zu. „Papa, hast du gehört? Warum Düsseldorf? Warum ausgerechnet dort, wo wir leben? Ich bin doch manchmal auch an der Heine-Allee“, sagte mein Sohn.

Wie sollte ich in diesem Moment reagieren? Mein Kind hat Angst, fühlt sich bedroht, wird vielleicht an den nächsten Tagen nicht mehr in die Stadt gehen. Paris und Brüssel waren am Ende doch weit weg. Aber Düsseldorf ist unsere Stadt.

Ich wollte meinen Kindern nicht noch mehr Angst machen, meine einzige Chance. Ich versuchte, so viel Positives wie nur möglich herauszuholen. „Seht doch, die Polizei hat gut gearbeitet. Sie haben die Täter geschnappt, bevor etwas passieren konnte. Wir müssen also nicht befürchten“, war meine Reaktion.

Doch natürlich standen immer noch die Fragezeichen in den Gesichtern meiner Kinder. Auch mein Hinweis, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Terroranschlag am Ende extrem niedrig ist, hat sie nicht richtig überzeugen können. Ich hoffe, dass ich ihnen zumindest ein wenig Mut machen konnte. Nicht viel, aber immerhin. Mit einem Rest von Unsicherheit und Ungewissheit müssen wir jetzt alle leben. Nicht nur die Kinder.

Stefan Menzel


Kassandra Bucher: „Willst du nach Hause kommen?“

Als ich gestern morgen aufstand, war ein ganz normaler Tag. Ich machte mich auf den Weg zur Arbeit und grüßte, wie jeden Morgen, den Bäcker von nebenan. Nach getaner Arbeit ging ich noch schnell zum Bioladen. Ich wollte mir unbedingt einen Grießjoghurt mit Kirschen holen. Den gibt es bei uns in der Schweiz nämlich nicht. Für ein Praktikum beim Handelsblatt bin ich nach Düsseldorf gekommen. Zuhause wartete noch eine Seminararbeit auf mich – Abgabe ist in zwei Wochen.

Kurz nach halb sechs klingelte mein Telefon. Am Apparat war meine Großmutter. Besorgt sagte sie: „Sag mal, wo bist du denn da gelandet?“ Ich hatte mich den Tag über mit den Unwettern in Süddeutschland beschäftigt, wusste also nicht, wovon sie redete. „Ein Terroranschlag hier in der Altstadt? Gleich beim Handelsblatt um die Ecke?“ Ungläubig öffnete ich die Website der Tagesschau. Tatsächlich, da stand es in großen Lettern: „Anschlag in Düsseldorf geplant“.

„Willst du jetzt nach Hause kommen?“, fragte mich meine Mutter später. „Nein,“ antwortete ich. „Ganz ehrlich, wenn schon in Düsseldorf ein Anschlag geplant wird, dann kann das genauso gut bei uns auch passieren. Hier bin ich genauso sicher, wie bei uns Zuhause.“ Mich hat die Nachricht über einen geplanten Terrorakt wirklich überrascht. Wäre ich in nach Paris gefahren, hätte ich vielleicht eine Sekunde lang über meine Sicherheit nachgedacht – aber nicht bei meiner Reise ins provinzielle Düsseldorf. „Das zeigt doch nur, dass ein Terrorakt jederzeit und überall passieren kann. Da kann jeder zur falschen Zeit am falschen Ort sein,“ sagte ich zu meiner Mutter.

Die Welt sieht anders aus heute. Sie ist irgendwie grauer. Nicht weil ein Terroranschlag gleich bei mir um die Ecke geplant war, sondern weil es bewölkt ist. Heute morgen grüßte ich freundlich den Bäcker von nebenan und half einer Dame über die Straße. Ich fühle mich sicher, wie an jedem anderen Tag und Ort auch.

Kassandra Bucher


Carina Kontio: Eine Frage des Glückes

Ich dache nur: Mist, Heinrich-Heine-Allee – das ist doch da, wo wir immer unsere Mittagspause mit Kollegen machen. Erschossen werden beim Grilled-Veggy-Salat für 8,90 Euro! „Mitten aus dem Leben gerissen“, würde es nachher heißen. Der Tod isst mit.

Wer wie ich in einer Metropole lebt (Köln) und in einer anderen Metropole arbeitet (Düsseldorf), hat sich vielleicht schon daran gewöhnt, dass die Gefahr von Terrorismus mitten in Europa real ist. Dass sie dazugehört. Ich muss eigentlich jeden Tag damit rechnen, in etwas hinein zu geraten, das größer und gewaltiger als alles ist, was ich mir jemals vorstellen kann. Dass ich ein Zufalls-Opfer brutaler Gewalt werden kann.

Aber das ist der Preis für ein Leben in der Großstadt, dass ich mir gar nicht mehr anders vorstellen könnte. Die Frage für mich ist nicht die, ob es zu einem Terroranschlag in meiner vermeintlich sicheren Komfortzone kommt, sondern wann. Und trotzdem lebe ich nicht in ständiger Alarmbereitschaft. Weil ich so nicht verhindern kann, dass vielleicht eines Tages mitten in Köln oder in Düsseldorf Bomben explodieren und martialische Terroristen mit Sturmgewehren um sich schießen.
Also werde ich nächste Woche mit meinen Kollegen weitermachen, wie sonst auch – den großen Bogen um belebte Plätze werden wir uns sparen. Ich werde mit denselben Straßen- und U-Bahnen fahren, wie sonst auch. Und werde mich weiter darauf verlassen, dass wir einfach weiter Glück haben werden - wie bisher.

Carina Kontio


Johannes Steger: Beschaulichkeit ist keine Abwehr

Als in Paris die Bomben hochgingen, die Terroristen das Feuer eröffneten und den Konzertsaal Bataclan stürmten, saß ich im Zug und bekam nichts mit. Ich war auf Volontärstation in Hamburg und wollte das Wochenende in meiner schönen Heimatstadt Düsseldorf verbringen. Dort angekommen, erfuhr ich schnell, was sich in Paris ereignet hatte. Der Fernseher lief bis tief in die Nacht. Neben meiner Fassungslosigkeit und der Trauer, kam mir noch ein anderes Gefühl: Erleichterung.

Ich war froh, dass ich das Wochenende in Düsseldorf verbringen würde und nicht in Hamburg. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt ziemlich sicher, dass meine überschaubare Heimatstadt am Rhein nicht auf dem Radar der Terroristen stehen würde. Würde der Terror Deutschland heimsuchen, dann in Berlin, Hamburg oder München. Die perfide Ideologie des Terrors sucht nach Metropolen mit symbolträchtigen Baudenkmälern, damit der Schrecken seine furchtbare Strahlkraft entfalten kann.

Seit gestern weiß ich, dass das nicht stimmt. Als gestern die Nachricht kam, dass der IS einen Anschlag in der Düsseldorfer Altstadt plante, war ich dann nicht nur erschrocken – sondern auch verwundert. Damit war ich nicht allein: In der Bahn nach Hause sprachen viele Menschen über die Nachricht. Immer wieder war da auch diese Verwunderung: Gerade Düsseldorf? Jemand gestand, dass er eher Köln als Anschlagsziel vermutet hätte.

Seit gestern weiß ich, dass Sicherheit nicht an Einwohnerzahl oder Baudenkmäler gebunden ist. Beschaulichkeit ist keine Abwehr gegen Terror. Gegen das beklemmende Gefühl, das nach der Nachricht entstanden ist, muss jeder seine eigene Lösung finden. Ich werde am Wochenende mal wieder in die Altstadt gehen.

Johannes Steger


Tina Halberschmidt: Bringt ja nix

„Hast Du das schon in den Nachrichten gehört“, fragt der Mann. „Ne“, sage ich, „war gerade ne Stunde laufen, ist ja mein freier Tag. Ist was passiert?“ „Noch nicht“, sagt der Mann, „aber die wollten sich in die Luft sprengen da bei Euch in Düsseldorf. In der Altstadt, Heinrich-Heine-Allee.“ Heinrich-Heine-Allee? Mir wird ein bisschen übel.

Ein terroristischer Anschlag, mitten in NRW? Mitten in der Stadt, in der ich arbeite. Auf der Straße, die ich jeden Tag entlanglaufe? Tatsächlich: In den Nachrichten zeigen sie die Station, an der ich morgens aus der U-Bahn aus- und nachmittags wieder in die Bahn einsteige. Nie war „es“ so nah.

Okay, denke ich, was tun? Vielleicht einen anderen Arbeitgeber suchen? Nicht mehr mit der U-Bahn fahren, an einer anderen Station aussteigen? Und dann? Können die im Verlagsgebäude überhaupt für unsere Sicherheit garantieren? Mein Gedanken kreisen. Ich habe Familie. Ich habe Verantwortung. Und ich habe Angst.

Aber Angst ist nie ein guter Ratgeber. Ich atme tief ein. Plötzlich komme ich mir töricht vor. Selbst wenn ich mich zu Hause einschlösse, nicht mehr zu meinem MSV ins Fußballstadion ginge und nur noch Home Office machen würde, hundertprozentige Sicherheit gäbe es nie. Die Garantie hätte ich nur auf ein Leben in tödlicher Langeweile. Ich atme aus. Und mache weiter wie bisher. Bringt ja nix, sagen wir im Ruhrgebiet.

Tina Halberschmidt


Karen Wientgen: Anschlagsgefahr? Nah und fern

Ein Anschlag in Düsseldorf? Wirklich? Meine erste Reaktion auf die Nachricht war Überraschung. Die Planung der Islamisten erscheint mir dilettantisch. Gibt es nicht interessantere Anschlagsziele in Deutschland? Hauptbahnhof, Kanzleramt oder Brandenburger Tor in Berlin?

Seit Jahren fahre ich, eine Berlinerin, alle paar Monate von Düsseldorf in die Hauptstadt. Wenn ich wenige Tage nach den Anschlägen in Paris und Brüssel am Berliner Hauptbahnhof ankam und dort Polizisten patroullieren sah, war mir mulmig zumute. Sollte mich ein Terroranschlag erwischen – dann dort, so dachte ich (ohne daran länger Gedanken zu verschwenden).

Obwohl die Düsseldorfer Altstadt nur fünf Gehminuten von meiner Arbeit und zehn Fahrradminuten von meiner Wohnung entfernt ist, lassen mich die Schlagzeilen über die Anschlagspläne merkwürdig kalt. Selbst als ich am Donnerstagabend mit meiner Schwester in Berlin telefoniere, vergesse ich, das Thema anzusprechen. Vielleicht liegt das daran, dass ich wie die meisten Düsseldorfer die Altstadt meide und Touristen überlasse.

Die Anschlagsgefahr in Deutschland erscheint mir zugleich nah und sehr fern. Es ist eine Frage der Zeit, bis es hier die ersten Terror-Toten gibt, sagt mein Kopf – und das seit langem. Aber auch: Bis jetzt hatten die Terroristen wenig Glück mit ihren Plänen – warum sollte sich so rasch daran etwas ändern?

Karen Wientgen


Alexander Möthe: Der Terror ist nicht neu hier

Wenn ich in den vergangenen Tagen von meiner Arbeit beim Handelsblatt zu Fuß zurück zur Heimat im Düsseldorfer Norden gegangen bin, habe ich mir an der Heinrich-Heine-Allee höchstens über eins Gedanken gemacht: das Wetter. Die Altstadt und die angrenzenden Einkaufsstraßen, die Königsallee, die Flinger Straße, die Schwadowstraße, es sind einige der belebtesten Straßen Deutschlands. Wie so oft in Menschenmengen: Der Einzelne blendet das Gefahrenpotenzial völlig aus, das Urvertrauen, dass in einem Gedränge niemand die eigene Unversehrheit bedroht, ist eines der grundsätzlichsten im menschlichen Zusammenleben.

Gerade in vertrauten Umgebungen entwickelt man ein Gespür vor Veränderungen, für Gefahr. Dass die Altstadt ein potenzielles Ziel für terroristische Anschläge ist, darüber muss sich, wenn man ehrlich ist, jeder im Klaren gewesen sein. Verkehrsknotenpunkt, Zentausende Menschen am Wochenende, zu manchen Gelegenheiten eine Million Besucher. Es wird getrunken, es wird gefeiert, Menschen finden und verlieren sich jeden Abend. Wenn man die Sorglosigkeit einer Gesellschaft angreifen möchte, dann hier.

Da ist es umso absurder, dass die konkreten Bedrohungen, die man um die Altstadt herum empfindet, ganz andere sind. Gewaltexzesse am Burgplatz, wo regelmäßig Messer gezückt werden und Flaschen fliegen. Massenschlägereien, Raubüberfälle und Taschendiebstähle. Sexuelle Belästigung, durch einzelne oder durch Gruppen, wie in der Silvesternacht. Unlängst wurde ein Passant bei einer Schießerei unter Rockern von einem Querschläger verletzt, mitten auf der Mallorca-Meile der Altstadt, der Bolker Straße.

Vor einigen Jahren wurde nur wenige Häuser neben meiner Wohnung eine Islamistenzelle ausgehoben. Die Bedrohung ist für diese Stadt nicht neu. Im Jahr 2000 explodierte am S-Bahnhof Wehrhahn eine Nagelbombe, eine Tat, die bis heute ungeklärt ist, aber offenbar antisemitischen Hintergrund hatte. Der Terror ist nicht neu hier. Und ich bezweifle, dass die Düsseldorfer sich jetzt weniger sicher als vorher fühlen. Viele Einheimische meiden die Bolkerstraße ohnehin, weil dort schon längst alles unkontrollierbar geworden ist. Dort, wo die Sorglosigkeit regiert, werden auch heute und morgen wieder Tausende trinken, feiern, tanzen. Um das zu tun, was sie so häufig tun: die Realität so weit wie möglich wegzuschieben.

Alexander Möthe

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