Test für Ferndiagnosen per Internet Videochat statt Praxisbesuch

Keine lange Warterei und weite Wege für Patienten, mehr Zeit für den Arzt – dank der Telemedizin. In Baden-Württemberg starten Ärzte ein bundesweites Pilotprojekt. Chancen gibt es viele – und einige offene Fragen.

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Vor allem in ländlichen Gebieten könnten Ferndiagnosen mit einer Videoschalte hilfreich sein. Quelle: dpa

Karlsruhe Der Patient sitzt zu Hause entspannt im Sessel und schildert dem Arzt die Symptome. Der stellt per Telefon oder Videoschalte die Diagnose – und das Antibiotikum kommt per Drohne ins Haus. So könnte es mal sein. Doch es gibt schon verschiedene Ansätze der Telemedizin, die eine derartige Sprechstunde möglich machen. Vor allem im Ausland. Ärzte im Baden-Württemberg wollen jetzt bundesweit ein neues Modell erproben - nach dem Vorbild Schweiz.

Bis zu 5000 Telekonsultationen pro Tag, rund 5,7 Millionen seit dem Jahr 2000 zählt allein der Schweizer Dienstleister Medgate – mit 320 Mitarbeitern, darunter 100 Ärzte. Der Patient ruft dort im Callcenter an, gibt beim „Empfang“ seine Personalien und Krankheitssymptome durch, schickt im Zweifel noch ein Foto etwa von der Haut- oder Augenveränderung. Ein Medizin-Team berät dann über die Behandlung und der Medgate-Arzt stellt gegebenenfalls ein Rezept aus.

„Bedarf ist da“, sagt Oliver Erens, Sprecher der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Etwa bei Medizinern, die nicht nur auf der Schwäbischen Alb oder im Schwarzwald händeringend nach einem Nachfolger suchen und „rund um die Uhr ackern“. Und bei Patienten, die schneller und bequemer ärztlichen Rat bekommen und bei Krankenkassen, die sich mehr Effizienz erhoffen.

In Deutschland gibt es noch Hürden: Nach der ärztlichen Berufsordnung muss ein Arzt den Patienten „unmittelbar“ behandeln. Auch bei einer Tele-Sprechstunde muss er den Patienten mindestens einmal real untersucht haben.

Muss das wirklich sein? Aus Sicht der Landesärztekammer macht die Vorschrift durchaus Sinn: „Bei einer ausschließlich über Telekommunikationsmedien stattfindenden Beratung oder Behandlung besteht die Gefahr, dass entscheidende Fakten gar nicht zur Sprache kommen, was im Einzelfall gravierende Folgen haben könnte“, warnt Kammerpräsident Ulrich Clever.


„Kein Ersatz“

Weil die 65.000 Ärzte in Baden-Württemberg aber andererseits der technischen Entwicklung und Ländern wie der Schweiz, Großbritannien, Norwegen oder Schweden nicht hinterherhinken möchten, will die Kammer Modellprojekte erlauben, „in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden“. Das will man genau beobachten, „und beim leisesten Zweifel nachjustieren“, sagt Ärztepräsident Clever.

Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) will die Satzungsänderung der Ärzte genehmigen, betont aber: „Telemedizin ist für mich kein Ersatz, sondern eine Ergänzung der bisherigen medizinischen Behandlungs- und Versorgungsmethoden.“ Der Kontakt zwischen Arzt und Patient dürfe nicht generell durch Telemedizin ersetzt werden. Auch nicht auf dem vom Ärztemangel besonders betroffenen Land. Weil es immer mehr Ältere und chronisch Kranke gibt, will das Land aber die Telemedizin ausbauen.

Von den Patienten würden nach einer Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK) „mehr als die Hälfte der Befragten online mit ihrem Haus- oder Facharzt in Verbindung treten wollen“. Fast zwei Drittel könnte sich demnach auch vorstellen, zu Hause ermittelte Messwerte online an den Arzt weiterzuleiten. „Nicht immer wird es möglich sein, aus der Ferne Antwort zu geben“, sagt Ärztesprecher Erens. Und Notfälle müssen immer so schnell wie von einem Arzt persönlich behandelt werden.

Für die TK zeigen aber schon jetzt Projekte für Herz-Patienten, Online-Sprechstunden beim Dermatologen, Teletherapie gegen Stottern und chronische Kopfschmerzen oder Apps zur Unterstützung bei Pollenallergie oder Tinnitus, dass digitale Versorgung „funktioniert und dem Patienten Vorteile bringt“. Zudem könnten über moderne Kommunikationswege Klinik-Spezialisten bei Diagnose oder Therapie in Arztpraxen mitwirken.

Im Sinne effizienter Versorgungsstrukturen sieht auch die AOK in Baden-Württemberg viele Vorteile, mahnt aber zugleich „ein klares Konzept zur Vernetzung“ an. Oberste Priorität müsse der Datenschutz haben.

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