




Weg von Atom, Kohle und Gas. Hin zu Sonne, Wind und Biomasse. Das ist - einfach gesagt - die Energiewende. Was sie aber auch ist: ein ewiger Zankapfel für Politiker, Umweltschützer, Industrie, Landbesitzer, Investoren. Denn es geht nicht nur um Atomausstieg und Klimaschutz, sondern auch um viel Geld - und das betrifft jeden, der Strom aus der Steckdose bekommt. Ein Faktencheck:
1. Die Energiewende macht den Strom teurer.
Es stimmt, dass viele Strom-Endkunden wegen der Energiewende mehr zahlen müssen. Das heißt aber nicht, dass der Strom an sich teurer wird. Im Gegenteil: Der sogenannte Börsenstrompreis, zu dem Versorger Strom im Großhandel einkaufen, sinkt seit Jahren drastisch - was etlichen Energiekonzernen enorme Probleme eingebrockt hat.
Deutschen Stromkunden müssen zusätzlich aber verschiedene Steuern, Abgaben und Umlagen zahlen - darunter die EEG-Umlage. Diese steigt, wenn die Börsenpreise für Strom sinken. Der Grund: Wer zum Beispiel einen Windpark betreibt, bekommt für den produzierten Strom - bisher - eine festgeschriebene Vergütung, die über die Umlage finanziert wird.
Die Atomklagen in der Übersicht
Gut fünf Jahre nach der Katastrophe von Fukushima vom 11. März 2011 und dem abrupten deutschen Atomausstieg rollt die Welle von Schadenersatz-Klagen der Energiewirtschaft weiter – allerdings mit wenig Erfolg aus Sicht der Industrie. Anfang Juli wies das Landgericht Hannover die Forderung des Stromriesen Eon nach knapp 380 Millionen Euro Schadenersatz für die Betriebseinstellung der Atommeiler Isar 1 und Unterweser zurück. Eon wird wohl in Berufung gehen.
Auch in den bisherigen Verfahren zum 2011 verhängten Atom-Moratorium hatten sich die Gerichte zugeknöpft gezeigt: In Essen korrigierte das Gericht Ende 2015 den Schadenersatzanspruch von RWE noch vor der Entscheidung deutlich nach unten, in Bonn kassierte der EnBW-Konzern im Februar 2016 eine glatte Abweisung.
Das dreimonatige Moratorium für die ältesten deutschen Blöcke hatten die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Atomländer wenige Tage nach Fukushima vereinbart. Kurz danach folgte die Änderung des Atomgesetzes mit dem endgültigen Aus für zunächst acht Kraftwerke und dem Ausstiegsszenario für die übrigen Anlagen bis Ende 2022. Eon sieht sich bei Isar 1 und Unterweser enteignet und verlangt vom Bund sowie den Ländern Bayern und Niedersachsen eine Entschädigung. „Ich erwarte Gerechtigkeit“, hatte Konzernchef Johannes Teyssen im Frühjahr zu den Atomklagen zur Vorlage seiner Jahreszahlen gesagt. Diese waren – nicht zuletzt wegen der Energiewende – tiefrot.
Alle Kläger stützen sich auf eine Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichtshofes von Anfang 2013. Das Gericht hatte das Moratorium für die beiden RWE-Kraftwerksblöcke von Biblis an der Bergstraße für rechtswidrig erklärt – unter anderem, weil RWE vor der Entscheidung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Entscheidung wurde vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
Schon in der mündlichen Verhandlung Ende April hatte der Vorsitzende Richter in Hannover, Martin Schulz, Zweifel an der Eon-Position angemeldet. Schließlich habe sich Eon 2011 gegen die möglicherweise rechtswidrigen Staatsauflagen nicht gewehrt. Wer nicht klage, könne nicht nachträglich Schadenersatz verlangen, sagte Schulz. Diese Sichtweise bestimmte nun auch das Urteil: Mit einem Gang zum Verwaltungsgericht hätte Eon das Moratorium möglicherweise stoppen können, sagte das Gericht. Auf die verbreitete Anti-Atomstimmung nach Fukushima, die einen solchen Schritt unmöglich gemacht habe, könne sich Eon nicht berufen. Schließlich sei die Kernenergie schon lange vor der Katastrophe in Japan umstritten gewesen.
Das wichtigste Verfahren ist die Mitte März dieses Jahres verhandelte Grundsatzklage von Eon, RWE und Vattenfall gegen den schnellen Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht. Bisher ist nicht bekannt, wann hierzu das Urteil fällt. Falls die Konzerne beim höchsten deutschen Gericht gewinnen, könnten Zivilrechtsverfahren mit Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe folgen.
Das bezweifeln manche Beobachter. Schließlich steht der milliardenschwere Atomausstieg an – und die Industrie will dringend die kaum kalkulierbaren Lasten für die Endlagerung loswerden. Nach dem Vorschlag der Atom-Kommission von Ende April sollen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dafür insgesamt 23,3 Milliarden Euro in einen Fonds überweisen. Über Details wird derzeit heftig hinter den Kulissen gerungen. Das Fallenlassen aller Klagen seitens der Industrie könnte zur Verhandlungsmasse in diesem Poker um Milliarden zählen, wird vermutet.
2016 liegt die EEG-Umlage bei 6,354 Cent pro Kilowattstunde. Die Denkfabrik Agora Energiewende hat errechnet, dass sie im kommenden Jahr auf 7,1 bis 7,3 Cent ansteigen wird - hauptsächlich, weil der Börsenstrompreis weiter sinkt. Trotzdem dürfte sich für Stromkunden wenig ändern, wenn die Energiekonzerne ihre sinkenden Kosten auch weitergeben. Ein Vier-Personen-Haushalt verbraucht laut „Stromspiegel 2016“ im Schnitt etwa 4200 Kilowattstunden pro Jahr. Damit zahlt dieser Haushalt 2017 ungefähr 300 Euro für die EEG-Umlage.
Um die Wirtschaft zu schonen, können besonders energieintensive Unternehmen unter bestimmten Umständen von der EEG-Umlage befreit werden. Kritiker sehen darin eine Wettbewerbsverzerrung.
2. „Monstertrassen“ für den Ökostrom verschandeln die Natur.
Das Thema Netzausbau gehört zu den schwierigsten in der Energiewende. Die Hauptaufgabe: Der Windkraft-Strom aus dem Norden muss in den Süden. Zuständig ist die Bundesnetzagentur. Wie gut es mit dem Ausbau läuft, ist Ansichtssache. Dem sogenannten Bundesbedarfsplangesetz zufolge sind etwa 6200 Kilometer an Leitungen nötig - nach dem ersten Quartal 2016 waren 65 Kilometer gebaut und 350 Kilometer genehmigt.
Mit dem Kampfbegriff „Monstertrassen“ meinen Kritiker die großen Nord-Süd-Stromleitungen. Die Politik einigte sich im vergangenen Jahr nach Druck vor allem aus Bayern darauf, dass Erdkabel Vorrang haben. So sollen Klagen verhindert werden, die Zeit und Geld kosten.
Aus diesen Gründen schwitzt die Erde
Die Anzahl der Menschen auf der Erde wächst jedes Jahr um etwa 70 bis 80 Millionen Personen. Das entspricht fast der Bevölkerungsgröße Deutschlands. Bis 2050 soll laut Schätzungen der Vereinten Nationen die Weltbevölkerung auf knapp 10 Milliarden Menschen angewachsen sein. Dass die Kinder nicht hierzulande oder bei unseren europäischen Nachbarn geboren werden, ist hinreichend bekannt. Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern in Afrika und Asien wächst die Bevölkerungszahl. Dadurch wächst auch der Bedarf an Rohstoffen, Energie, Wasser und Nahrung.
Trotz Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1992 hat sich der CO2-Ausstoß kaum verringert. Lediglich als 2009 aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise viele Industriestätten weniger produzierten, sank der Wert der Kohlendioxidemission auf 784 Millionen Tonnen. Schon ein Jahr später lag der Wert wieder bei 819 Millionen Tonnen. Dabei entsteht ein Großteil der Emissionen in nur wenigen Ländern wie China, den USA und der EU.
Während Carsharing und der öffentliche Nahverkehr in Ländern wie Deutschland in Zeiten hoher Benzinkosten viele Anhänger findet, ist der weltweite Trend eindeutig ein anderer. Immer mehr PKW fahren über den Globus. 2010 wurde erstmals die Eine-Milliarde-Marke geknackt. Besonders viele Autos pro Einwohner werden in Monaco und den USA gefahren.
Der seit Mai 2012 stetig ansteigende Ölpreis hat dafür gesorgt, dass Kohle wieder an Attraktivität gewonnen hat. Die Wiederauferstehung der Kohle ist für die Umwelt eine Katstrophe. Laut BUND sind Kohlekraftwerke mehr als doppelt so klimaschädlich wie moderne Gaskraftwerke. Die großen Dampfwolken aus den Kühltürmen der Kraftwerke machen ein anderes Problem deutlich: Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie geht meist als ungenutzte Wärme verloren.
Das Handout der Umweltschutzorganisation WWF zeigt die illegale Abholzung eines Waldgebietes in Sumatra (Indonesien). Jährlich gehen knapp 5,6 Millionen Hektar Wald verloren. Die fortschreitende Abholzung von Regenwäldern trägt entsprechend mit zur globalen Erderwärmung bei. Denn die Wälder speichern Kohlendioxid.
Rinder sind wahre CO2-Schleudern. Die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch in Brasilien erzeugt genauso viel klimaschädliches Kohlendioxid wie eine 1.600 Kilometer lange Autofahrt. In diese Rechnung fließen mehrere Faktoren ein. Zum einen können auf dem für die Rinder genutzten Weideland keine Wälder mehr wachsen. Zum anderen scheiden Rinder das klimaschädliche Gas Methan aus. Laut WWF sind in Deutschland fast 70 Prozent der direkten Treibhausemissionen auf die Ernährung mit tierischen Produkten zurückzuführen.
Nicht nur Unmengen an Verpackungsmüll produzieren die Deutschen. Wir schmeißen auch jede Menge Lebensmittel weg, pro Kopf etwa 100 Kilogramm pro Jahr. Auch diese Verschwendung wirkt sich massiv negativ auf das Klima aus.
Flugzeuge stoßen CO2, Stickoide, Wasserdampf, Ruß, Sulfat und andere Partikel aus und verpesten so die Umwelt. Die größte Klimawirkung hat laut atmosfair.de das reine CO2, das immer beim Verbrennen von Benzin oder Kerosin entsteht. Außerdem die Bildung von Schleierwolken und Kondensstreifen, der Aufbau vom Treibhausgas Ozon in einem sensiblen atmosphärischen Stockwerk sowie der Abbau von Methan.
Die Erdverkabelung macht den Netzausbau aber teurer und langsamer. Erdkabel kosten das Drei- bis Zehnfache von Überlandleitungen. Der Netzagentur zufolge wird die 800 Kilometer lange SuedLink-Trasse - die „Hauptschlagader“ der Energiewende - erst 2025 fertig, drei Jahre später als geplant. 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz.
3. Durch den Ökostrom-Ausbau gibt es insgesamt zu viel Strom.
Inzwischen kommt mehr als ein Drittel des deutschen Stroms aus Öko-Quellen, auch in der Summe steigt das Angebot an Elektrizität. Die heutigen Stromnetze können überlastet werden, denn es kann nur eine bestimmte Strommenge durchlaufen. Und wenn der Wind kräftig weht und die Sonne knallt, dann gibt es in Deutschland mehr Strom, als in die Netze passt. Darauf sind mehrere Antworten möglich: 1. Die Netze müssen ausgebaut werden. 2. Die Erneuerbaren müssen gebremst werden. 3. Atom- und Kohlekraftwerke müssen abgeschaltet werden. 4. Der Strom muss gespeichert werden. 5. Der Stromverbrauch muss sich dem Angebot besser anpassen - über ein sogenanntes Lasten-Management.
Wie Lasten-Management für Privatleute gehen kann, beschreibt etwa die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE): „Die Verbraucher müssen stets über die vorhandenen Stromkapazitäten informiert sein und Anreize zur Anpassung ihrer Stromnachfrage durch entsprechende Tarife und Preissignale bekommen. Zudem müssen sich Geräte wie zum Beispiel Spülmaschinen, Trockner und Waschmaschinen entsprechend steuern beziehungsweise programmieren lassen.“





Zudem kritisieren nicht nur Umweltschützer, dass Atom- und Kohlekraftwerke ihre Stromproduktion zu Spitzenzeiten oft nicht so reduzieren, wie sie es könnten. Andererseits ist ihre Flexibilität tatsächlich begrenzt: Es dauert, sie wieder auf Touren zu bringen.
4. Die Energiewende ist gut für den Klimaschutz.
Theoretisch ja. „Energiewende ist Schlüssel für mehr Klimaschutz“, heißt es beim Umweltministerium. Die Grundidee: Erneuerbare Energien ersetzen nach und nach Strom aus fossilen Kraftstoffen - also Kohle, Erdgas und Erdöl. Wenn diese verbrannt werden, entsteht das klimaschädliche Treibhausgas CO2, das zur Erderwärmung beiträgt.
Obwohl immer mehr Strom etwa aus Sonnen- und Windkraft produziert wird, bleibt die Kohlestrom-Produktion aber recht konstant. Während der Strombedarf zuhause zunehmend über Erneuerbare gedeckt wird, wird viel Kohlestrom ins Ausland exportiert. Vor allem die Niederlande, Österreich und Frankreich beziehen so Strom aus Deutschland.
Der Grund: Die Preise für Kohle und für Lizenzen zum CO2-Ausstoß sind niedrig - Kohlestrom bleibt also billig. Kohlekraftwerke verdrängen deshalb sogar klimafreundlichere und flexiblere Gaskraftwerke vom Markt, die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland sind zuletzt leicht gestiegen. Zahlen des Umweltbundesamts zeigen aber: Nachdem die Stromproduktion in Deutschland zwischen 2011 und 2013 klimaschädlicher wurde, gibt es seit 2014 wieder eine Verbesserung.
5. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, gehen ohne Kohle die Lichter aus.
Bisher gibt es in Deutschland noch genug flexible Kraftwerke, die Engpässe problemlos ausgleichen können. Wie es in Zukunft läuft, hängt vor allem davon ab, welche Fortschritte Wissenschaft und Technik machen. Rezepte sind das beschriebene Lasten-Management und Stromspeicher: Überschüsse sollen gespeichert und später bei Bedarf ins Netz eingespeist werden. Da ist allerdings noch viel zu forschen und zu entscheiden.
Ein Stichwort ist „Power to Gas“. Dabei geht es um das Speichern von Strom im Gasnetz, die Umwandlung passiert über einen chemischen Prozess. Wissenschaftler arbeiten daran, dafür möglichst effiziente und günstige Methoden zu entwickeln. Das Gas kann als Wärmequelle oder Kraftstoff eingesetzt, aber auch in Strom zurückverwandelt werden. Wirtschaftlich ist das noch nicht. Die Strategieplattform „Power to Gas“ der Deutschen Energie-Agentur (Dena) strebt eine Markteinführung bis 2022 an. Andere Ansätze sind die Flexibilisierung des Strommarkts auch über Ländergrenzen hinweg, die Anpassung des Bedarfs an das Angebot, Pumpspeicher, Druckluft-Speicher oder riesige Batterien.