Teures Jamaika Für die Fast-Koalition wird das Geld knapp

Konjunktur und Arbeitsmarkt brummen, die Steuereinnahmen sprudeln. Das künftige Regierungsbündnis kann dennoch nicht aus dem Vollen schöpfen, um üppige Wahlversprechen zu finanzieren.

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Quelle: dpa

Der Kassensturz steht immer am Anfang von Koalitionsverhandlungen. Bei Regierungswechseln ging der früher meist mit einem theatralischen Aufschrei des neuen Regierungsbündnisses über gigantische Etatlöcher und Versäumnisse der Vorgänger einher. Der scheidende Kassenwart Wolfgang Schäuble (CDU) aber hinterlässt einem möglichen Jamaika-Bündnis aus CDU, CSU, FDP und Grünen nun ein zweistelliges Milliarden-Finanzpolster ab 2019.

Der finanzielle Spielraum könnte sogar noch größer ausfallen, nachdem die Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft für die kommenden zwei Jahre angehoben wurden. Was sich auch in der Steuerschätzung und in den Sozialkassen niederschlagen dürfte. Schon nach den bisherigen Schätzungen kann der Staat in diesem Jahr mit gut 732 Milliarden Euro Steuereinnahmen rechnen, bis 2021 könnten es gut 852 Milliarden Euro sein - viel Geld für Sozialleistungen, Schulen, Straßen, Polizei, Sicherheit oder Zinsen für Altschulden.

Worüber FDP und Grüne streiten werden

Aus dem Vollen schöpfen kann das angestrebte Vierer-Bündnis, das als sozialer Wohltäter punkten will, dennoch nicht. Denn die Versprechen sprengen schon jetzt den finanziellen Rahmen. Und nicht an allen Plänen von Schwarz-Gelb-Grün hängen bereits die Preisschilder. Hinzu kommen steigende Verteidigungs- und Entwicklungsausgaben, Mehrkosten für Polizei, Digitales, Bildung, die EU oder den Kampf gegen Fluchtursachen. Ob der Verkauf von Telekom-, Post- oder Commerzbank-Anteilen des Bundes bis 2021 kommt und wie viel Geld dies bringt, ist mehr als ungewiss. Der Abbau unsinniger Subventionen wird zwar stets gefordert, aber selten umgesetzt.

Zur Hinterlassenschaft Schäubles gehört, dass die mittelfristige Etatplanung für die Jahre 2019 bis 2021 einen „finanziellen Spielraum“ von 14,8 Milliarden Euro ausweist - für alle drei Jahre zusammen. Ökonomen sehen den Spielraum für Entlastungen und andere Wohltaten bei 15 bis 20 Milliarden Euro. Auch wenn sie in diesem Jahr mit einem Etatüberschuss des Staates von 28 Milliarden Euro rechnen, der bis 2019 auf 44 Milliarden klettern könnte.

Das Milliarden-Polster wird aber vermutlich vorn und hinten nicht reichen. Die Union hat allein bei der Einkommensteuer pro Jahr Entlastungen für Arbeitnehmer, Mittelstand und Handwerk von 15 Milliarden Euro versprochen - deren Kosten sich Bund, Länder und Kommunen teilen müssten. Die FDP hat jährlich sogar 30 Milliarden Euro an Steuersenkungen ins Schaufenster gestellt.

Lange und teure Wunschliste

Der „Soli“-Zuschlag soll abgeschafft werden. Nach Wunsch der FDP schon bis Ende 2019. Fällt der „Soli“ dann auf einen Schlag, fehlen dem Bund mal eben 20 Milliarden Euro. Auch die Grünen wollen für mittlere und untere Einkommen Steuern senken, zu deren Finanzierung aber Top-Verdiener, Superreiche und hohe Erbschaften stärker zur Kasse bitten. Was Union und FDP strikt ablehnen.

Jamaika-Sondierung startet: Was die Wirtschaft erwartet

Die Wunschliste ist aber länger und weit teurer. Stichwort Kinderfreibetrag: Den wollen CDU/CSU in zwei Schritten bis zum Grundfreibetrag für Erwachsene anheben. Um Besserverdiener nicht zu bevorteilen, soll zugleich das Kindergeld entsprechend erhöht werden. Allein der erste Schritt dürfte etwa sechs Milliarden Euro pro Jahr kosten - zusätzlich zu den Steuerentlastungen.

Die Union will auch beim Immobilienkauf mit einem Baukindergeld von jährlich 1200 Euro pro Kind helfen. Diese Subvention würde den Staat nach früheren Angaben aus Bayern bis 2021 insgesamt rund 2,2 Milliarden Euro kosten. Den Grünen schwebt eine Wohnungsförderung für junge Familien und Menschen mit weniger Einkommen vor, der Wohnungsbau soll mit Staatsgeld angekurbelt werden. Bei der Grunderwerbsteuer soll es Freibeträge geben, was die Länder Einiges kosten würde. Und es geht weiter: Die Liberalen wollen die Stromsteuer senken, was ebenfalls die Staatskassen belastet.

Für die Forschungsförderung der Unternehmen durch Steuerentlastungen hat die Union Ausfälle von etwa zwei Milliarden Euro eingerechnet - ebenfalls pro Jahr. Auch Grüne und FDP plädieren für einen Steuer-Forschungsbonus. Insgesamt soll der Anteil von Bildungs- und Forschungsausgaben an der Wirtschaftsleistung steigen. Einen milliardenschweren Digitalpakt soll es ebenfalls geben. Für Schulen und mehr Kitaplätze soll der Bund nach dem Willen der Grünen weitere Milliarden ausgeben.

Die CSU pocht auf eine Ausweitung der Mütterrente. Schon die CDU sah bisher keinen Finanzierungsspielraum dafür, die FDP dürfte hier noch weniger mitziehen. Die Versuchung wird einmal mehr groß sein, die prall gefüllten Sozialkassen anzuzapfen. Die „Flüchtlingsrücklage“, ein Polster von 18,7 Milliarden Euro, ist jedenfalls schon verplant.

Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass sich die Bundesländer Jamaika-Beschlüsse teuer bezahlen lassen und auf Kompensationen zu Lasten des Bundes dringen werden. Die SPD wird „mitregieren“, auch wenn sie im Bund die Oppositionsbank drückt. Sollte sich Schwarz-Gelb-Grün mühsam auf einen Kompromiss einigen, folgt schon bald der nächste Streit - dann im Bundesrat.

Am Ende wird es vermutlich dann doch zu Steuererhöhungen an anderen Stellen kommen, um Ausfälle in den Kassen etwas zu kompensieren. Die Jamaika-Unterhändler wären jedenfalls gut beraten, sich schon jetzt das Steuerkonzept der Sozialdemokraten näher anzuschauen.

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