Thilo Sarrazin "Es regiert die Gleichheitsideologie"

Thilo Sarrazin kritisiert, dass es in Deutschland zunehmend Denkverbote gäbe. In der Euro-Rettung und in der Genderdebatte müssten auch kritische Stimmen gehört werden.

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Thilo Sarrazin hat ein neues Buch geschrieben. Quelle: dpa

Herr Sarrazin, in Ihrem neuen Buch prangern Sie Sprechverbote und Meinungsterror an, also die political correctness. Beobachten Sie so etwas auch in wirtschaftspolitischen Debatten?

Sarrazin: Eines vorweg: In jeder Gesellschaft gibt es Grenzen des Sagbaren. Wer dagegen verstößt, muss mit Sanktionen rechnen. Das muss auch so sein, sonst könnte eine freie Gesellschaft nicht funktionieren. Den Begriff political correctness verwende ich aber bewusst nicht, weil der schon geistig in die Irre führt. Natürlich will ich mich korrekt verhalten, nicht inkorrekt!

Wo liegt dann das Problem?

Sarrazin: Ich beobachte, dass sich die Bandbreite dessen, was man sagen darf, in den vergangenen Jahren immer weiter verengt. Ich bin jetzt 69 Jahre alt, kann also gut 50 Jahre Mediendebatten überblicken. Gerade in den letzten 20 Jahren ist ihr Meinungsspektrum immer schmaler geworden, und es hat sich verschoben.

 

Sie verkaufen ihre Bücher mit Millionenauflage. Dass Sie sich nicht äußern könnten, können Sie nicht ernsthaft behaupten.

Sarrazin: Natürlich darf ich schreiben und sagen, was ich will. Es geht aber darum, was man öffentlich äußern kann, ohne dafür an den Pranger gestellt oder anders sanktioniert zu werden – formal, moralisch oder durch Häme. Ich habe ein Grundmuster der Sprechverbote identifiziert, das sich in vielen Ausprägungen niederschlägt. Das ist der Gleichheitswahn.

Was verstehen Sie darunter?

Sarrazin: Alle natürlichen, alle angeborenen Unterschiede werden einfach geleugnet: zwischen klugen und dummen Menschen, fleißigen und faulen Menschen, Frauen und Männern. Es soll keine Unterschiede geben. Und wenn sie sich nicht leugnen lassen, dann sollen sie wenigstens keine Bedeutung haben. Solche Tendenzen beobachte ich auch in den Wirtschaftsmedien, weil ja auch deren Redakteure keine wesentlich andere Sozialisation erfahren haben als andere Journalisten – außer dass sie vielleicht Wirtschaftswissenschaften studiert haben.

 

Wo sehen Sie das?

Sarrazin: Nehmen Sie die Einwanderungs- oder die Eurodebatte, die schrecklich vereinseitigen und vereinfachen. Auch da regiert die Gleichheitsideologie: Wir haben eine Welt, es gibt keine Unterschiede, deshalb brauchen wir auch überall die Einheitswährung und den Einheitsbürger. Es soll allen gleich gut gehen und deshalb ist Einwanderung prinzipiell eine gute Sache.

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