Werfen Sie Merkel, Schäuble und Steinmeier vor, dass sie gezielt Debatten abschneiden?
Sarrazin: Frau Merkel und Herr Schäuble haben die Tendenz, Debatten zu unterdrücken. Aber mein Buch handelt ja vor allem von Medien, und Medien beeinflussen ganz stark die Politik. Aus meiner eigenen Erfahrung als ehemaliger Politiker kann ich sagen: Politiker interessieren sich nicht dafür, was das Volk sagt, sondern was die Medien dem Volk sagen.
Jetzt sagen Sie bitte nicht wie Schröder: Bild, BamS, Glotze!
Sarrazin: Politiker gucken auf die Medien, denn das Volk lernen sie ja gar nicht mehr kennen, allenfalls noch die Kellnerin. Als ich in Berlin Finanzsenator war, hatte ich auf meiner Beobachtungsliste natürlich die Lokalpresse und gewisse Wirtschaftsjournalisten. Das waren acht bis zehn Leute, denen musst Du Deine Politik erklären, zu denen musst Du ein vernünftiges Arbeitsverhältnis aufbauen. Dann brauchst Du Dir um Deine mediale Darstellung keine großen Sorgen zu machen. Die meisten Politiker handeln da ganz rational. Politiker sind auch keine Wissenschaftler, müssen sie auch nicht sein. Wenn sie mal einen Standpunkt gefunden haben, müssen sie ihn auch durchsetzen. Wenn Schäuble, Merkel und der Fraktionsvorsitzende Kauder in ihrer Partei alle Eurokritiker wegbeißen, dann ist das nicht sehr fein. Aber so ist das in der Politik.
Mit ihrer Position müssten Sie sich ja eher mit der AfD anfreunden können als mit Ihrer eigenen Partei, der SPD?
Sarrazin: Tatsächlich kommt die einzige fundamentale Gegenposition von der AfD, in der sich ja einige kluge Ökonomen versammelt haben, und aus der linken Hälfte der PDS. In der Eurofrage verbindet mich mit Sahra Wagenknecht mehr als mit allen etablierten Parteien. Es bleibt ja gar nichts anderes mehr übrig. Dass nicht mehr offen über die Probleme der Einheitswährung gesprochen wurde, hat uns ja gerade in die aktuelle fatale ökonomische Lage geführt, in der wir sind.
In den Unternehmen schlägt sich das in Frauenquoten nieder. Sehen Sie darin eine Gefahr für die Unternehmen?
Sarrazin: Ich sehe das vor allem mit einer gewissen Heiterkeit. Die Unternehmensvertreter sind hilflos und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Ingenieurwissenschaftliche Studiengänge werden mit überwiegender Mehrheit von Männern belegt.. In den Kulturwissenschaften ist es genau umgekehrt.. Beides hat sich auch nicht wesentlich über die vergangenen Jahrzehnte geändert. Wenn es einigermaßen gerecht zugeht, wird die Zusammensetzung der Unternehmensleitungen in 20 bis 25 Jahren die Zusammensetzung der heutigen Studienjahrgänge abbilden. Und wenn Sie dann auf die Ingenieure schauen – immer noch 80 Prozent Männer unter den Studenten -, dann wird sich in den Unternehmen nicht viel ändern, gar nicht ändern können.
Ist die Studienwahl denn neigungsbedingt oder perpetuiert sich das von selbst. Wenn Frauen sehen: Im Maschinenbau-Unternehmen haben wir es schwer, dann ist es logisch, dass weniger Frauen Maschinenbau studieren.
Sarrazin: Kein 15-jähriges Mädchen denkt über seinen Beruf nach, es folgt seinen Neigungen. Genau wie die Jungs.