Thüringer Verfassungsschutz „Es können noch mehr Reichsbürger werden“

Die rechtsextremen „Reichsbürger“ geraten zunehmend ins Visier des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Bundesweit wird die Bewegung bisher nur teilweise beobachtet. In Thüringen geht man einen anderen Weg – aus gutem Grund.

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Als „Reichsbürger“ bezeichnen sich Deutsche, die von einem Fortbestand des Deutschen Reiches ausgehen und daher die Bundesrepublik und ihre Institutionen nicht anerkennen.

Berlin Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, hat vor einem weiteren Zulauf zur rechtsextremen „Reichsbürgerbewegung“ gewarnt. „Es können noch mehr werden, da die Aufmerksamkeit größer geworden ist, wir also noch mehr Meldungen bekommen und wir auch nochmal genauer hinschauen“, sagte Kramer dem Handelsblatt. „Wir werden das Lagebild und vor allem die Einschätzung des Gefährdungspotentials verdichten.“

In Thüringen sind mittlerweile nach Aussage von Kramer alle bekannten Reichsbürger unter Beobachtung seiner Behörde gestellt worden. „Seit Anfang November sind die Reichsbürger in Thüringen offiziell ein sogenanntes Sammelbeobachtungsobjekt“, sagte er. Man gehe derzeit von 50 Personen mit rechtsextremem Bezug aus, die den „Reichsbürgern“ zugeordnet würden. Hinzu komme ein Potenzial von weiteren 500 Personen.

Nach den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten in Bayern war die „Reichsbürger“-Bewegung stärker in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt. Allerdings stehen sie nur in wenigen Bundesländern vollständig unter Beobachtung. Auch der Bundesverfassungsschutz zögert noch, wohl auch deshalb weil die Anhänger der Bewegung nicht per se eine Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands darstellen.

„Es können durchaus auch gewalttätige Menschen sein, aber nicht jeder Mensch, der gewalttätig ist, ist ein Fall für den Verfassungsschutz, sondern in erster Linie dann für die Polizei“, sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, kürzlich im Deutschlandfunk. „Der Verfassungsschutz schaut sich diese Leute oder Gruppierungen an, von denen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgeht.“ Aber von Personen, „die geistig nicht zurechnungsfähig sind oder nur gewalttätig“, gehe keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus. Gleichwohl habe seine Behörde einige Gruppierungen aus dem Reichsbürgermilieu im Blick.

Ein Beobachtungsobjekt sei zum Beispiel, wie Maaßen sagte, „eine derart obskure Gruppierung wie die Exilregierung Deutsches Reich oder Freistaat Preußen.“ Aber es gebe im Grunde genommen nicht „die Reichsbürger“, es gebe keinen Vorsitzenden und keine Hierarchie, sondern es gebe unterschiedlichste Gruppen und Einzelpersonen, die auch unterschiedliche Motive hätten. „Teilweise sind das Rechtsextremisten, die einen anderen Staat wollen, teilweise sind es Geschäftemacher, die einfach Reisepässe des Deutschen Reichs verkaufen wollen für 100 Euro, um damit Geld zu machen“, erläuterte der Verfassungsschutz-Präsident.


„Spinner, nicht zurechnungsfähige Leute, Querulanten“

Teilweise seien es, so Maaßen weiter, „Spinner oder nicht zurechnungsfähige Leute, teilweise auch Querulanten. Und teilweise erinnern sie mich auch an die Bewegung der „Sovereign Citizens“ in den USA, wo Leute sich weigern, Steuern zu zahlen und wo Leute erklären: Mein Grundstück ist mein Land und ich bin auch in der Lage und willens, mein Land mit Waffen zu verteidigen.“

Laut Kramer hat der Thüringer Verfassungsschutz die „Reichsbürger“ bereits seit vier Jahren „auf dem Schirm“. In diesem Jahr habe seine Behörde bereits 70 Informationsveranstaltungen und Schulungsmaßnahmen insbesondere bei Behörden durchgeführt. „Dabei geht es um Aufklärung und vor allem Hilfe zur Selbsthilfe im Umgang.“ Erst vor kurzem sei eine Broschüre fertiggestellt worden, die als Handreichung im Land verteilt werde.

Wie Kramer weiter sagte, melden seit Februar 2015 sämtliche kommunalen und staatlichen Einrichtungen in Thüringen. „Reichsbürgervorfälle“ an den Landesverfassungsschutz. „Deshalb haben wir auch einen guten Überblick über unsere Szene.“

Auch der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt hat ab sofort alle Anhänger im Visier, teilte das Innenministerium in Magdeburg kürzlich mit. Bislang war dies nur bei rund 20 der 80 bekannten „Reichsbürger“ der Fall.

Auch in Hamburg wurden die Anhänger der Bewegung laut Verfassungsschutz sämtlich als verfassungsfeindlich identifiziert. Etwa 50 Personen stünden unter Beobachtung, teilte ein Sprecher der Behörde mit. In Brandenburg werde derzeit überlegt, ob die gesamte Szene unter Beobachtung gestellt werden sollte, so das Innenministerium. Es gebe einen bekannten Kreis von 300 Personen, die aus allen Teilen des Landes stammten.

Weil die „Reichsbürger“-Bewegung bisher als zersplittert und heterogen angesehen wird, ist die Überwachung einzelner Akteure in erster Linie den Ländern überlassen. Diese schätzen die „Reichsbürger“ höchst unterschiedlich ein. So beobachtet etwa der Verfassungsschutz in Niedersachsen nicht alle Mitglieder, hat jedoch rund 25 Personen einer Gruppierung im Visier, die sich als „Exilregierung Deutsches Reich“ bezeichnet.

In Rheinland-Pfalz werden die rund 100 „Reichsbürger“ derzeit nicht nachrichtendienstlich verfolgt. Der Verfassungsschutz habe diese Menschen aber „im Blick“ und werte öffentlich zugängliche Quellen aus, teilte das Innenministerium in Mainz mit.


Bundesverfassungsschutz prüft bundesweite Beobachtung

Auch in Sachsen sind die Reichsbürger bislang insgesamt kein Objekt des Verfassungsschutzes. Beobachtet werden nur diejenigen, die sich auch in der rechtsextremen Szene aktiv sind. In Baden-Württemberg prüfe man derzeit noch, ob die Bewegung „zum nachrichtendienstlichen Beobachtungsobjekt erhoben werden kann“, hieß es.

Der Verfassungsschutz in Bayern ordnet 30 bis 40 sogenannte Reichsbürger der rechtsextremen Szene zu. In den vergangenen Monaten sei die Beobachtung intensiviert worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner, nachdem im Oktober ein „Reichsbürger“ einen Polizisten erschossen hatte. „Wir werden auf diesem Weg nun mit noch größerem Nachdruck vorangehen.“

In Nordrhein-Westfalen werden zurzeit 300 „Reichsbürger“ überprüft. In Bremen habe der Verfassungsschutz die Bewegung bereits seit 2014 im Fokus. Verfassungsschutzchef Dierk Schittkowski geht von „mehr als zwei Handvoll“ Mitglieder aus.

Möglicherweise wird auch der Bundesverfassungsschutz bald deutschlandweit aktiv. „Wir justieren immer wieder nach und wir kontrollieren auch, ob wir richtig liegen“, sagte Behördenchef Maaßen. Erst im August habe man sich bei einer Konferenz der Verfassungsschutzbehörden mit dem Thema befasst. In den nächsten Wochen würden weitere Gespräche geführt. „Und die Erkenntnisse, die die Kollegen aus den Landesämtern haben, werden mit den Erkenntnissen meiner Mitarbeiter zusammengeführt. Und dann werden wir schauen, ob wir ein neues Bild haben und ob wir zu neuen Entscheidungen kommen, was die Beobachtungswürdigkeit von Personen oder Gruppen aus diesem Milieu angeht.“

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