Tourismus „Eine Weinregion braucht eine Weinkönigin – wir eben eine Bernsteinkönigin“

Vor Corona lebte es sich in Ribnitz-Damgarten gut, die Stadt profitierte vor allem vom Tourismus. Quelle: imago-images, dpa

Schon vor der Corona-Pandemie verbrachten viele Menschen in Deutschland ihren Urlaub gern im eigenen Land. Aber die Konkurrenz ist groß zwischen Küste und Bergen, zwischen Kultur und Natur. Wie will sich die Kleinstadt Ribnitz-Damgarten behaupten? Teil 17 von „Nächster Halt: Aufbruch“, unserer Serie zur Bundestagswahl.

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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

Jana Behnke steht am Saaler Bodden, der Lagune von Ribnitz-Damgarten. Das Wasser ist nicht tiefblau wie man es von einer Lagune erwartet, sondern brackig grau, die Sonne fehlt, es tröpfelt. Hinter ihr im Hafen schaukeln Segelboote im Wind. Ein Hinweis darauf, was für ein Urlaubsparadies die norddeutsche Kleinstadt an anderen Tagen sein kann.

Wenn es nicht regnet und die Ostsee funkelt, führt Behnke Touristen in historischer Alltagskleidung durch die Altstadt, zeigt die historischen Stadtgrenzen und erzählt vom Schatz der Stadt, dem Bernstein. Über ihrem schwarzen Kleid trägt sie dann eine violette Schürze, auf dem Kopf eine weiße Haube, die sie unter dem Kinn bindet.

Rund 16.000 Einwohner leben derzeit in Ribnitz-Damgarten. Vor Corona lebte es sich hier gut, die Stadt profitierte vor allem vom Tourismus: 2019 verzeichnete die Stadt noch 106.200 touristische Übernachtungen, also etwa siebenmal so viele Übernachtungen wie die Anzahl der Stadtbewohner. 2020 aber brachen die Zahlen dann extrem ein.

Auch die Museen litten unter der Pandemie: Die beiden wichtigsten in der Stadt begrüßten 2020 etwas mehr als 40.000 Besucher, im Vorjahr waren es jeweils ein Drittel mehr. Unter ihnen eine Vielzahl Tagesgäste, die aus den umliegenden Erholungsorten an der Ostsee dankbar in die Stadt strömten, wenn das Wetter mal nicht so gut war.

So wie heute, Regen angesagt. Daher ist Stadtarchivarin Behnke bei dieser Tour im typisch norddeutschen Friesennerz gekleidet, einer gelben Regenjacke. Strammen Schrittes führt sie durch die Stadt. Sie weiß alles, kennt beinahe jeden, der ihr auf dem Weg begegnet. Und das wechselhafte Wetter, das habe auch sein Gutes, erzählt sie: „Wenn der Wind richtig stark aus dem Osten bläst, dann findet man was.“ Wobei, ein bisschen Glück gehört schon auch noch dazu, um ein Stückchen Bernstein zu finden.

Unterwegs mit ihr zeigt sich: Ribnitz-Damgarten setzt ein erfolgreiches Stadtmarketing-Konzept um, damit künftig wieder mehr Touristen in die Stadt kommen. Verantwortlicher hierfür ist Bürgermeister Thomas Huth. Wer mit ihm spricht, lernt etwas über kluge Konzentration auf das Einzigartige an diesem Fleck der Küste. Das hat natürlich mit dem Bernstein zu tun, aber eben nicht nur.

WirtschaftsWoche: Herr Huth, Ribnitz-Damgarten droht wie vielen Kleinstädten in spärlich besiedelten Gegenden die Strukturschwäche. Welche Maßnahmen unternehmen Sie, um die lokale Wirtschaft anzukurbeln?
Thomas Huth: Wir versuchen in der Stadt die Rahmenbedingungen zu schaffen, um wirtschaftliche Entwicklungen möglich zu machen, die wiederum zu mehr Zuzug führen. Die Infrastruktur ist bei uns zwar schon vorhanden. Jedoch sterben hier zwei bis dreimal so viele Menschen, wie neu geboren werden. Wir sind eine ziemlich alte Stadt. Und das kann man nur kompensieren, wenn man interessant ist für Zuzügler.

Nächster Halt: Aufbruch

Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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Also: Wie wird man das?
Das Gute ist: Die Zeiten ändern sich. Wer in den vergangenen 30 Jahren für die Arbeit ins Umland pendelte, muss das heute nicht mehr. Auch hier gibt es den Fachkräftemangel, heute findet man also auch vor Ort gut Arbeit. Andere wiederum erledigen sie online von zuhause. Es gibt deshalb inzwischen immer mehr Menschen, die neu hinzuziehen, hierbleiben wollen oder wieder zurückkehren. Es ist eine schöne Gegend, um hier Kinder großzuziehen.

Und welche Rolle spielt der Tourismus?
Eine große natürlich. Vor allem anderen profitieren wir von den Touristen, die wegen unserer herrlichen Ostsee-Natur kommen. Und dann ist Ribnitz-Damgarten selbst auch ein pittoreskes Städtchen. Zwar klein, aber dennoch reizvoll und kulturell abwechslungsreich: mit überregional bedeutenden Museen wie dem Deutschen Bernsteinmuseum, dem Freilichtmuseum oder der Schaumanufaktur von Ostsee-Schmuck.

Ein paar Kilometer entfernt vom Rathaus, auf der anderen Seite der Recknitz im Gewerbegebiet. Ausgerechnet hier, in eher schnöder Lage, befindet sich die Bernstein-Schaumanufaktur von Ostsee-Schmuck, einst größter Produzent Ostdeutschlands. Hier können Besucher dabei zuschauen, wie aus Bernstein und Edelmetall Ringe, Ketten oder Armbänder entstehen.

Es brummt laut. Helmut Schaffus hält einen der honigfarbenen Steine an die Maschine, um ihnen den letzten Schliff zu verleihen, bevor er sie in Silberohrringe einfasst. Schaffus' schwieligen Händen sieht man die Arbeit an. Sie wirken fast zu groß für die feingliedrigen Bewegungen des Mannes. Die Ohrringe sind beliebt, er fertigt gleich mehrere auf einmal.

Die Werkstatt ist trotz Corona von Touristen frequentiert, die Schmuckstücke verkaufen sich gut und liefern rund zwei Millionen Euro Umsatz jährlich. „Wir hatten hier schon 50.000 Besucher in einem Jahr“, erzählt Geschäftsführer Thomas Radtke. „Allerdings leben wir eben nicht vom Eintritt, sondern vom Verkauf hier vor Ort oder online.“ 2008 ist Ostsee-Schmuck daher zunächst bei Amazon in den Internethandel eingestiegen, mittlerweile seien ihre 7800 Artikel aber auf allen großen Handelsplattformen deutschlandweit zu finden.

Eine schöne Landschaft und spannende Museen allein reichen aber für die meisten Touristen nicht. Wie kann da gezieltes Stadtmarketing helfen?
Es reicht nicht, eine reizvolle Umgebung zu bieten, die Leute müssen auch davon wissen. Wir haben einen eigenen Instagram-Kanal für die Stadt, außerdem betreiben wir natürlich auch unsere Stadt-Webseite und befüllen sie mit aktuellen Informationen. Wichtig ist aber vor allem unser kulturelles Angebot: Durch die Museen und Kulturformate wollen wir weiter im Gespräch bleiben, auch überregional. Während Corona mussten wir die zwar etwas eindampfen, haben aber durch die Verkleinerung der Veranstaltungen trotzdem geschafft, daraus gemütliche Events zu machen. Das trägt sehr zum positiven Image der Stadt bei.

Und Sie profitieren von der guten Anbindung.
Ja, wir sind angeschlossen an große Verkehrsadern wie eine ICE-Strecke und die Bundesstraße 105. Auch die direkte Nachbarschaft zur Region Fischland-Darß-Zingst hilft ungemein. Viele meiner Kollegen im Bürgermeisteramt haben diese Möglichkeit in stärker benachteiligten Regionen nicht.

Ribnitz heißt offiziell „Bernsteinstadt“. Mehr als eine hübsche Marketing-Strategie?
Unsere Stadt hat eine fast hundertjährige Verbindung zum Schmuckhandwerk, das ist eine stolze Tradition, die wir jetzt gewissermaßen nur noch auf Hochglanz polieren wollten. Der Bernstein lässt sich direkt am Ostseestrand finden, das begeistert die Touristen. Also haben wir ihn in die Markenbildung Ribnitz-Damgartens integriert. Wir haben sogar eine Bernsteinkönigin. Eine Weinregion braucht eine Weinkönigin – wir eben eine Bernsteinkönigin.

Sophia Görlich ist eine Königin. Auch wenn ihre Krone gerade nicht viel mehr ist als ein schwarzes Headset. Sie sitzt vor dem Computerbildschirm an ihrem regulären Arbeitsplatz in der neugebauten Touristinformation am Markt in Ribnitz-Damgarten und berät Besucher der Stadt telefonisch.

So richtig royal wird es erst dann, wenn sie in ihrer Rolle als Bernsteinkönigin die Stadt offiziell auf Festen, Messen und bei lokalen Shoppingnächten vertritt. „Eine Königin zieht ein ganz anderes Publikum an“, erzählt Görlich. Dann tritt sie tatsächlich mit echter Krone auf den Haupt, mit umgelegter Schärpe und Ballkleid auf – im Handgepäck Autogrammkarten und kleine Tüten voller Bernstein für die Kinder. „Dieser Auftritt“, sagt sie, „macht schon mehr her, als wenn ich als Mitarbeiterin der Touristinformation auf dem Markt stehen würde.“

Die Bernsteinkönigin ihrer Stadt lebt und arbeitet selbst hier. Beleben Einwohner wie sie die Stadtkultur?
Absolut. Jede Aktion lebt von den Leuten, die sie machen. Natürlich ist auch bei allem immer das passende Konzept dahinter ganz wichtig, das taugt aber nichts ohne die Akteure, die es umsetzen.

Was können sich andere Kleinstädte vielleicht abschauen?
Wer verkehrstechnisch gut angebunden ist, der sollte diese Lebensader auch selbstbewusst nutzen. Allerdings sind nicht alle Städte so privilegiert wie wir. Bürgermeistern dieser Städte kann ich nur raten, mit viel Selbstbewusstsein die passenden Akteure um sich zu scharen.

Planen Sie neue Projekte?
Wir entwickeln gerade die Halbinsel Pütnitz weiter. Dort entstehen unter anderem Sport- und Spiel-Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche, ein neuer Ferienpark, das Technikmuseum wird modernisiert – ein Konzept mit ökologischer Ausrichtung. Genau solche wirtschaftlichen Entwicklungen brauchen wir dringend, damit die private Infrastruktur weiter wächst. Denn die Politik kann eben nicht alles auffangen, wenn die wirtschaftliche Entwicklung stagniert. Das ist ein wichtiger Baustein für die Zukunft.

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Jeden Morgen bei Sonnenaufgang sticht Norbert Willbrandt in See, für gewöhnlich zwischen fünf und sechs Uhr in der Früh. Das hat seinen Grund: „Wir wollen morgens um 9 schon wieder im Hafen sein“, erklärt der Fischer. „Damit der Fisch dann frisch zum Mittag auf dem Tisch liegt.“ Bereits in sechster Generation ist Willbrandt auf dem Meer unterwegs, an sieben Tagen die Woche.

An der Boddenpromenade ankert sein schwimmendes Imbiss-Schiff „Elfriede“. Hier können Besucher die frische Ware direkt erwerben und für den ersten Hunger gleich noch ein Fischbrötchen auf die Hand mitnehmen. Sichtlich stolz heißt es an einem Schild vor dem Imbiss-Kutter: „Bei uns läuft nichts vom Band, wir schaffen noch mit Herz und Hand!“

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