Träume beeinflussen Wirtschaftskraft Wie deutsche Träume unser Land stark machen

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Der chinesische Traum ist eher ein "kollektiver Traum"

Chinesischer Arbeiter Quelle: dapd

Dabei ist es eigentlich erstaunlich, dass sich dieser Mythos so lange hält. Der American Dream basiert ja nicht zuletzt auf Tellerwäscher-wird-Millionär-Geschichten, auf Karrieren wie die von Henry Ford, der einst vom Farmersjungen zum Autotycoon aufstieg. Aber so etwas kommt in den USA mittlerweile seltener vor als im angeblich so verknöcherten Europa. Nur acht Prozent amerikanischer Männer aus der untersten Einkommensschicht schaffen es, sich in das obere Fünftel hochzuarbeiten. In europäischen Ländern sind es mehr, allen voran bei den Dänen, wo 14 Prozent es von ganz unten nach ganz oben schaffen.

Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Seit mehr als einer Generation stagniert das Jahreseinkommen der breiten amerikanischen Mehrheit. Dagegen verdreifachten sich die Einkünfte derer an der Spitze. 1973 war ein typisches Chefgehalt 26-mal so hoch wie ein durchschnittliches Gehalt, aber im heutigen Amerika ist es mehr als 300-mal so hoch.

Gibt es ein Aufwachen nach dem amerikanischen Traum? Die anhaltende hohe Arbeitslosigkeit im Land ist Gift für die kollektive Vorstellung, dass ein jeder es schaffen kann. In einem Werbespot für Chrysler – ausgerechnet – trat kürzlich die Nationalikone Clint Eastwood auf und jammerte sorgenvoll über die Seelenschieflage im Land: "Menschen sind ohne Jobs, sie leiden, und wir alle haben Angst, weil wir nicht wissen, ob wir ein Comeback schaffen". Und das Aufkommen der Occupy-Bewegung war nun wirklich etwas ganz und gar Ungewöhnliches in Amerika: eine öffentliche Protestbewegung, die mit ihren "Wir sind die 99-Prozent"-Sprüchen offenen Klassenkampf betrieben.

Und ein chinesischer Traum? Gibt es den auch? Und kann er erklären, warum die Chinesen nach wie vor – im Schnitt zumindest – so viel härter arbeiten und so bereitwillig die Opfer tragen, die der schnelle Wandel ihrer Wirtschaft mit sich bringt?

Ja, den Traum gebe es, sagt der Autor Nan Zhimo. Er sei aber im Vergleich zum American Dream "eher ein kollektiver Traum. Es geht darin um Chinas Versuch, die Beleidigungen und die Schande, die es vor 100 Jahren erlebt hat, zu rächen." Fragt man Chinesen nach dem chinesischen Traum, stutzen viele erst einmal. Natürlich, die Antwort der Regierung kennt jeder: Der chinesische Traum, das sei ein wohlhabendes Volk in einem starken Land. Doch was ist da noch?

Der Gott des Reichtums

Natürlich, der Traum vom Geldverdienen. In den vergangenen 35 Jahren der Reformpolitik sind viele wohlhabend geworden, einige sogar steinreich. Manchen geht es zumindest ein bisschen besser und selbst die Ärmsten hoffen, irgendwann auch etwas vom Aufstieg abzubekommen. "Chinas Mittelklasse wird bereits auf 300 Millionen geschätzt, das ist mehr als die gesamte Bevölkerung der USA", schreibt die chinesischstämmige Amerikanerin Helen Wang, Autorin eines Buches namens The Chinese Dream.

Sie sei erst in den vergangenen 15 bis 20 Jahren entstanden; noch Ende der neunziger Jahre hatten die Chinesen keine Autos. "Die Mittelschicht weiß, dass China wie wild wächst, und sie ist sehr damit beschäftigt, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Schließlich ist jedem klar, dass China nicht immer in diesem Tempo weiterwachsen wird, dass die Chance irgendwann vorbei ist."

Und so kommt es, dass ein wachsender Teil der chinesischen Bevölkerung heute den Traum vom schnellen persönlichen Wohlstand träumt. Und von dem Statusgewinn, der damit einhergeht. "Für die Amerikaner stand Geldverdienen schon immer an erster Stelle", sagt Li Yiping, Wirtschaftsprofessor an der Renmin Universität. "China aber verehrte früher den Beamten." Kaufleute hingegen hatten früher in China keine hohe Stellung. Der Süden bildete eine Ausnahme, hier lebten schon immer äußerst erfolgreiche Geschäftsleute, die Handel mit den Nachbarländern trieben und großen Einfluss genossen.

Das Volk hatte ohnehin nie etwas gegen das Geldverdienen. Schon seit jeher wünscht man sich Gongxi Facai, "Glückwunsch und auf dass du ein Vermögen verdienst" zum Neujahrsfest. Nicht von ungefähr wird der Gott des Reichtums angebetet.

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