
Die reinen Zahlen klingen viel versprechend: Gleich drei Verhandlungsrunden zum umstrittenen transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP wollen die europäischen Unterhändler und ihre US-Kollegen im ersten Halbjahr 2015 abschließen. Nachdem am Freitag die neunte Gesprächsrunde in New York endete, soll noch vor der Sommerpause eine weitere Runde in Brüssel stattfinden.
Das hört sich an, als wenn ordentlich Schwung in die Verhandlung zwischen Amerikanern und Europäern gekommen wäre, die im Juni 2013 gestartet sind. Doch je länger die Gespräche andauern, desto mehr merken die Unterhändler, vor welchen Herausforderungen sie stehen. Das von Bundeskanzlerin Angela Merkel genannte Zieldatum von Ende 2015 ist illusorisch, wie der europäische Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero schon vor der Abreise nach New York zugab.
Und dabei sind die wirklich schwierigen Themen noch gar nicht auf den Tisch gekommen. Staatsaufträge etwa, ein Gebiet auf dem sich europäische Unternehmen zusätzliche Chancen in den USA erhoffen, weil dort bisher manche Bundesstaaten heimische Produkte bevorzugen. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström weiß, dass hier noch ganz schwierige Gespräche anstehen.
Was ein Freihandelsabkommen zwischen EU und USA bringt
Die Zölle zwischen den USA und den EU sind bereits niedrig. Sie liegen im Schnitt zwischen fünf und sieben Prozent, sagt der deutsche Außenhandelsverband BGA. Da jedoch jährlich Waren im Wert von mehr als einer halben Billion Euro über den Atlantik hin- und herbewegt werden, kann die Wirtschaft Milliarden sparen. Europäische Chemieunternehmen haben 2010 für Exporte in die Vereinigten Staaten fast 700 Millionen Euro in die US-Staatskasse gezahlt. Umgekehrt führten die USA gut eine Milliarde Euro nach Brüssel ab. Wirtschaftsverbände erwarten durch den Fall der Zollschranken weniger Bürokratie für mittelständische Unternehmen und mehr Geld für Investitionen, etwa in Forschung und Entwicklung.
Die deutsche Wirtschaft verspricht sich Impulse in Milliardenhöhe. "Das Freihandelsabkommen könnte unsere Exporte in die Vereinigten Staaten um jährlich drei bis fünf Milliarden Euro erhöhen", sagt der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Die Amerikanische Handelskammer in Deutschland (AmCham) rechnet mit einem zusätzlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 1,5 Prozent. Viele Unternehmen hoffen zudem darauf, einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA zu bekommen.
Fast unlösbar scheinen die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den USA und der EU in Fragen der Landwirtschaft. "Für die Amerikaner sind Hormonfleisch und Genmais kein Problem, für Europäer ist das dagegen ein 'No-Go'", sagt der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Da kann man sich auch nicht in der Mitte treffen." Die Handelskammer AmCham empfiehlt daher, dass Thema außen vor zu lassen. "Das Thema Agrar würde die Gespräche nur belasten", sagt AmCham-Ehren-Präsident Fred Irwin. "Deshalb wäre es gut, das beiseite zu schieben."
Bei der Angleichung technischer Standards. "Das fängt bei der Länge der Stoßstangen an und hört beim Krümmungswinkel des Rückspiegels auf", sagt BGA-Experte Nagel. "Hier gibt es seit Jahrzehnten unterschiedliche Standards, die sich nicht in wenigen Jahren angleichen lassen." Die Chemieindustrie fordert, vor allem Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz stärker aufeinander abzustimmen.
Die deutschen Exporteure warnen davor, aus dem Freihandelsabkommen eine Art Wirtschafts-Nato zulasten anderer Handelspartner zu schmieden. "Uns stört das Gerede um eine Wirtschafts-Nato", sagte der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Ein Freihandelsabkommen ist nicht dazu da, sich gegen Dritte abzuschotten nach dem Motto 'Jetzt verbünden wir uns gegen die bösen Chinesen'." In der Politik wird das zum Teil genau andersherum gesehen. "Es bleibt nur noch wenig Zeit, gemeinsam mit den USA Standards zu prägen, bevor Wachstumsmärkte wie China und Indien den Takt angeben", sagte der Geschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrats, Thomas Raabe.
Sie können Produkte billiger einkaufen, verspricht beispielsweise der Verband der Automobilindustrie (VDA). "Das würde auch die Kosten eines Autos für den Verbraucher senken", sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. Auch andere Branchen können mit einer Kostensenkung rechnen. Ob sie den Vorteil an ihre Kunden weitergeben oder den eigenen Gewinn damit steigern, bleibt ihnen überlassen. Produkte können außerdem schneller erhältlich sein, wenn sie einheitlich zugelassen werden - etwa wenn die US-Aufsicht FDA ein neues Medikament freigibt, das damit automatischen die Zulassung in den EU erhält. (Quelle: Reuters)
Rosig sah es diesmal vor allem bei den Zöllen nicht aus, wo sich beide Seiten noch nicht angenähert haben, wie US-Unterhändler Dan Mullaney eingestand. Die US-Seite hatte die Europäer zum Auftakt der Verhandlungen verärgert, indem sie nur sehr zögerliche Zollsenkungen angeboten haben. Die Zölle zwischen den USA und Europa befinden sich insgesamt auf einem niedrigen Niveau. Angesichts der großen Handelsvolumen, etwa bei den Autoherstellern, summieren sie sich aber auf bedeutende Beträge. Der Verband der deutschen Automobilindustrie beziffert den Zoll, der für deutsche Hersteller pro Jahr in den USA anfällt, auf eine Milliarde Euro.
Die Angleichung der Standards in den Branchen Automobil, Pharmacie und Medizintechnik stand in der vergangenen Woche auf der Tagesordnung. Auch hier hoffen die deutschen Automobilhersteller auf Erleichterungen. Unterschiede bei den Vorgaben, etwa Airbags, die in den USA größer sein müssen, kosten die Autobranchen im Jahr 12,8 Milliarden Dollar im Jahr, heißt es bei Clepa, dem europäischen Verband der Zulieferer. Allerdings ist unwahrscheinlich, dass die Unterschiede jemals völlig abgebaut werden können.
Importzoll-Wirrwarr zwischen Europa und den USA
Der Zustand teilweise widersprüchlicher Vorschriften in der EU und den USA führt dazu, dass sowohl europäische als auch amerikanische Hersteller ihre Fahrzeuge an den jeweiligen anderen Markt anpassen müssen. Auch bei den Import-Zollsätzen gibt es verwirrende Unterschiede.
So beträgt der Einfuhrzoll bei in den USA PKWs 2,5 Prozent, in der EU satte 10,0 Prozent. Auch SUVs und Pick-Ups können in der EU zum PKW-Satz verzollt werden können, wenn sie in erster Linie der Personenbeförderung dienen, was wiederum vom Verhältnis der Ladefläche zur Fahrerkabine abhängig ist. In den USA gelten Pick-Ups als Nutzfahrzeuge und so wird beim Import in die USA der Einfuhrzoll von Nutzfahrzeugen fällig: 25 Prozent.
Für die in den USA beliebten "Light Trucks (leichte Nutzfahrzeuge) und Pick-Ups" wird ein US-Einfuhrzoll in Höhe von 25 Prozent erhoben, um die heimischen Autobauer zu schützen. Für "Sport Utility Vehicles" (SUVs) hingegen gilt der Pkw-Zoll: 2,5 Prozent. Der Import in die EU ist für US-Autobauer günstiger: Pick-Ups können mit dem PKW-Satz importiert werden, wenn sie in erster Linie der Personenbeförderung dienen. Dann werden also zehn Prozent fällig.
Auch bei größeren Nutzfahrzeugen wird ein einheitlicher US-Einfuhrzoll in Höhe von 25 Prozent erhoben, während er in der EU 22 Prozent beträgt.
Busse werden sowohl in den USA, als auch der EU mit einem separaten Satz verzollt, der in beiden Fällen unter dem von Nutzfahrzeugen liegt: 16 Prozent in der EU und nur zwei Prozent in den USA.
Der Einfuhrzoll für Fahrzeugteile schwankt in der EU zwischen zwei und fünf Prozent, in den USA zwischen null und 2,5 Prozent.
Bei der Chemie gehen die Unterhändler sehr vorsichtig vor, weil sie wissen, dass Verbraucher Angst vor einem niedrigeren Schutzniveau haben. Der europäische Unterhändler Ignacio Garcia Bercero unterstrich am Freitag noch einmal ausdrücklich, dass eine gegenseitige Anerkennung der Regeln bei Chemikalien nicht in Frage komme. Die Regulatoren wollten pragmatisch sondieren, wo sie zusammenarbeiten könnten. Das hörte sich nicht an, als wenn Exporteure binnen kurzer Zeit große Erleichterungen erwarten könnten.
Gut kommen die Gespräche dagegen bei der Vereinfachung von Zollverfahren voran. Hier geht es darum, die Verfahren zu beschleunigen und Standardprozeduren zu erarbeiten. Da beide Seiten relativ effiziente Verwaltungen haben, sind hier schnell Fortschritte zu erwarten.
Die Europäer haben die US-Seite nachhaltig verärgert, weil die EU-Kommission vergangene Woche vorgeschlagen hat, dass Mitgliedsstaaten künftig mehr Entscheidungsfreiraum bei gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bekommen. So soll es den Mitgliedsstaaten überlassen sein, ob sie GVO in ihrer Lebensmittelkette untersagen, auch wenn diese in der EU als Lebens- oder Futtermittel zugelassen sind. US-Unterhändler Mullaney hat diesen Vorschlag am Freitag in New York ausdrücklich kritisiert, weil er nach amerikanischem Verständnis weder mit dem Binnenmarkt noch mit Freihandel vereinbar ist.
Einer der Hauptgründe, warum die USA und die EU über TTIP verhandeln, ist die Hoffnung eine Art Blaupause zu entwerfen, die der Rest der Welt kopieren wird. „Wir wollen sicherstellen, dass die US- und die europäische Position das bedeutendste wirtschaftliche Modell in der Welt wird“, sagte Mullaney am Freitag. Bei allen Ähnlichkeiten stellt sich im Detail allerdings heraus, dass sich die Positionen auf beiden Seiten des Atlantiks doch voneinander unterscheiden.