Als wäre er nie weg gewesen. Gerhard Schröder bahnt sich den Weg durch die Menge und entert das rote Podium in der Mitte des Kaiser-Wilhelm-Platzes von Detmold. Braungebrannt, macht der Altkanzler gleich seine typische Siegergeste und grüßt mit zusammengefalteten, in die Höhe gereckten Händen die 4500 Leute vor ihm. Die Hartz-IV-Gegner begrüßt er auch. „Das ist ja eine Art Heimspiel, bis auf die paar Pfiffe, aber die betrachte ich als Begrüßung“, flachst der in der Nähe geborene Schröder. Die vielen Besucher führt er darauf zurück, dass die Lipper kommen, wenn der Eintritt frei ist.
Dann zeigt er seiner SPD, wie Wahlkampf geht. Was als lockerer Talk geplant ist, gerät zur Abrechnung mit seiner Nachfolgerin. Angela Merkel (CDU) wirft er vor, das Volk zu täuschen: Er spricht von einer „ganz großen Lüge“, dass Deutschland nicht wird zahlen müssen zur Bewältigung der europäischen Schuldenkrise. Merkel sage vor der Wahl, es brauche kein drittes Hilfspaket für Griechenland und tue so, als wenn deutsche Steuerzahler ungeschoren davon kämen.
Dieses Image Merkels als „Schwäbische Hausfrau“, die in der Schuldenkrise deutsches Geld zusammenhält, ist aus SPD-Sicht ein Mitgrund für die starken Umfragewerte der Union. „Mit Vertuschen und Verschleiern gewinnt man kein Vertrauen des Volkes, sondern nur mit Klartext“, sagt der 69-Jährige.
Und er liest Merkel auch auf einem anderen Feld noch die Leviten: Sie zehre doch nur von seiner Agenda 2010. „Was mich umtreibt: Seitdem ist so gut wie nichts passiert, eher eine Rolle rückwärts.“ Es gebe einen Rückschritt in die Kohl-Jahre, nun müsse Rot-Grün mit einem Kanzler Peer Steinbrück wieder das Land reformieren. Es ist die typische Schröder-Chuzpe, die Leute johlen, auch Steinbrück, der den Worten von einer Bierbank lauscht, hat sichtlich seinen Spaß.
"Peer, du bist ein guter Tambour, also schlage die Trommel"
Der tigert anschließend auf dem Podium im Kreis herum und beantwortet in der von einem weißen Zeltdach überspannten Arena die Fragen der Bürger. Die Pfiffe der Hartz-Gegner und der Befürworter eines sofortigen Atomausstiegs kommentiert er mit den Worten: „Pfeifen passen manchmal zu Pfeifen.“ Auf den Zwischenruf, ob er Russlands Präsidenten Wladimir Putin wie einst Schröder auch einen lupenreinen Demokraten nennen würde, meint Steinbrück süffisant: „Diplomatisch wie ich bin, nenn' ich ihn nicht so“.
Er ist ein etwas anderer Typus als Schröder - weniger volkstümlich. Unvergessen Schröders Aufholjagd 2005, als er einen Umfragerückstand von 23 Prozent auf die Union bis zum Wahlabend fast egalisierte. Sich dann aber in der Fernsehrunde am Abend vergaloppierte und seitdem mit lukrativen Jobs wie dem des Aufsichtsratschefs des deutsch-russischen Ostseepipeline-Konsortiums sein Geld verdient.
Aber Steinbrück kommt in Detmold mit seinen Reformvorstellungen an, mit Blick auf die Kosten der Euro-Krise erinnert er daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Hilfe von Ländern erhalten habe, die es vorher noch besetzt habe. Er wolle ein Land, „das stark ist, weil es sozial gerecht zugeht“. Er zitiert zur Skizzierung der schwarz-gelben Koalition Ex-SPD-Chef Franz Müntefering: „Vier Jahre Kreisverkehr.“ Er wolle den Stillstand beenden und klaren Kurs fahren. „Ich will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“, betont er und fordert mehr Gemeinsinn: Das Wir entscheide.
Schröder hat sich zu Steinbrücks Ermunterung etwas Besonderes ausgedacht: Er hat das Gedicht „Doktrin“ von Heinrich Heine für ihn mitgebracht. „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht. (...) Marschiere trommelnd immer voran, das ist die ganze Wissenschaft“, heißt es darin.
Schröder schließt mit den Worten: „Peer, ich finde du bist ein guter Tambour, also schlage die Trommel.“ Ein bisschen lauteres Trommeln wünschen sich manche in der SPD von Steinbrück.