Trommeln gegen Merkel Gerhard Schröder rockt den SPD-Wahlkampf

Altkanzler Gerhard Schröder kann es noch: Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Detmold impft er der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten Steinbrück neues Selbstbewusstsein ein, und rechnet mit Angela Merkel ab.

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Altbundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück geben in Detmold Autogramme. Quelle: dpa

Als wäre er nie weg gewesen. Gerhard Schröder bahnt sich den Weg durch die Menge und entert das rote Podium in der Mitte des Kaiser-Wilhelm-Platzes von Detmold. Braungebrannt, macht der Altkanzler gleich seine typische Siegergeste und grüßt mit zusammengefalteten, in die Höhe gereckten Händen die 4500 Leute vor ihm. Die Hartz-IV-Gegner begrüßt er auch. „Das ist ja eine Art Heimspiel, bis auf die paar Pfiffe, aber die betrachte ich als Begrüßung“, flachst der in der Nähe geborene Schröder. Die vielen Besucher führt er darauf zurück, dass die Lipper kommen, wenn der Eintritt frei ist.

Dann zeigt er seiner SPD, wie Wahlkampf geht. Was als lockerer Talk geplant ist, gerät zur Abrechnung mit seiner Nachfolgerin. Angela Merkel (CDU) wirft er vor, das Volk zu täuschen: Er spricht von einer „ganz großen Lüge“, dass Deutschland nicht wird zahlen müssen zur Bewältigung der europäischen Schuldenkrise. Merkel sage vor der Wahl, es brauche kein drittes Hilfspaket für Griechenland und tue so, als wenn deutsche Steuerzahler ungeschoren davon kämen.

Mit diesen Prominenten schmücken sich die Parteien
Eine lange Liste prominenter Unterstützer kann die CDU auf sich vereinen. Für Designer Wolfgang Joop repräsentiert Angela Merkel "als Mensch und Kanzlerin ein Deutschland, in dem man gern zuhause ist." Quelle: dpa
Auch Schauspielerin Uschi Glas wirbt für Angela Merkel: Sie stehe für "Bescheidenheit statt Protzigkeit, Besonnenheit statt Hyperaktivität, Bestimmtheit statt Windfahnenpolitik." Quelle: dpa
Schauspieler Sascha Hehn (links) unterstützt Angela Merkel, "weil sich Deutschland in der heutigen Zeit nur die Beste an der Spitze des Staates leisten kann!" Quelle: dpa/dpaweb
Und Kickboxerin Christine Theiss (Mitte) mag an Angela Merkel ihren "unaufgeregten Regierungsstil, sie hält sich aus Hahnenkämpfen heraus. Sie vertritt Deutschland aber hart in der Sache und sehr zielsicher." Quelle: REUTERS
Der Schauspieler Heiner Lauterbach macht es kurz und schmerzlos. Er sagt: "Ich stimme für Angela Merkel, weil ich Ihr vertraue." Aber nicht nur die CDU hat prominente Fans und Unterstützer... Quelle: dpa
Sowohl der Schauspieler Leonard Lansink (links) als auch der Comedian Ingo Appelt unterstützen die SPD. Appelt ist nicht nur bei Wahlkampfveranstaltung im Wahlkreis von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel aufgetreten, er besuchte auch eine SPD-Vorstandsklausur, um die Partei zu unterstützen. Quelle: dpa
Die Sängerin Nena wird wie auch Sänger Roland Kaiser Mitte August beim "Deutschlandfest" der SPD in Berlin auftreten – und sich dabei vermutlich auch auf einer Bühne mit SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zeigen. Roland Kaiser jedenfalls hat sich bereits öffentlich zu Steinbrück bekannt. Quelle: dpa

Dieses Image Merkels als „Schwäbische Hausfrau“, die in der Schuldenkrise deutsches Geld zusammenhält, ist aus SPD-Sicht ein Mitgrund für die starken Umfragewerte der Union. „Mit Vertuschen und Verschleiern gewinnt man kein Vertrauen des Volkes, sondern nur mit Klartext“, sagt der 69-Jährige.

Und er liest Merkel auch auf einem anderen Feld noch die Leviten: Sie zehre doch nur von seiner Agenda 2010. „Was mich umtreibt: Seitdem ist so gut wie nichts passiert, eher eine Rolle rückwärts.“ Es gebe einen Rückschritt in die Kohl-Jahre, nun müsse Rot-Grün mit einem Kanzler Peer Steinbrück wieder das Land reformieren. Es ist die typische Schröder-Chuzpe, die Leute johlen, auch Steinbrück, der den Worten von einer Bierbank lauscht, hat sichtlich seinen Spaß.

"Peer, du bist ein guter Tambour, also schlage die Trommel"

Wahlversprechen, und was daraus wurde
1988: „Eins ist sicher: die Rente“ (CDU) Noch im Sommer forderte Bundessozialministerin Ursula von der Leyen, eine Zuschussrente einzuführen. Das soll die Armut im Alter verhindern, die viele Deutsche fürchten. Denn die staatliche Rente allein reicht längst nicht mehr. Schon 2001 führte die Bundesregierung mit der Riester-Rente eine zusätzliche Vorsorge-Möglichkeit ein. 1988 klangen noch andere Töne: Einen abgesicherten Lebensabend versprach damals CDU-Sozialminister Norbert Blüm im Wahlkampf. Mit dem Spruch „Eins ist sicher: die Rente“ hatte die CDU für sich geworben. Quelle: AP
1990: CDU will Aufbau Ost aus der Porto-Kasse zahlen„Blühende Landschaften“ versprach Kanzler Helmut Kohl 1990 in den neuen Bundesländern. Dafür hatte er vor der Bundestagswahl ausgeschlossen und wollte die Wiedervereinigung „aus der Portokasse“ finanzieren. Stattdessen kam der Solidaritätszuschlag. Dieser sollte aber nicht lange bleiben. 1996 versprach Kohl: „Der Solidaritätszuschlag ist bis Ende 1999 endgültig weg.“ Heute gibt es ihn immer noch. Quelle: dapd
2005: SPD schließt eine höhere Mehrwertsteuer ausFranz Müntefering fand es 2005 als Vizekanzler „unfair“, dass die Regierung „an dem gemessen wird, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist“. Seine SPD hatte im damaligen Wahlkampf gesagt, dass es mit ihre keine höhere Mehrwertsteuer geben würde. Die CDU hatte sich für eine Erhöhung um zwei Prozentpunkte eingesetzt. Schließlich wurden es drei Prozentpunkte – mit der SPD als Koalitionspartner. Quelle: dpa/dpaweb
2005: CDU will erst raus aus dem Atomausstieg - und dann doch nichtSchon im Wahlkampf 2005 stellt die CDU den unter der SPD beschlossenen Atomausstieg in Frage. Raus aus dem Ausstieg wagt sie sich jedoch erst 2010 in einer Koalition mit der FDP. Lange fest hält sie daran nicht. Kanzlerin Angela Merkel änderte ihre Haltung ein knappes Jahr später nach der Atom-Katastrophe von Fukushima. Im Juni 2011 beschlossen Bundestag und Bundesrat, die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke und das Kraftwerk Krümmel sofort stillzulegen sind. Die restlichen deutschen Kernkraftwerke sollen bis 2022 abgeschaltet werden. Quelle: AP
2008: Hessens SPD will erst ohne, dann mit der LinkenRoland Koch als hessischen Ministerpräsidenten zu Fall bringen: Das war 2008 das Ziel von SPD-Spitzenkandiidatin Andrea Ypsilanti im hessischen Wahlkampf. Dafür wollte sie sogar ihr Wahlversprechen brechen, keine Koalition mit der Linken einzugehen. „Wir werden uns nicht einmal von ihr tolerieren lassen. Auch nach dem Wahlabend nicht, garantiert!“ Das waren Ypsilantis Worte vor der Wahl gewesen. Als sie sich nach der Wahl doch von der Linken tolerieren lassen wollte, ließ sie nach heftigem Widerstand von ihrem Vorhaben ab und trat zurück. Quelle: dpa
2009: CDU und FDP wollten das Kindergeld auf 200 Euro erhöhen200 Euro Kindergeld versprach die FDP vor der Bundestagswahl 2009. Die Koalition mit der CDU einigte sich sogar auf diese Erhöhung – geschehen ist seit dem nichts: Der Kindergeld-Satz liegt derzeit bei 184 Euro für das erste und zweite Kind, sowie 190 Euro für das dritte Kind. Laut einem Bericht der Bild-Zeitung von November 2012 können Eltern immerhin auf eine Erhöhung von zwei Euro bis spätestens 2014 rechnen. Quelle: AP
2009: CDU will Eingangssteuersatz senkenZum Jahresbeginn2013 dürfen sich die Steuerzahler über eine Erleichterungen freuen. Der Grundfreibetrag steigt ab jetzt schrittweise bis 2014 von 8.004 auf 8.354 Euro. Der Eingangssteuersatz bleibt jedoch gleich. Dabei hatte die CDU im Wahlkampf 2009 versprochen, ihn in zwei Schritten von 14 auf zwölf Prozent zu senken. Quelle: dpa

Der tigert anschließend auf dem Podium im Kreis herum und beantwortet in der von einem weißen Zeltdach überspannten Arena die Fragen der Bürger. Die Pfiffe der Hartz-Gegner und der Befürworter eines sofortigen Atomausstiegs kommentiert er mit den Worten: „Pfeifen passen manchmal zu Pfeifen.“ Auf den Zwischenruf, ob er Russlands Präsidenten Wladimir Putin wie einst Schröder auch einen lupenreinen Demokraten nennen würde, meint Steinbrück süffisant: „Diplomatisch wie ich bin, nenn' ich ihn nicht so“.

Er ist ein etwas anderer Typus als Schröder - weniger volkstümlich. Unvergessen Schröders Aufholjagd 2005, als er einen Umfragerückstand von 23 Prozent auf die Union bis zum Wahlabend fast egalisierte. Sich dann aber in der Fernsehrunde am Abend vergaloppierte und seitdem mit lukrativen Jobs wie dem des Aufsichtsratschefs des deutsch-russischen Ostseepipeline-Konsortiums sein Geld verdient.

Aber Steinbrück kommt in Detmold mit seinen Reformvorstellungen an, mit Blick auf die Kosten der Euro-Krise erinnert er daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Hilfe von Ländern erhalten habe, die es vorher noch besetzt habe. Er wolle ein Land, „das stark ist, weil es sozial gerecht zugeht“. Er zitiert zur Skizzierung der schwarz-gelben Koalition Ex-SPD-Chef Franz Müntefering: „Vier Jahre Kreisverkehr.“ Er wolle den Stillstand beenden und klaren Kurs fahren. „Ich will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“, betont er und fordert mehr Gemeinsinn: Das Wir entscheide.

Schröder hat sich zu Steinbrücks Ermunterung etwas Besonderes ausgedacht: Er hat das Gedicht „Doktrin“ von Heinrich Heine für ihn mitgebracht. „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht. (...) Marschiere trommelnd immer voran, das ist die ganze Wissenschaft“, heißt es darin.

Schröder schließt mit den Worten: „Peer, ich finde du bist ein guter Tambour, also schlage die Trommel.“ Ein bisschen lauteres Trommeln wünschen sich manche in der SPD von Steinbrück.

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