Diese Woche hatte Klaus-Dieter Maubach keine guten Nachrichten für Deutschland: „Das Schlimmste kommt erst noch“, warnte der Vorstandsvorsitzende des angeschlagenen Energiekonzerns Uniper. Die Preise seien bereits heute 20 mal so hoch wie vor zwei Jahren, auch für Gas würden sie so schnell nicht sinken. Für Verbraucher und die Industrie sei das eine „große Belastung“, sagte Maubach im Interview mit dem Fernsehsender CNBC. Doch während er erklärte, wie hart der Winter für Deutschland wird, wirkt sein Konzern trotz staatlicher Milliardenhilfen nicht besonders belastet.
Als sogenannter Platinum-Sponsor finanzierte Uniper gerade die Gastech, die größte Gasmesse der Welt, mit. Rund 38.000 Besucher besuchten die Konferenz vergangene Woche in Mailand, auf der Bühne diskutierten etwa die Energieminister aus Indien, Ägypten und Abu Dhabi sowie Ex-Bundeswirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) über den Weg „in eine bessere Energiezukunft“.
Danksagung an Sponsor Uniper
Zum Auftakt der Konferenz wurden die Gäste zum Gala-Dinner in die Villa Necchi eingeladen, wo jüngst der Hollywoodfilm „House of Gucci“ gedreht wurde: Opulenter Blumenschmuck, Empfang mit Aperol Spritz und Musicalbegleitung zum Essen sind auf Fotos zu sehen. „Atemberaubend“ sei der Abend gewesen, schwärmte der Messeveranstalter Gastech auf Twitter – und dankte dem deutschen Energiekonzern für sein großzügiges Engagement: „Thank you to our sponsors @uniper_energy.“
Mit 15 Milliarden Euro hat die Bundesregierung Uniper im Juli vor der Pleite gerettet, ab Oktober müssen alle deutsche Gaskunden eine Gasumlage von rund 2,5 Cent pro Kilowattstunde bezahlen, bereits jetzt explodieren die Energiekosten für Verbraucher und Wirtschaft – und nun finanziert der Konzern, der sich von Russland so abhängig gemacht hat wie kein zweiter Gasimporteur und gerade weitere Milliardenhilfen beantragt hat, Dolce Vita in Italien?
Eine Absage? „Nicht zumutbar“
Der Vertrag für das Sponsoring sei bereits im vergangenen Herbst vereinbart worden, erklärt ein Konzernsprecher. Die Kosten für das Gesamtsponsoring würden sich auf mehrere Hunderttausend Euro im „unteren Bereich“ belaufen, ein Teil der Summe sei vom Veranstalter für das Abendevent genutzt worden. Konkrete Zahlen nennt der Sprecher nicht. Laut Messebroschüre umfassen solche Sponsorings insgesamt rund 350.000 Euro – aus Sicht von Uniper offensichtlich eine gute Investition.
Das Unternehmen wolle „trotz allem ein vertrauenswürdiger Geschäftspartner sein“, erklärt der Sprecher. Das Sponsoring kurz vor der Messe abzusagen, „erschien uns gegenüber dem Veranstalter als nicht zumutbar“. Dann also lieber eine Zumutung für die Steuerzahler und Gasverbraucher?
„Die Steuerzahler haben dafür kein Verständnis“
Uniper sieht darin keine Zumutung, sondern eine Chance. Die Präsenz auf der Gastech diene „ausschließlich der Beschaffung zusätzlicher Gas-Volumen zur Diversifizierung der Gasbezugsquellen und damit zur Stärkung der Versorgungssicherheit“, erklärt der Sprecher. Also warme Wohnzimmer dank großer Gas-Galas?
In der Bundesregierung kommt diese Strategie weniger gut an. „Unternehmen, die staatliche Rettungsgelder bekommen, unterliegen höchsten Ansprüchen bei der Mittelverwendung“, erklärt der FDP-Energieexperte Michael Kruse: „Für alles andere haben die Steuerzahler kein Verständnis.“
Das Ministerium muss zuschauen
Das Wirtschaftsministerium hat auf solche bemerkenswerten Beschaffungsstrategien keinen Einfluss. Zwar hat der Bund die Milliardenrettung finanziert und steigt mit 30 Prozent bei Uniper ein, aber laut Paragraf 65 der Bundeshaushaltsordnung sind nur solche Geschäfte zustimmungspflichtig durch den Bund, die das Gesellschaftsrecht und damit die grundlegende Verfassung des Unternehmens betreffen.
„Entscheidungen und Einzelmaßnahmen der Uniper AG im Bereich des Sponsorings und des Marketings gehören nicht dazu“, erklärt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums, jedoch betont er: „Selbstverständlich trägt jedes Unternehmen eine Eigenverantwortung dafür, seine Aktivitäten der aktuell angespannten Lage entsprechend zu bewerten.“
Bei der Gasumlage sind die Vorgaben dagegen strenger. Die Gelder dürften nur dazu genutzt werden, um „konkrete Beschaffungskosten für den Ausfall russischer Gaslieferungen“ zu erstatten, erklärt der Sprecher des Ministeriums.
2,4 Cent: Umlage trifft alle Gaskunden
2,419 Cent pro Kilowattstunde werden vom 1. Oktober an als Aufschlag auf den ohnehin drastisch gestiegenen Gaspreis fällig. Die Bundesregierung will keine Mehrwertsteuer darauf erheben: Finanzminister Christian Lindner hatte auf EU-Ebene um eine Ausnahme gebeten, diese wurde aber abgelehnt. Viele Menschen sind betroffen, denn etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt.
Für einen Einpersonenhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden bedeutet die Umlage ohne Mehrwertsteuer jährliche Zusatzkosten von rund 121 Euro. Mit wären es rund 144 Euro. Für einen Familienhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden liegen die Mehrkosten bei rund 484 Euro im Jahr. Kommt die Mehrwertsteuer hinzu, sind es 576 Euro.
Die Umlage gilt ab Anfang Oktober. Sie werde aber nicht unmittelbar auf den Rechnungen sichtbar, sondern mit etwas Zeitverzug, so das Wirtschaftsministerium. Ankündigungsfristen von vier bis sechs Wochen müssten eingehalten werden. Daher werde die Umlage wahrscheinlich erst im November oder Dezember erstmals auf den Rechnungen ausgewiesen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft rechnet allerdings damit, dass einige Versorger die Umlage schon ab dem 1. Oktober ihren Kunden in Rechnung stellen werden.
Die Umlage endet am 1. April 2024. Sie wird laut Wirtschaftsministerium monatlich abgerechnet und kann alle drei Monate angepasst werden. Die Ausgleichszahlungen bekommen die Importeure nur unter bestimmten Bedingungen. Abgerechnet werden können 90 Prozent der Mehrkosten. Noch bis Ende September müssen die Unternehmen alle Mehrkosten selbst tragen. Sollte Russland gar kein Gas mehr liefern, hält Habeck es für wahrscheinlich, dass die Umlage steigt.
Den Firmen, die in der Vergangenheit günstiges russisches Erdgas nach Deutschland importiert haben. Sie bekommen noch einen Bruchteil der vertraglich zugesicherten Liefermengen. Gleichzeitig haben sie ihren Abnehmern wie Stadtwerken genau dieses Gas versprochen. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, müssen sie kurzfristig Gas an der Börse teuer hinzukaufen. Die Folge: Bei den Importeuren sind erhebliche Verluste entstanden. Der Fortbestand der Unternehmen kann gefährdet sein. Beim größten Gasimporteur Uniper war die Lage so dramatisch, dass noch vor Einführung der Umlage ein milliardenschweres Rettungspaket nötig wurde. Habeck bezeichnete die Umlage als eine „bittere Medizin“. Die Alternative zu den Hilfsmaßnahmen wäre ein Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes gewesen.
Russland macht technische Gründe dafür verantwortlich. Die Bundesregierung hält dies für vorgeschoben. Habeck sprach am Montag von einer „von russischer Seite verursachten künstlichen Energieknappheit“ im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte den Bürgern erneut ein weiteres Entlastungspaket zu. „Wir lassen niemanden allein mit den höheren Kosten“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter und räumte gleichzeitig ein: „Es wird teurer – da gibt es kein drumherumreden. Die Energiepreise steigen weiter.“ Bisher seien schon staatliche Hilfen über 30 Milliarden Euro beschlossen worden. Habeck sagte, die Bundesregierung habe sich schon auf erste Schritte wie eine Ausweitung des Wohngeldes mit einem Heizkostenzuschuss verständigt. „Ich meine aber, dass weitere zielgenaue Entlastungen nötig sind. In dieser Krise müssen wir den demokratischen Konsens sozialpolitisch absichern.“
Zwölf Gasimporteure haben ihre Ersatzbeschaffungskosten angemeldet. Darunter sind Uniper, VNG und EWE. RWE und Shell wollen auf eine Kostenerstattung verzichten. Insgesamt haben die zwölf Unternehmen bis Anfang April 2024 zunächst rund 34 Milliarden Euro geltend gemacht, teilweise aufgrund von Schätzungen. Wirtschaftsprüfer und die Bundesnetzagentur sollen darauf achten, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Das ist noch nicht ganz klar und wird geprüft. Gegebenenfalls wird es noch Gesetzesänderungen geben. Habeck wies darauf hin, dass es auch viele Festverträge mit einer Preisanpassungsmöglichkeit für staatliche Abgaben gibt.
Neben der Beschaffungsumlage kommt im Herbst noch eine Gasspeicherumlage. Diese soll die Kosten ersetzen, die für die Extra-Einspeicherung von Erdgas zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit im Winter entstehen. Das Wirtschaftsministerium geht aber nicht davon aus, dass diese Umlage eine „relevante Größe“ erreichen wird.
Die Gasumlage wird nach Ansicht von Ökonomen zu einer Steigerung der Inflationsrate führen. So hält das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine Inflationsrate im vierten Quartal um die zehn Prozent für möglich. Experten der Commerzbank gehen von einer Steigerung der Teuerung bis Jahresende auf deutlich über neun Prozent aus.
Uniper erklärt, sich „seiner besonderen Situation und der daraus resultierenden Verantwortung sehr bewusst“ zu sein. Das Unternehmen sehe sich zwar gerade alle Ausgaben wie für Sponsorings an. Aber um „seiner Rolle im Energiemarkt gerecht zu werden, kann Uniper aber auch in Zukunft auf Veranstaltungen zur Geschäftsanbahnung nicht verzichten“, betont der Konzernsprecher.
Konzernweite Sparprogramme sind nicht geplant
Gibt es denn für Uniper jenseits der Messen Einsparpotenzial? „Ein Stellenabbauprogramm und konzernweites Sparprogramm gibt es Stand heute nicht“, sagt der Sprecher. Es sei aber ein „Energiesparkonzept für alle Standorte in Vorbereitung“.
Uniper-Chef Maubau zitierte im Spotlight derweil Winston Churchill: „Never miss a good crisis“, sagte er bei seinem Auftritt auf der Gastech: „We definitly have a good crisis, so let’s not miss it“. Existenzbedrohende Energiepreise als „gute“ Krise?
Gelöschter Tweet
Das Zitat sei keineswegs „böswillig“ zu verstehen“, erklärt der Sprecher, sondern Maubach habe sagen wollen, dass „diese Krise schwer genug und damit geeignet ist, um daraus zu lernen“ und Innovation und Transformation anzustoßen.
Die Veranstalter der Gastech haben bereits etwas gelernt, nämlich, dass offensichtlich nicht all ihre Tweets erwünscht sind. Der Beitrag, mit der Danksagung an den Sponsor Uniper für das „prestigious Gala Dinner“ und das „stunning venue“ in der Villa Necchi ist inzwischen gelöscht.
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