Trotz Spitzelskandal Bundesregierung stellt Arbeitsvisa für 350 neue Ditib-Imame aus

Türkische Imame sollen in deutschen Ditib-Gemeinden Gläubige ausgehorcht haben. Eine Alternative zu den „Import-Imamen“ gibt es aber bisher nicht.

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Im Zusammenhang mit den Spitzelvorwürfen gegen den Moscheeverband hatte die Türkei den deutschen Behörden eine „Hexenjagd” vorgeworfen. Quelle: dpa

Berlin Auch nach der Spitzel-Affäre um Imame des türkischen Moscheeverbandes Ditib hat die Bundesregierung die Einreise von 350 islamischen Geistlichen genehmigt. Die deutschen Behörden hätten dazu im vergangenen Jahr Arbeitsvisa mit einer Gültigkeitsdauer von 180 Tagen ausgegeben, berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Mittwoch unter Berufung auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion.

Allerdings habe das Ministerium keine Erkenntnisse darüber, ob die Imame das Land nach Ablauf der Frist wieder verlassen oder möglicherweise Asyl beantragt haben. Im Regelfall beantragen die Imame während der 180 Tage bei der lokalen Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis.

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) steht in Deutschland wegen ihrer Nähe zur türkischen Regierung unter Druck und wird von Kritikern als verlängerter Arm von Präsident Recep Tayyip Erdogan angesehen. Mehrere Imame sollen auf Anweisung aus Ankara Erdogan-Gegner bespitzelt und denunziert haben. Die Religionsbehörde Diyanet entsendet für die 960 Ditib-Moscheegemeinden Imame nach Deutschland und bezahlt sie auch.

Ermittlungen gegen mehrere Geistliche wegen Spitzel-Vorwürfen waren im Dezember eingestellt worden. Wie die Bundesanwaltschaft damals mitteilte, sah sie bei sieben Männern zwar einen hinreichenden Tatverdacht. Da diese aber Deutschland mit unbekanntem Ziel verlassen hätten, könne keine Anklage gegen sie erhoben werden. Die Geistlichen wurden verdächtigt, Informationen über Anhänger der Gülen-Bewegung gesammelt und an das türkische Generalkonsulat in Köln berichtet zu haben. Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.

„Die Bundesregierung ist völlig naiv oder verantwortungslos“, kritisierte Sevim Dagdelen, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Es sei absurd zu erwarten, dass „ein Verband die Stärkung demokratischer Haltungen in Deutschland unterstützen soll, der in eine Spionage-Affäre verstrickt ist und an der Einschüchterung von Erdogan-Kritikern und Verfolgung von Andersdenkenden mitwirkt“.

Auch in anderen Parteien war zuletzt Kritik an den „Import-Imame“ laut geworden. Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz sagte: „Die Bundesregierung muss darlegen, wie man zügig das erklärte Ziel erreicht, eine ausreichende Anzahl von Imamen in Deutschland auszubilden.“ Es sei wichtig, „dass geistliche Lehrer einen fundierten Bezug und Verständnis unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung haben“.

Konkrete Pläne für eine alternative Rekrutierung oder Finanzierung, die kurzfristig umsetzbar wären, existieren bislang nicht. Zwar gibt es inzwischen an einigen deutschen Universitäten neben dem Fach Islamwissenschaften auch Studiengänge für islamische Theologie. Doch viele, die dort studieren, wollen nicht unbedingt Prediger werden. Die Bundesregierung hatte im Februar auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion erklärt, eine Finanzierung der Gründung islamischer Gemeinden durch den deutschen Staat wäre mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nicht vereinbar.

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