Trotz Tabubruch CSU-Parteitag ohne Merkel soll Union stark machen

Angela Merkel und Horst Seehofer kneifen: Aus Angst vor den Delegierten soll die CDU-Vorsitzende lieber nicht zum CSU-Parteitag fahren. Für die einen ein Tiefpunkt, für die anderen eine Erleichterung. Im Blick haben die beiden längst ganz andere Ziele.

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Unvergessene Demütigung für die Kanzlerin. Quelle: dpa

Berlin/München Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel tritt wegen des Streits über die Flüchtlingspolitik erstmals nicht beim Parteitag der Schwesterpartei CSU am 4. und 5. November in München auf. Darauf hätten sich Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer bei einem Vier-Augen-Gespräch verständigt, gab ein CSU-Sprecher am Wochenende bekannt. Dies bedeute aber nicht, dass Seehofer umgekehrt auch dem CDU-Parteitag im Dezember fernbleibe. Das würden Seehofer und Merkel später entscheiden. Die Annäherung der Schwesterparteien sei zwar auf gutem Wege, aber noch nicht alle Streitpunkte seien gelöst.

An eine solch verfahrene Lage können sich selbst die Alten in der CDU und CSU nicht erinnern. Auch wenn etwa zu den Zeiten von Helmut Kohl ein Besuch des CDU-Kanzlers auf den Parteitagen der CSU keinesfalls selbstverständlich war, so war er aber zumindest immer eingeladen. Doch dieses Mal wird die Kanzlerin also keine Einladung erhalten. Ein Tabubruch – Merkel war seit Übernahme des CDU-Vorsitzes 2000 auf allen CSU-Parteitagen.

Weil die Stimmung zwischen den beiden Vorsitzenden derart im Eimer ist, soll Merkel lieber nicht kommen. Zu groß die Gefahr, dass Christsoziale aus Frust über viele Flüchtlinge und Probleme bei deren Integration die CDU-Chefin ausgebuht hätten. Das hätte nicht nur die Kanzlerin beschädigt, sondern auch den Ministerpräsidenten Horst Seehofer, dem dann mangelnde Durchsetzungskraft in seiner CSU vorgeworfen worden wäre. Also geht man sich lieber aus dem Weg. „Eine komische Situation, und der Union eigentlich unwürdig“, sagt ein CDU-Vorstandsmitglied.

Merkel und Seehofer haben am Freitagabend sehr lange mit weiteren Unionsspitzen im Kanzleramt in Berlin zusammengesessen, um über die Rentenpolitik zu streiten. Seehofer will wie schon im Wahlkampf 2013 die Rente für ältere Mütter erhöhen - schließlich habe das schon einmal viele Wählerstimmen gebracht. Merkel und ein großer Teil ihrer CDU halten das für rückwärtsgewandt und für eine unzumutbare Belastung der jüngeren Generation. Unter vier Augen verständigten sie sich dann noch über Merkels Nicht-Auftritt beim CSU-Parteitag - in der schmutzigen Auseinandersetzung vielleicht die sauberste Lösung.

„Wir sind übereinstimmend der Meinung, die Positionen die wir am Ende gemeinsam vertreten, müssen ehrliche Positionen sein“, sagte Seehofer wohlwissend schon am vergangenen Montag in einem ZDF-Interview. „Wir müssen inhaltlich keine Inszenierung aufführen, es muss belastbar sein für die Mitglieder und die Bevölkerung.“

Für Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ist die Entscheidung richtig, die Verantwortung für die Probleme in der Union sieht er aber klar bei Seehofer und der CSU: „Mit dieser Entscheidung erspart sich Seehofer eine überaus peinliche Situation, weil er seine Parteimitglieder auf die Bäume gejagt hat, von denen sie jetzt nur noch schwer herunterkommen.“


Warum Merkel froh sein dürfte über die Entscheidung

Merkel dürfte inzwischen froh sein, nicht nach München zu müssen. Die Lust auf CSU-Parteitage ist ihr nach der Demütigung 2015 gründlich vergangen - Seehofer kanzelte sie wegen der Flüchtlingskrise mehr als 15 Minuten ab, während sie daneben stand. Zudem hat sie ja immer noch nicht bekanntgegeben, ob sie eine vierte Kanzlerkandidatur anstrebt. Das hätte es selbst Merkel-Anhängern in der CSU schwer gemacht, Aufbruchstimmung zu verspüren und zu versprühen.

Monatelang hat die CSU eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen gefordert - ebenso lange hat Merkel dies strikt abgelehnt. Beide Seiten halten zwar weiter stur an ihrer Linie fest. Aber Merkel und Seehofer versuchen inzwischen, den Unionsstreit dadurch beizulegen, dass sie diesen Dissens einfach ausklammern und sich auf andere Punkte konzentrieren.

Für Seehofer geht es derzeit auch nicht nur um die Union und die Bundestagswahl. Der CSU-Chef hat längst die Ende 2018 anstehende bayerische Landtagswahl im Blick. Bei beiden Abstimmungen geht es laut Seehofer für die CSU um die politische Existenz. Nachdem Merkel die gesamte Union in den vergangenen Jahren schrittweise in die Mitte bewegte, will die CSU deshalb nun den Rückwärtsgang einlegen.

Maßgabe für die Christsozialen ist aber der alte Satz von Ex-CSU-Chef Franz Josef Strauß: „Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“ Und genau dafür soll der Parteitag am nächsten Freitag und Samstag in München die Weichen stellen. Dies zeigt sich in den beiden Leitanträgen, die der Parteitag auf Vorlage des Vorstands beschließen soll. Darin ruft die CSU offen zum Kampf gegen den politischen Islam und gegen rot-rot-grüne Koalitionen auf.

Bei den Wahlen helfen soll auch das neue Grundsatzprogramm der CSU mit dem schlichten Titel „Die Ordnung“. Wer kulturelle Verlustängste verspürt, weil mehr Muslime in Deutschland leben, wer Angst vor Terroranschlägen hat, wer den wirtschaftlichen Abstieg befürchtet - alle die sollen wieder in der Union eine politische Heimat finden und nicht zur AfD laufen.

Die CSU weiß aber, dass sie auch die CDU braucht. Deshalb ist es für sie nur folgerichtig, sich abseits aller Streitigkeiten wieder auf die Suche nach gemeinsamen Zielen für die Union zu machen.

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