TTIP-Brandbrief an Gabriel Freie Fahrt für Lobbyisten?

Die Kritik am geplanten Freihandelsabkommen TTIP mit den USA reißt nicht ab. Für Ärger sorgt nun das Vorhaben, ein Gremium einzurichten, in dem Gesetzesvorhaben eng mit Lobbygruppen abgestimmt werden könnten.

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Anti-TTIP-Demo in Leipzig (Archivbild vom Oktober 2014): Die Vorbehalte gegen das transatlantische Freihandelsabkommen wachsen. Quelle: dpa

Berlin Das Vorhaben der EU und der USA, im Zuge des geplanten Freihandelsabkommens TTIP ein Supergremium einzurichten, das Industrievertretern exklusiven Zugang zu Gesetzesvorhaben verschaffen soll, alarmiert den Präsidenten des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven, und den Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske.

„In Anbetracht dieser potenziellen Gefahren für die parlamentarische Kontrolle von TTIP, halten wir es für geboten, dass sich der TTIP-Beirat mit dem Thema „Regulatory Cooperation Council“ in einer seiner nächsten Sitzungen befasst und zur deutschen Positionierung bei dem geplanten Handelsabkommen beiträgt“, heißt es in einem gemeinsamen Brief vom November 2014 an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Das Schreiben liegt dem Handelsblatt (Online-Ausgabe) vor.

Ohoven und Bsirske sitzen beide in dem von Gabriel berufenen TTIP-Beirat. Insgesamt gehören dem Gremium, das am 14. Januar das nächste Mal tagt, 22 Vertreter von Gewerkschaften, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie des Kulturbereichs an.

In ihrem Brief sprechen Ohoven und Bsirske von einem „dringendem Informationsbedarf“ zu der geplanten Einrichtung eines „Regulatory Cooperation Council“ (RCC) - eine Art deutsch-amerikanische Binnenmarktbehörde, wie sie zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada bereits existiert. Es bestehe Aufklärungsbedarf über Aufgabe, Kompetenzen, Arbeitsweise und Besetzung des geplanten Gremiums.

Zur Begründung führen Ohoven und Bsirske die Einschätzung „einiger Experten“ an, die die Gefahr sähen, „dass dieses Gremium ohne die Einbeziehung der Legislative handelt und Anhänge des geplanten TTIP-Vertrages auch nach Abschluss der Vertragsverhandlungen und der Ratifizierungen ohne Einbeziehung der Parlamente verändert werden können“.

Dahinter steht die Sorge, in dem RCC könnten Gesetzesvorhaben eng mit Lobbygruppen abgestimmt werden, ohne dass nationale Parlamente rechtzeitig einbezogen werden können. Mehr als 170 internationale Organisationen – darunter Attac, LobbyControl, Transparency International und der Umweltschutzverband Nabu – hatten daher im Mai vergangenen Jahres die Pläne in einem gemeinsamen Brief an die Brüsseler EU-Kommission und die US-Regierung kritisiert.


Schiedsgerichtsverfahren wären „Angriff auf den Rechtsstaat“

Erst am Wochenende warnten Ohoven und Bsirske vor erheblichen Nachteilen des transatlantischen Freihandelsabkommens für den deutschen Mittelstand. Sie kündigten auf der Bundestagung des BVMW in Düsseldorf an, gemeinsam im TTIP-Beirat von Wirtschaftsminister Gabriel auf Nachbesserungen bei TTIP hinzuwirken.

Insbesondere mit dem geplanten Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren werde faktisch eine „Sondergerichtsbarkeit für ausländische Großkonzerne geschaffen“, kritisierte Bsirske. Dies bedrohe die „Souveränität demokratischer Entscheidungsträger“ in den EU-Mitgliedsstaaten und stelle einen „Angriff auf den Rechtsstaat“ dar.

BVMW-Präsident Ohoven wies darauf hin, dass der bilaterale Warenhandel allein im Jahr 2013 bei rund 126 Milliarden Euro lag - und das ohne besondere Schiedsverfahren. Deutsche Mittelständler hätten zudem nicht die finanziellen Mittel, um langwierige Schiedsgerichtsverfahren gegen ausländische Großkonzerne zu führen. Die OECD gehe von durchschnittlichen Verfahrenskosten von acht Millionen Dollar aus. „Das kann sich kein Mittelständler leisten“, so Ohoven.

In dem von Gabriel gegründeten TTIP-Beirat wurde zuletzt Kritik daran laut, dass die Gremiumsmitglieder in die Diskussion über das Freihandelsabkommen nicht angemessen Gehör fänden. Mehrere Mitglieder des Gremiums schrieben daraufhin einen Brief an Gabriel. Darin zeigten sie sich irritiert darüber, dass der Minister den Eindruck erwecke, dass Deutschland den Abkommen zustimmen müsse, wenn die anderen europäischen Mitgliedstaaten diese wollten.

Diese Haltung „löst bei uns die Frage aus, welche Funktion ein TTIP-Beirat hat, wenn die Bundesregierung entweder sich den Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten anschließt oder aber in ihrer Haltung bereits festgelegt ist“, heißt es in dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt.


In Gabriels TTIP-Beratergremium rumort es

Unterzeichnet haben den Brief unter anderem der Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, die Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Edda Müller, der Mittelstands-Präsident Ohoven, sowie die Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), der IG Metall und Verdi, Reiner Hoffmann, Detlef Wetzel und Frank Bsirske.

In dem Brief verweisen sie darauf, dass sie „unter Rechtfertigungszwängen gegenüber unseren Mitgliedern stehen und diesen erläutern müssen, warum wir in einem TTIP-Beirat mitwirken, wenn der Eindruck vermittelt wird, dass alle wesentlichen Entscheidungen bereits getroffen sind“. Auf der nächsten Sitzung des Beirats am solle Gabriel daher erläutern, welche Bedeutung die im Beirat formulierten unterschiedlichen Ansichten zu TTIP und Ceta für ihn bei der Positionierung und Entscheidungsfindung zu beiden Freihandelsabkommen hätten.

Außerdem solle Gabriel erklären, ob er bereit sei, die beiden Abkommen „insgesamt abzulehnen“, wenn bestimmte für Deutschland wichtige Aspekte von der EU-Kommission nicht aufgenommen würden, oder ob er dem Votum anderer EU-Mitgliedstaaten folgen werde.

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