Türkei-Reise Merkel findet für Ankara lobende Worte

Bei ihrem Kurzbesuch im Süden der Türkei blieb wenig Raum für Gespräche mit Flüchtlingen, aber genug für Symbolpolitik. In Sachen Pressefreiheit will Merkel eine Politik der offenen Worte.

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Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten warb mit Plakaten für den Besuch Merkels. Quelle: REUTERS

Die syrischen Kinder kleben förmlich am Zaun des Flüchtlingslagers im südosttürkischen Nizip, einige sind auf ein Spielgerüst geklettert, um einen besseren Ausblick zu bekommen. So eine Abwechslung vom Camp-Alltag hatten sie noch nie. Auf der Hügelkette neben dem Lager stehen Panzerfahrzeuge und Soldaten, um den prominenten Besuch zu schützen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kommen am Samstag vorbei – wenn auch nur für 30 Minuten.

Tiefergehende Gespräche mit Flüchtlingen über deren verzweifelte Lage waren aber kaum möglich. Der Besuch des Camps in Nizip rund 50 Kilometer östlich von Gaziantep-Stadt war ein Wunsch der Regierung in Ankara. Das Lager Nizip-2 – ein Containerdorf – gehört zu den Vorzeigeeinrichtungen der Türkei. Gut 4800 Syrer haben dort Schutz gefunden, das Lager bietet Sport- und Spielplatz, Fernsehräume und Internetcafés. Mehr als 1800 Kinder besuchen die Campschule, 363 Kinder sind im Lager zur Welt gekommen.

Die Regierung in Ankara ist stolz auf ihre 26 Flüchtlingslager, die international gelobt werden. Respekt wird der Türkei auch dafür gezollt, mit 2,7 Millionen mehr Flüchtlinge als jedes andere Land der Welt aufgenommen zu haben. Allerdings leben davon nur etwa zehn bis 15 Prozent in Flüchtlingslagern.

Es ist eine Reise der Symbole. Der Signale. Der Bilder. Das erste hing gleich zur Begrüßung der Kanzlerin am Flughafen der südosttürkischen Stadt Gaziantep. Mehrere Tausend Kilometer von Deutschland entfernt prangt Angela Merkel auf Plakaten, die die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) in der ganzen Stadt hat aufhängen lassen. Die UETD steht der türkischen Regierungspartei AKP nahe und organisiert die Auftritte von Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland. „Solidarität mit den Flüchtlingen“ steht auf Deutsch über einem Foto, auf dem Merkel visionär in die Ferne blickt. „Wir sind stolz auf unsere Kanzlerin Frau Angela Merkel und unseren Ministerpräsidenten Herrn Ahmet Davutoglu“.

Der ungewohnte UETD-Applaus für Merkel zeigt, wie nahe Ankara und Berlin wegen der Flüchtlingskrise inzwischen zusammengerückt sind. Zu nah, wie viele Deutsche meinen: In dem am Tag vor der Türkei-Reise veröffentlichen ZDF-„Politbarometer“ finden 80 Prozent der Befragten, die Kanzlerin nehme zu viel Rücksicht auf Erdogan. Sogar von Kuschen und deutscher Abhängigkeit ist die Rede.

Dabei hat auch die Türkei viel zu verlieren. Scheitert der Pakt, scheitert die geplante Visumfreiheit für Türken, scheitert die Annäherung an die EU, scheitert die gerade erst zaghaft verbesserte Zusammenarbeit mit Griechenland in der Nato.

Es gibt aber nicht nur Kritik an Merkels Türkei-Kurs, sondern am Flüchtlingspakt insgesamt. Das EU-Abkommen mit der Türkei wirkt weniger wie ein Zeichen der Solidarität mit Flüchtlingen, sondern der Abschottung Europas gegen Flüchtlinge. Dem Pakt zufolge sollen sie in der Türkei bleiben.

Der türkische Ministerpräsident, Ahmet Davutoglu, hingegen hat die Wirksamkeit des Flüchtlingsabkommens mit der EU herausgestrichen.

Die Zahl illegaler Überfahrten von Flüchtlingen und Migranten von der Türkei nach Griechenland sei seit dem Inkrafttreten der Vereinbarung vor gut einem Monat deutlich zurückgegangen, sagte Davutoglu am Samstag in Gaziantep. Derzeit würden pro Tag etwa 130 Überfahrten von Flüchtlingen nach Griechenland registriert. An manchen Tagen sogar gar keine. In Spitzenzeiten waren an einzelnen Tagen mehrere Tausend Flüchtlinge in Griechenland eingetroffen.

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