Türkische Spionage Verfassungsschutz warnt Gülen-Anhänger vor Überwachung

Der türkische Staatsschutz hat offenbar mehr als 300 mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung ausspioniert. Der deutsche Verfassungsschutz fürchtet, dass den Betroffenen in der Türkei Gefängnis droht – und warnt sie.

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Der türkische Staatschef Erdogan macht den Prediger Gülen für den gescheiterten Militärputsch im Sommer verantwortlich und überwacht seine Anhänger. Quelle: dpa

Hannover Niedersachsen hat mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor möglichen Repressalien bei Reisen in ihre Heimat gewarnt, weil sie der türkische Geheimdienst ausgespäht hat. Es sei davon auszugehen, dass die Betroffenen nicht wüssten, dass sie observiert werden, sagte Innenminister Boris Pistorius am Dienstag in Hannover. „Ich halte das für eine berechtigte und notwendige Maßnahme, um die Menschen vorwarnen zu können.“ In ihrer Heimat könnten den Betroffenen erhebliche Repressalien bis zur Verhaftung drohen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht in der Bewegung um den im US-Exil lebenden Prediger Fetullah Gülen die treibende Kraft hinter dem gescheiterten Militärputsch vom vergangenen Sommer. Nach Angaben von Pistorius hat der türkische Geheimdienst MTI den Bundesnachrichtendienst (BND) eine Liste mit Verdächtigen übergeben in der Annahme, deutsche Sicherheitsbehörden würden die türkische Spionage unterstützen. Der BND habe die Unterlagen an den Verfassungsschutz weitergeleitet. Nach Informationen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR stehen auf der Liste die Namen von mehr als 300 in Deutschland lebenden angeblichen Gülen-Anhängern. Zudem würden 200 Vereine, Schulen und andere Einrichtungen aufgeführt, die der Bewegung zuzurechnen seien.

Die Akten des türkischen Geheimdienstes enthielten einen „bunten Reigen von Informationen“, so Pistorius. Darunter offenbar Fotos aus Personaldokumenten und Videoaufzeichnungen, sagte der Minister. Betroffen seien Mitglieder der Gülen-Bewegung oder Menschen, die der MTI zu der Gruppierung zähle.

„Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Intensität und Rücksichtslosigkeit auch auf fremden Staatsgebiet dort lebende Menschen ausgeforscht werden“, sagte der SPD-Politiker. „Das ist ganz und gar unerträglich und inakzeptabel.“ Der türkische Geheimdienst wolle offenbar Kritiker der türkischen Regierung einschüchtern. Es sei „eine fast schon paranoid zu nennende Verschwörungsangst, die sich da breitmacht, alle Gülen-Anhänger zu Terroristen und zu Staatsfeinden zu erklären, ohne dass es dafür auch nur den geringsten Anhaltspunkt gibt“.

Der deutsche Inlandsgeheimdienst bezeichnet die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden in der Türkei als problematisch. Zum Stand der Beziehungen sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, der Deutschen Presse-Agentur: „Schwierig, sehr schwierig.“ Bislang sei die Regierung in Ankara jeglichen Beweis für ihre Vorwürfe gegen die Anhänger der Gülen-Bewegung schuldig geblieben. Er betont: „Ich glaube, außerhalb der Türkei glaubt niemand, dass die Gülen-Bewegung verantwortlich war für den versuchten Putsch; jedenfalls kenne ich niemanden außerhalb der Türkei, der von der türkischen Regierung davon überzeugt wurde.“ Zur Frage einer Bespitzelung unter Freunden meinte er: „Im Nachrichtendienst hat man keine Freunde, sondern Partner, und maßgeblich sind da oftmals auch persönliche Vertrauensverhältnisse.“

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