TV-Duell in Niedersachsen „So etwas macht man einfach nicht“

Eine Debatte wie ein Hahnenkampf: Fast anderthalb Stunden warfen sich die niedersächsischen Kandidaten Weil und Althusmann beim TV-Duell abwechselnd Vorwürfe an den Kopf. Und alles begann mit einer Frau.

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Stephan Weil gegen Bernd Althusmann: Das TV-Duell in Niedersachsen Quelle: dpa

Berlin Nach kaum zwei Minuten sprach der SPD-Kandidat Stephan Weil seinem Kontrahenten den „politischen Anstand“ ab. Herausforderer Bernd Althusmann (CDU), der im Gegensatz zu Weil ohne Krawatte auftrat, warf ihm daraufhin „Verleumdung“ vor. Die Vorzeichen für das TV-Duell waren damit gesetzt. Weil und Althusmann schenkten sich nichts – sowohl in der Redezeit als auch in ihrer Angriffslust lagen beide gleichauf.

Fast anderthalb Stunden lang lieferten sich die beiden Anwärter auf das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten am Donnerstagabend einen heftigen Schlagabtausch mit Rede, Gegenrede und Pointe – ganz anders als die Kanzlerkandidaten Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD), die vor der Bundestagswahl bei ihrem TV-Duell eher Einigkeit als politischen Wettbewerb zur Schau stellten.

Vielleicht lag es an NDR-Moderator Andreas Cichowicz, der das Gespräch gleich zu Beginn auf die abtrünnige Abgeordnete Elke Twesten lenkte. Twesten wechselte im August von der Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag zur CDU und kostete Regierungschef Weil damit seine hauchdünne Ein-Stimmen-Mehrheit. Dass Niedersachsen nun vorzeitig einen neuen Landtag wählen muss, geht allein auf Twestens Wechsel zurück.

Beim Duell gab sich Weil immer noch empört: Twesten sei in der CDU-Fraktion „mit offenen Armen empfangen“ worden. „So etwas macht man einfach nicht, das hängt ihnen wie ein Mühlstein um den Hals.“ Althusmann rechtfertigte sich, solche Fälle habe es in der politischen Geschichte immer gegeben. Mehrmals wollte er das Gespräch auf „Inhalte“ lenken – erfolglos. Der Moderator nutzte das Thema gekonnt, um das Feuer zwischen den beiden Kontrahenten anzufachen.

Nicht, dass es nicht auch so genügend Anlass für Streit gegeben hätte. Zum Beispiel in der Bildungspolitik: Im vergangenen Jahr seien 600.000 Schulstunden ausgefallen, warf Althusmann dem Amtsinhaber vor. „Nicht versetzt“, so sein Urteil über die Schulpolitik der rot-grünen Landesregierung.

Der SPD-Kandidat versprach daraufhin: „Im nächsten Jahr schaffen wir eine Abdeckung von 100 Prozent.“ Eine Unterrichtsgarantie, wie sie die CDU im Wahlprogramm festgeschrieben ist, wollte er aber nicht abgeben – „die setzt nämlich voraus, dass wir auch immer planen können, wie viele Krankheiten, Schwangerschaften und vorzeitige Ruhestände es bei den Lehrern gibt.“


„Sie überblicken nicht, worüber Sie reden“

Bildung ist für viele Niedersachsen eine Herzensangelegenheit. 37 Prozent der Wähler gaben im ZDF-Politbarometer an, dass das Thema für sie wahlentscheidend sein wird. Entsprechend leidenschaftlich stritten Weil und Althusmann über ausgefallene Schulstunden, Inklusionsschulen und Kindergärten. Im Nachteil war dabei Althusmann: Als er von 2010 bis 2013 selbst als Kultusminister für das Ressort zuständig war, war die Zufriedenheit der Niedersachsen noch geringer – auch dank des Abiturs innerhalb von acht Jahren, das Althusmann einführte und Weil in seiner Regierungszeit danach wieder aufhob.

Punkten konnte der CDU-Kandidat dagegen beim Thema VW. Aggressiv ging er seinen Gegner Weil, der als Ministerpräsident auch im VW-Aufsichtsrat sitzt, wegen des Abgasskandals an: „Sie haben von der Diesel-Affäre in der Tagesschau erfahren. Sie haben vom Kartellskandal aus der Zeitung erfahren, ebenso vom Umbau des Konzerns.“ Er bezweifle, dass der Konzernvorstand Weil als Aufsichtsratsmitglied ernst nehme – und Weil sein Mandat als Aufsichtsrat.

Ungläubig verzog Weil seine Augenbrauen. „Sie überblicken nicht, worüber Sie reden“, antwortete er. VW sei für Niedersachsen zu wichtig, um damit Wahlkampf zu machen. Er erwarte „ein wenig mehr Zurückhaltung“: „Wir haben das aufzuräumen, was unter ihrer Mitverantwortung an Fehlentwicklungen gelaufen ist.“ Damit spielte Weil auf die Regierung des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff an, in dessen Amtszeit die Diesel-Manipulationen seinerzeit fielen.

Erst zum Schluss kam Moderator Cichowicz auf das Thema, das im Bundestagswahlkampf noch wenige Wochen zuvor alles überschattet hatte: Innere Sicherheit. Althusmann wetterte: „Wir haben bis zu 70 islamistische Gefährder im Land. Die SPD hat gerade einmal zwei davon abgeschoben.“ Niedersachsen sei so zur Wohlfühlzone für Islamisten geworden. Auch bei der Abschiebung von Menschen ohne Bleiberecht hinke das Land hinterher.

„Ich nehme mal den Faktencheck vorweg“, konterte Weil gelassen. Niedersachsen sei bei den Rückführungen 2016 bundesweit führend gewesen und habe auch erst durchgesetzt, das Gefährder überhaupt abgeschoben werden. „Machen Sie nicht den Fehler, Niedersachsen für unsicher zu erklären“, riet er Althusmann. „Es sei denn, sie nehmen billigend in Kauf, dass die AfD ins Parlament kommt.“

Die jüngsten Umfrageergebnisse vom Montag machen das zumindest wahrscheinlich. Laut Wahlforschungsinstitut INSA liegen SPD und CDU mit 33 beziehungsweise 32 Prozent nahezu gleichauf, Grüne und FDP folgen mit je zehn Prozent, AfD und Linke mit sieben beziehungsweise fünf Prozent.

Die Regierungsbildung dürfte schwierig werden: FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner hat eine Koalition mit den Grünen in der NDR-Debatte wenige Stunden zuvor kategorisch ausgeschlossen. Und auf eine große Koalition haben sich Weil und Althusmann nicht gerade beworben.

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