Elon Musk schätzt ausgefallene Kleidung – besonders zu ausgefallenen Anlässen. Bei einer Veranstaltung zur Eröffnung der Teslafabrik in Texas stolziert er mit Cowboyhut und Sonnenbrille über die Bühne, auf der Baustelle der deutschen Tesla-Dependance in Grünheide bei Berlin inszeniert sich Musk in der schwarzen Kluft eines Zimmermanns samt Schlapphut. Aber eines mag der reichste Mann der Welt gar nicht: Transparenz in den eigenen Unternehmungen. Seit Jahren streitet sich Musk mit der US-Börsenaufsicht SEC. Immer wieder Thema: Welche Informationen Musk über seine Unternehmen zu welchem Zeitpunkt der Öffentlichkeit preisgibt.
Vielleicht lässt sich durch diese Vorgeschichte erklären, wieso Musk nun für das Unternehmen Twitter knapp 44 Milliarden US-Dollar auf den Tisch legen und die Firma anschließend von der Börse nehmen will. Was genau Musk mit Twitter vor hat, ist noch unklar. Mit seinem Vorhaben, Twitter von der Börse zu nehmen und außerhalb der Einflusssphäre der SEC zu parken, liegt der Multimilliardär aber im Trend.
Niedrige Leitzinsen und billiges Geld machen es möglich. „Durch die hohe Liquidität im Markt gibt es ein hohes Angebot an nicht börsenzentrierten Finanzierungsmöglichkeiten. Private Equity ist in diesem Bereich besonders wichtig“, sagt Professor Tobias Tröger, der am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung im Bereich Law und Finance forscht. Ausgestattet mit diesen finanziellen Mitteln, könne man „größere Unternehmen ohne Weiteres finanzieren, ohne die öffentlichen Märkte und damit die Börsen anzapfen zu müssen“, meint Experte Tröger.
Twitter ist kein Einzelfall. Seit Jahren ziehen sich weltweit immer mehr Unternehmen von den Börsen zurück, nachdem sie zuvor von finanzstarken Investoren übernommen wurden. Allein 2018 gaben Finanzinvestoren rund 227 Milliarden Dollar aus, um Unternehmen von der Börse wegzukaufen. Die Axel Springer SE, die unter anderem die Bild-Zeitung verlegt und mehrere Radiosender betreibt, verschwand im Jahr 2020 von der Börse, nachdem sich die amerikanische Beteiligungsgesellschaft KKR in das Unternehmen eingekauft hatte. Im Sommer 2021 unterbreitete ein österreichischer Investor den Aktionären des Lichttechnik-Konzern Osram ein Angebot, das Unternehmen zu übernehmen und dieses dann von der Börse zurückzuziehen. Die Aktie kann man allerdings noch heute an der Börse handeln. Auch potenzielle Aktionäre, die bei dem auf energieeffiziente Gebäudetechnik spezialisierten Unternehmen Centrotec aus dem Sauerland einsteigen wollten, gehen seit Januar 2021 leer aus. „Auf Antrag der Gesellschaft wurde die Zulassung der auf den Inhaber lautenden Stammaktien an der Börse Frankfurt (...) widerrufen“, heißt es. Die Aktien des Berliner Unternehmens Rocket Internet lassen sich ebenfalls seit mehr als einem Jahr nicht mehr handeln.
Geht es nach Musk, soll nun in den kommenden Monaten Twitter folgen. Auch mit einem Rückzug des E-Autobauers Tesla von der Börse kokettierte Musk in der Vergangenheit: natürlich auf Twitter.
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Für betroffene Unternehmen hat das sogenannte Delisting konkrete Folgen: Konzerne müssen sich nach ihrem Rückzug von der Börse einem weniger rigorosen Überwachungs- und Regulierungssystem unterwerfen als auf dem Parkett. „Die Börsennotierung ist mit einer höheren Compliance-Last verbunden“, sagt Tröger. Ein Unternehmen an der Börse muss nicht nur mehr Informationen offenlegen, die höheren Anforderungen bei Compliance und Transparenz verursachen zusätzliche Kosten. Die Berichtspflichten für börsennotierte Unternehmen hätten zudem in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Und dieser Aufwand gehe eben ins Geld. Geld, das man sich abseits der Börse teilweise sparen könne. „Wenn ich auf der einen Seite ein relativ komfortables Angebot an Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb der Börse habe und gleichzeitig die Vorteile einer Börsennotierung stark aufgezehrt werden durch Compliance-Kosten, ist relativ klar, wie die Anreizstrukturen sind“, erklärt Tröger. Auch die Risiken für mögliche Verstöße gegen Transparenzpflichten börsennotierter Unternehmen könne sich ein Investor mit einem Delisting seines Unternehmens sparen, sagt Experte Tröger.
Was spricht noch für ein Delisting eines Unternehmens? Ein Grund dürfte Elon Musk besonders reizen. Sobald ein Unternehmen von der Börse verschwindet, kann der neue Mehrheitseigentümer die restlichen Aktionäre aus der Aktiengesellschaft drängen und das Unternehmen anschließend in eine andere Rechtsform umwandeln. So kann sich beispielsweise eine deutsche börsennotierte Aktiengesellschaft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung verwandeln. Ohne kritische Aktionäre mit Stimm- und Rederecht auf der Hauptversammlung kann ein Investor das Unternehmen leichter nach seinem Willen gestalten. Die Eigentümer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung können „leichter durchregieren“, wie es Experte Tröger ausdrückt.
Abseits der Börse und außerhalb des Schussfelds kritischer Aktionäre dürfte sich Elon Musk also künftig ganz wohl fühlen.
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