Übermäßiger Reichtum „Wir müssen über ein Maximalvermögen reden!“

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Sind alle Reichen gierig?

Wann ist jemand aus Ihrer Sicht nicht mehr nur reich, sondern überreich?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Die Gesellschaft muss die Grenze in einer demokratischen Debatte festlegen. Dies kann nicht von Experten gemacht werden, sonst wird es lächerlich. Jeder Betrag, den ich nennen würde, wäre willkürlich. Das sah schon Huey Long, der in den Dreißigerjahren die Idee einer Vermögensobergrenze in die US-Debatte einbrachte.

Huey Long war Senator aus Louisiana und Konkurrent von Franklin D. Roosevelt in der demokratischen Partei. Er galt als radikaler Populist. 1935 wurde er erschossen.
Long lieferte ein durchaus mehrheitsfähiges Alternativprogramm zu Roosevelts New Deal. Er mahnte eine Begrenzung des Überreichtums an und fand großen Anklang in der Bevölkerung. Es ging ihm nicht darum, Reichtum an sich zu verbieten. Sein Ansatz war: Wenn jemand mehr besitzt als er, seine Kinder und Kindeskinder jemals ausgeben können, dann hat er mehr als genug. Er zog die Grenze 1934 bei 50 Millionen US-Dollar.

Das entspräche heute rund einer Milliarde Dollar.
Für die meisten Menschen ist das unvorstellbar viel Geld. Entsprechend argumentierte er auch, dass schon zehn Millionen US-Dollar genügten, um mehrere Generationen abzusichern. Er wollte zeigen, dass man den Reichen mit einer Vermögensobergrenze eigentlich nichts wegnähme. Auch für ihn war die Grenze einigermaßen willkürlich. Erst eine demokratische Debatte kann eine solche Grenzziehung legitimieren.

Aber Sie als Vermögensforscher müssen doch zumindest eine persönliche Präferenz haben. Bin ich ab einem Vermögen von zehn Millionen Dollar überreich, oder erst ab einem von 100 Millionen Dollar?
Wenn ich eine konkrete Summe nenne, sagt das mehr über meine eigene Vermögenssituation aus als über meine rationale Expertise. Aus den Haushaltserhebungen wissen wir, dass es stark vom eigenen Einkommen und Vermögen abhängt, ab wann man andere Menschen als reich erachtet. Mir ist etwas anderes wichtig: Wir müssen über ein Maximalvermögen reden. Wir müssen das Thema einer demokratischen Debatte zuführen, die auf nachvollziehbaren Daten fußt und nicht nur auf Gefühlen.

Wie sollte so ein Maximalvermögen denn ausgestaltet werden?
Auf einen technokratischen Vorschlag lasse ich mich nicht ein. Ich will mich nicht hinstellen und sagen: Ab einem bestimmten Wert müssen sämtliche Vermögensanteile in einen staatlichen Fonds eingezahlt werden. Ich plädiere dafür, ein Maximumvermögen Schritt für Schritt in einer öffentlichen Debatte zu erörtern. Wir müssten über Unternehmensfortbestand und über Gerechtigkeit diskutieren. Das eine darf nicht gegen das andere ausgespielt werden. Enteignungsvorwürfe, aber auch Angst vor Oligarchisierung unserer Gesellschaft müssen wir ernst nehmen. All das würde auch dazu führen, dass das Problem des Überreichtums sichtbar wird. Aktuell wird die Frage der Legitimität von exzessivem Reichtum in jeder Debatte unterlaufen.

Angenommen, diese Debatte würde geführt und am Ende stünde ein wie auch immer geartetes Maximalvermögen. Was wäre die Konsequenz? Würden die Betroffenen ihre Vermögen nicht einfach woanders parken?
Natürlich setzen sich die Überreichen nicht hin wie die Schafe und warten, dass sie geschoren werden. Ganz sicher fänden sie Wege, die Obergrenze zu umgehen. Aber zumindest bekämen wir mehr Informationen über ihre Vermögensverhältnisse, das würde mich als Wissenschaftler freuen. Und wir würden besprechen, wie und wann Vermögenskonzentration die Demokratie zerstört. Allerdings bin ich nicht naiv und wenig hoffnungsvoll, dass sich solch eine Idee in der öffentlichen Debatte durchsetzt.

Nicht einmal an einer solchen Debatte scheint es allzu großes öffentliches Interesse zu geben. Wie erklären Sie sich das?
Wir sind nicht böse auf die Überreichen, im Gegenteil. Adam Smith hat das sehr treffend beschrieben: Wir nehmen lieber wohlwollend Anteil an ihrem Leben. Das ist viel aufregender, als sich zu fragen, womit Paris Hilton die Millionen ihres Vaters verdient hat. Wir haben Hochachtung und Ehrfurcht vor generösen Überreichen wie Warren Buffett oder Bill Gates. Philanthropen, Mäzene der Wissenschaft, Wohltäter – sie alle schaffen Narrative, die unser Gefühlsleben prägen und dafür sorgen, dass auch Menschen ohne Vermögen den Reichen wohlgesonnen sind.

Einige von Ihnen tun ja auch viel Gutes. Wo ist das Problem?
Das ist unbestritten. Deswegen halte ich auch nichts von der Kritik, dass alle Reichen gierig sind. Manche sind sicher sehr gierig, andere überaus wohltätig – darauf kommt es aber nicht an. In einer Demokratie sollten Entscheidungsprozesse anders ablaufen. Überreichtum verletzt die Idee der politischen Gleichheit. Georg Simmel hat in seiner Philosophie des Geldes schon um 1900 gezeigt, dass Überreichtum wenigen Menschen Möglichkeiten schenkt, die der Mehrheit der Menschen verwehrt bleiben – und dass das problematisch ist. Sie besetzen auch die entscheidenden Positionen in den öffentlichen Debatten und haben einen direkten Draht zu den führenden Politikern.

Können Sie das an Beispielen festmachen?
Nehmen Sie die Debatte um die Erbschaftsteuer. Die OECD und der IWF sind der Ansicht, dass die Erbschaftsteuer weniger verzerrende Effekte hat als eine Besteuerung der Arbeit. Trotzdem besteuern wir Arbeitseinkommen heute mit bis zu 50 Prozent und tun als seien bei einer moderaten Erbschaftsteuer ganze Wirtschaftszweige bedroht. Selbst progressiv gesonnene Ökonomen schlagen nur ganz bescheidene Erbschaft- und Vermögensteuersätze vor. Übrigens werden sie trotz der Petitesse ihrer Vorschläge als Enteigner und Klassenkämpfer geschmäht.

Am 18. September erscheint das Buch „Überreichtum“ von Martin Schürz. Quelle: PR

Nun, man könnte argumentieren, an Familienunternehmen hängen Tausende Arbeitsplätze, die durch eine höhere Erbschaftsteuer möglicherweise gefährdet wären.
Alleine das Wort Familienunternehmen ist schon eine semantische Schutzvorrichtung: Familie ist für jeden von uns, ob arm oder reich, mit Werten und positiven Gefühlen verbunden. Der Familie kommt in unserer Gefühlswelt ein ganz besonderer Status zu. Erben von riesigen Vermögen gelingt es allein durch das Wort Familienunternehmen positive Assoziationen bei all jenen zu wecken, die bei einer Erbschaft nur Minibeträge oder gar nichts erhalten. Wenn die wirtschaftliche Lage der Familienunternehmen so katastrophal wäre, dass sie eine moderate Erbschaftsteuer bereits ins Aus drängt, wäre das ein Krisenbefund sondergleichen. Aber dem ist nicht so.

Was macht Sie da so sicher?
Unternehmen müssten nicht in cash zahlen, sondern könnten Anteile verkaufen. Und weniger Konzentration, mehr Wettbewerb und Streubesitz sind doch weitgehend anerkannte Ziele. Der IWF kritisierte jüngst, dass die vielen Familienunternehmen in Deutschland zur hohen Vermögensungleichheit beitragen. Auch für Österreich können wir zeigen: nur wenige Personen haben Unternehmensanteile und selbst in dieser kleinen Gruppe ist die Konzentration enorm. Leider diskutieren wir über die Erbschaft- und Vermögensteuer quasi ohne Argumente und Fakten, es geht einzig und allein um Gefühle, welche einen exzessiven Reichtum absichern.

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