Die IG Metall fordert angesichts der Einkaufstour chinesischer Investoren bei deutschen Hightech-Firmen eine zügige und wirksame Gegenstrategie. „Die zunehmenden Übernahmen deutscher Unternehmen in Schlüsselindustrien können gefährlich werden“, sagte Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gewerkschaft IG Metall, der Deutschen Presse-Agentur. „Dahinter steckt eine strategische Ausrichtung Chinas. Das darf man nicht unterschätzen.“
Bei der Photovoltaik hätten die Chinesen deutsche Unternehmen bereits von den Märkten verdrängt. „Wir müssen den Vorsprung bei Hochtechnologien, etwa im Maschinen- und Anlagenbau, halten. Wenn wir diesen verlieren würden, dann hätte das substanzielle Auswirkungen auf die Industrie in Deutschland insgesamt“, sagte Lemb. Die Politik müsse mehr tun. Der Handlungsdruck sei sehr hoch. „Wir brauchen eine zielgerichtete Gegenstrategie, unter Beteiligung der Gewerkschaften und Arbeitgeber. Eine solche Strategie könnte zum Beispiel im Bündnis Zukunft der Industrie entwickelt werden.“
Auch Mikko Huotari, Leiter des Programms internationale Beziehungen beim China-Forschungsinstituts Merics in Berlin, warnt: „Es ist der letzte Moment zu handeln. China kann uns überrollen.“
Chinesische Investoren greifen immer mehr nach deutschen Unternehmen, vor allem in Schlüsseltechnologien wie der Robotik, im Maschinen- und Anlagenbau oder in der Biomedizin. Sowohl auf deutscher als auch EU-Ebene wird derzeit darüber diskutiert, Firmenübernahmen durch chinesische Investoren zu erschweren. „Ich glaube, dass es heute notwendig ist, chinesische Investitionen kritisch zu hinterfragen, weil die Konsequenzen für den Mittelstand, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, sehr groß sind“, sagte Lemb. „Die strategische Industriepolitik Chinas erfordert es, sehr viel genauer hinzuschauen“, forderte Huotari. „Deshalb ist es völlig richtig, wenn es in Deutschland und Europa Bemühungen gibt, die Instrumente für Eingriffe bei Übernahmen und Beteiligungen zu stärken.“
Die IG Metall sieht chinesische Investitionen in deutsche Unternehmen heute wesentlich kritischer als noch vor zwei oder drei Jahren. „Damals traten chinesische Investoren, zum Beispiel bei KraussMaffei oder Pfaff, als Retter auf bei angeschlagenen Unternehmen. Das war durchaus positiv, weil damit eine Perspektive für Firmen und Standorte aufgezeigt wurde. Heute aber müssen wir feststellen, dass China strategisch vorgeht und Schlüsselindustrien kauft.“ Die Gewerkschaft stelle mittlerweile fest, dass die Zusammenarbeit mit chinesischen Investoren und Eignern in den Betrieben schwieriger werde. Es gehe um Tarifbindung und Akzeptanz der Mitbestimmung.
Die größten M&A-Deals chinesischer Firmen in Europa
Dealwert: 40,9 Mrd. Euro
Unternehmen: China National Chemical
Übernahmeziel: Syngenta
Übernahme: 95%
Land: Schweiz
Abschluss: 2016
Quelle: Dealogic/Handelsblatt, Stand: Januar 2018
Dealwert: 12,3 Mrd. Euro
Unternehmen: China Investment
Übernahmeziel: Logicor Europe
Übernahme: -
Land: Großbritannien
Abschluss: 2017*
* Deal zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht abgeschlossen
Dealwert: 9,6 Mrd. Euro
Unternehmen: Aluminium Corp. of China
Übernahmeziel: Rio Tinto
Übernahme: 12%
Land: Großbritannien
Abschluss: 2008
Dealwert: 8,3 Mrd. Euro
Unternehmen: China National Chemical
Übernahmeziel: Pirelli
Übernahme: 12%
Land: Italien
Abschluss: 2015
Dealwert: 7,6 Mrd. Euro
Unternehmen: Tencent Holdings
Übernahmeziel: Supercell
Übernahme: 84%
Land: Finnland
Abschluss: 2016
Dealwert: 6,5 Mrd. Euro
Unternehmen: China Petrochemical
Übernahmeziel: Addax Petroleum
Übernahme: -
Land: Schweiz
Abschluss: 2009
Dealwert: 3,7 Mrd. Euro
Unternehmen: Midea Group
Übernahmeziel: Kuka
Übernahme: 81%
Land: Deutschland
Abschluss: 2016
Dealwert: 2,9 Mrd. Euro
Unternehmen: Jiangsu Shagang
Übernahmeziel: Global Switch Hold.
Übernahme: 49%
Land: Großbritanien
Abschluss: 2016
Dealwert: 2,8 Mrd. Euro
Unternehmen: China Nat. Offshore Oil
Übernahmeziel: Awilco Offshore
Übernahme: 49%
Land: Norwegen
Abschluss: 2016
Dealwert: 2,7 Mrd. Euro
Unternehmen: Zhejiang Geely
Übernahmeziel: Volvo
Übernahme: 8%
Land: Schweden
Abschluss: 2017 *
* Deal zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht abgeschlossen
Dealwert: 2,7 Mrd. Euro
Unternehmen: China Three Gorges
Übernahmeziel: Energias de Portugal
Übernahme: 21%
Land: Portugal
Abschluss: 2011
Mit China sei kein normaler Wettbewerber auf dem Markt möglich, ergänzte Experte Huotari. China sei ein Akteur mit massivem Gewicht, der mit staatlichen Subventionen durch große Fonds strategisch koordinierte Industriepolitik betreibe. Die EU könne dem bisher nur wenig entgegensetzen. „Man muss sich stärker Gedanken machen über sicherheitsrelevante Bereiche etwa in der Halbleitertechnologie, bei kritischer Infrastruktur, Schlüsseltechnologien oder im Bereich der Datensicherheit. Man muss einen engeren Rahmen setzen, unter welchen Bedingungen wir Übernahmen deutscher Firmen durch Chinesen zulassen wollen.“
Deutschland und Europa müssten außerdem ihre Anstrengungen bei der Künstlichen Intelligenz und anderen Zukunftstechnologien massiv ausbauen. „Wir sind bereits in einer neuen Ära in den Beziehungen mit China. Die Amerikaner haben das schärfer erkannt als wir. Das ist eine völlig neue Herausforderung. Die Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom als Reaktion auf chinesische Konkurrenz war ein erster richtiger Schritt. Notwendig ist eine umfassende europäische Industriestrategie.“
Diese Branchen sind China wichtig – chinesische Beteiligungen in Deutschland
Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung, am 22. Mai 2018 veröffentlicht, beschäftigt sich mit der Aktivität chinesischer Investoren in Deutschland. Insgesamt zählten die Studienautoren im Zeitraum von 2014 bis 2017 insgesamt 175 Übernahmen.
Die wichtigste Branche für chinesische Investoren scheint hierzulande die Automobilindustrie zu sein, beziehungsweise deren Zulieferer. "Energiesparende Autos und Autos mit alternativer Antriebstechnik" ist die Sparte, in die die Chinesen in Deutschland in den vergangenen drei Jahren am stärksten investierten.
Unternehmen aus dem Bereich Energiesysteme machen ebenso fast zwanzig Prozent der Zukäufe aus China aus. Sie sind damit in den vergangenen Jahren die zweit-interessanteste Investition für China gewesen.
Auf Platz drei im Interesse chinesischer Investoren lagen überraschend Firmen aus der Biomedizin und Produzenten von Medizingeräten aus dem Premiumsegment.
Maschinen mit computergestützter numerischer Steuerung, kurz CNC, im Premiumsegment und Roboter binden auch ein großes Interesse chinesischer Investoren. 15,2 Prozent aller chinesischen Beteiligungen liegen in Firmen, die sich damit auskennen.
Nur noch einstellig, aber trotz allem von Interesse: Unternehmen, die an der neuen Generation von Informationstechnologien arbeiten, locken ebenfalls chinesische Investoren an.
Bei den chinesischen Beteiligungen der vergangenen drei Jahre machten etwas mehr als sechs Prozent Firmen aus, die sich auf Luft- und Raumfahrtsysteme spezialisiert haben.
Neue Materialien sind für chinesische Beteiligungen ebenfalls noch interessant. 5,4 Prozent fallen deshalb auf deutsche Unternehmen dieser Sparte.
4,5 Prozent der chinesischen Investitionen gingen in den vergangenen drei Jahren in deutsche Unternehmen, die fortschrittliche Schienenverkehrssysteme entwickeln.
Meerestechniksysteme und Hightech-Schiffe lockten zwischen 2014 und 2017 ebenfalls chinesische Investoren an. Sie investierten in dieser Zeit 2,7 Prozent in Unternehmen mit diesem Spezialgebiet.