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Ukraine-Konflikt Flugzeugabschuss könnte Wendepunkt sein

Es wird vielleicht nie einwandfrei festzustellen sein, wer die Passagiermaschine über der Ostukraine zum Absturz brachte. Ob es ein Rätsel bleibt oder nicht, kann entscheidend für die Zukunft der Ukraine sein.

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Militäreinsatz gegen Separatisten gestartet
Ukrainische Soldaten stehen mit unsicher-angespanntem Gesichtsausdruck zwischen Panzern, auf denen die ukrainische Flagge weht. Erstmals hat die Ukraine auf den prorussischen Aufstand im Osten des Landes mit einer Militäraktion reagiert. Quelle: AP
Die pro-russischen Separatisten lassen sich derweil nicht beeindrucken. Sie bauen weiter Barrikaden und verteidigen diese mit teils selbst gebastelten Waffen, so wie hier in der Stadt Kramatorsk. Quelle: AP
Südlich von Kramatorsk sollen am Dienstag ukrainische Spezialkräfte an einem Flughafen rund 30 bewaffnete Männer zurückgedrängt haben, sagte General Vasyl Krutow. Quelle: AP
Separatisten greifen ukrainisches Sicherheitspersonal am Flughafen von Kramatorsk an. Über den genauen Hergang der Gefechte gab es widersprüchliche Angaben. Quelle: AP
Laut der ukrainischen Regierung gab es keine Opfer, russische Medien berichteten jedoch von vier bis elf Toten am Flughafen. Ein Sprecher einer prorussischen Verteidigungsgruppe, Juri Schadobin, sprach von zwei Leichtverletzten, die in eine Klinik gebracht worden seien. Laut der Regierung in Kiew wurde eine nicht näher genannte Zahl von Milizionären gefangen genommen. Quelle: AP
Moskau verurteilte das ukrainische Vorgehen. Es sei „kriminell, mit den eigenen Landsleuten zu kämpfen, während sie für legale Rechte aufstehen“, erklärte das Außenministerium in Moskau. Ressortchef Sergej Lawrow hatte Kiew zuvor vor dem Einsatz von Gewalt gegen die prorussischen Demonstranten gewarnt. Man könne nicht Panzer schicken und zur selben Zeit Gespräche führen, sagte er mit Blick auf die für Donnerstag in Genf geplanten Verhandlungen mit den USA, der Europäischen Union und der Ukraine über die Krise. Quelle: AP
Einige Truppen haben laut Berichten von Reportern vor Ort mittlerweile die Seiten gewechselt. Sie sollen samt Panzern zu den pro-russischen Milizionären übergelaufen sein. Quelle: AP

Der Abschuss der Passagiermaschine der Malaysia Airlines könnte sich als Wendepunkt im Ukraine-Konflikt herausstellen. Aber in welche Richtung die Entwicklung geht, das hängt hauptsächlich davon ab, wer die Attacke ausführte und wie überzeugend dies vor aller Welt nachgewiesen werden kann. Die Tragödie hat schon bewirkt, dass sich das Weltaugenmerk stärker auf den Konflikt richtet, der schwersten Krise zwischen Russland und dem Westen seit Ende des Kalten Kriegs. Und sie hat eine Gefahr offenbart, derer sich die meisten Menschen bisher nicht bewusst waren: Rebellen sind in der Lage, jenseits ihres Heimatlandes zuzuschlagen, indem sie konventionelle Waffen gen Himmel richten.

Der Verdacht konzentriert sich immer stärker auf die prorussischen Separatisten, und einwandfreie Belege könnten einen entscheidenden Schritt zur Entschärfung des monatelangen Konflikts bedeuten. Denn die Rebellen kämen möglicherweise so in Verruf, dass dies dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Gelegenheit eröffnen könnte, sich von seinen zunehmend unkontrollierbaren Verbündeten in der Ostukraine zu lösen. Der Separatistenbewegung würde damit der Boden unter den Füßen weggezogen.

Schon vor dem Abschuss des Flugzeuges der Malaysia Airlines war Putin daheim mit gegensätzlichem Druck konfrontiert. Einige in seiner Regierung drangen auf stärkere Unterstützung der Rebellen, die anderen auf Distanz. Wenn bewiesen werden kann, dass die Separatisten einen derart entsetzlichen Akt begangen haben, würde das wahrscheinlich die Tauben in ihrer Position stärken. Allerdings warnen Putin-Beobachter, dass man beim russischen Präsidenten wirklich nie genau wisse, was als nächstes komme. Jede Änderung würde wahrscheinlich schrittweise erfolgen, auch deshalb, weil Putin ja selbst jede direkte Moskauer Rolle bei der Unterstützung der Rebellen verneint hat.

Es wird indessen schwierig, ja vielleicht unmöglich sein, definitiv nachzuweisen, wer die Boeing 777 abschoss - und warum. Die Herausforderung ist ungewöhnlich groß, weil die Untersuchung in einer Region stattfindet, in der niemand wirklich das Ruder in der Hand hat, Propaganda die Wahrheit übertönt und hinter jeder Verlautbarung ein hintergründiges Motiv zu stecken scheint. Wenn sich genügend Zweifel darüber halten, wer für den Abschuss verantwortlich ist, könnte Russland plausibel seine Unterstützung für Rebellen im Stillen fortsetzen, zumal viele Russen glauben, dass die Attacke auf das Konto der ukrainischen Regierung geht. Das würde natürlich Konsequenzen haben. So hat es US-Präsident Barack Obama bereits mit Rufen aus dem Kongress zu tun, härter gegen Moskau vorzugehen und die Sanktionen weiter zu verschärfen. Ähnlich geht es europäischen Regierungen.

Möglich wäre sogar, dass der Westen seine Hilfen für das ukrainische Militär verstärkt. Es wäre aber keineswegs sicher, dass Putin dadurch zum Einlenken gebracht wird. Es könnte ihn auch veranlassen, auf seinen Positionen zu beharren - und wohin derart verschärfte Spannungen führen mögen, weiß niemand. Andauernde Ungewissheit über die Verantwortlichen könnte auch etwas anderes bewirken: dass die Ukraine in einem Konflikt unbefristet feststeckt, ähnlich jenen in Russlands Nachbarschaft. Eine langwierige, ergebnislose Untersuchung würde möglicherweise den Status Quo erhalten und Moskauer Interessen dienen. Wirtschaftliche Verbindungen zwischen Russland und der östlichen Ukraine blieben bestehen - und jegliche Versuche der Führung in Kiew, sich der Nato anzuschließen, wären praktisch im Keim erstickt.

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