Ukraine-Krieg „Obwohl Putin immer aggressiver auftrat, blieben die Beziehungen eng – wieso?“

Der Historiker Jan Behrends ist selbst Sozialdemokrat. Er geht hart ins Gericht mit der Russlandnähe seiner Partei und ihren führenden Köpfen. Der Altkanzler agiere seit vielen Jahr als „Sprachrohr des Kremls“.

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Jan Claas Behrends lehrt und forscht am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und an der Viadrina-Universität Frankfurt/Oder. Er ist Mitglied des SPD-Geschichtsforums. Im März veröffentlichte er dort mit zwei Kollegen eine kritische Erklärung zum Umgang der SPD mit ihrer Russlandpolitik.

WirtschaftsWoche: Herr Professor Behrends, was haben Sie gedacht, als Sie Gerhard Schröders jüngste Einlassungen zum Ukrainekrieg gelesen haben?
Jan Claas Behrends: Was soll man dazu noch sagen? Hier geht jemand wissentlich und willentlich den Weg der Isolation. Schröder agiert seit vielen Jahren als Sprachrohr des Kremls.

Die SPD insgesamt muss sich seit Kriegsbeginn dem Vorwurf aussetzen, im Umgang mit Russland historische Fehler gemacht und Fehleinschätzungen getroffen zu haben. Vor allem Schröder, aber auch Frank-Walter Steinmeier, Manuela Schwesig oder Sigmar Gabriel. Zurecht?
Ja, die SPD muss sich mit der Frage auseinandersetzen, warum mehrere ihrer Vorsitzenden und führende Vertreter in der Vergangenheit russische Interessen und Perspektiven stärker gewichtet haben als etwa diejenigen unserer osteuropäischen Partner und der USA. Warum sie Wladimir Putin noch zu Zeitpunkten vertraut und geglaubt haben, als man dies besser nicht mehr getan hätte. Die Russlandnähe der SPD insbesondere in den vergangenen zwanzig Jahren bedarf der Aufklärung und der Aufarbeitung.

Haben Sie eine Antwort, eine Erklärung?
Es gab diese große Sehnsucht nach guten Beziehungen mit Moskau. Es herrschte der übergeordnete Glauben vor, Sicherheit zur Not erkaufen zu können. Und ein Teil der Erklärung ist sicher auch im Glauben an den Mythos Ostpolitik zu suchen.

Von Schröder bis Schwesig: Die Russlandverbindungen führender Genossen sind ein Problem. Geheimdienste warnten früh davor, dass Moskau Energie als Waffe einsetzen könnte. Trotzdem gab es Kontakte zu Putin-Freunden.
von Sonja Álvarez, Max Biederbeck, Max Haerder, Silke Wettach

Was meinen Sie damit?
Die Vorstellung, Willy Brandts Entspannungspolitik gegenüber Moskau habe in einer geraden Linie zum Fall des Eisernen Vorhangs und zur Deutschen Einheit geführt, ist zumindest unterkomplex. Die Ostpolitik wird von Sozialdemokraten überhöht und verklärt. Sie blendet nicht nur die Rolle von Politikern wie Margret Thatcher oder Ronald Reagan aus, sondern auch den problematischen deutschen Umgang etwa mit der polnischen Solidarnosc. Was auch gerne vergessen wird: Unter einem Kanzler Brandt hat die Bundesrepublik rund 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Rüstung ausgegeben.

Ist das tatsächlich einer der Trugschlüsse der gegenwärtigen Debatte: Wenn die Ostpolitik bis 1989 richtig war, kann die Russlandpolitik seit den 2000ern nicht ganz falsch gewesen sein?
Erstens: Die Ostpolitik verdient aus heutiger Perspektive selbstverständlich weiterhin Anerkennung und Würdigung. Zweitens aber, und jetzt komme ich zu Ihrer Aufteilung: Wir müssen die historische Komplexität akzeptieren und zwischen den Epochen differenzieren. Anders und schärfer gewendet: Nur weil die SPD-Politik unter Brandt ihre unbestreitbaren Verdienste hat, hat sie nachfolgende sozialdemokratische Führungsgenerationen nicht vor fundamentalen Fehlern bewahrt.

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Olaf Scholz und andere verwahren sich gegen pauschale Vorwürfe.
Umso mehr sollte man keine Debatte und keine Aufarbeitung verhindern wollen, die dieser Pauschalität entgegenwirken könnte. Diesen Eindruck gewinne ich aber gerade.

Wie sollte diese Aufarbeitung Ihrer Ansicht nach aussehen?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder im parlamentarischen Rahmen von Untersuchungsausschüssen und Enquete-Kommissionen. Oder mithilfe einer innerparteilichen Kommission. Auf Landesebene in Schwerin wird es ja wohl in jedem Fall einen Untersuchungsausschuss geben. Und das halte ich auch für richtig und wichtig.

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