Friedrich Merz hat sich entschuldigt, heißt es jetzt, für seine gestrige Entgleisung mit dem „Sozialtourismus“. Sich mit ein paar hingeworfenen Twitter-Sätzen aus der Affäre stehlen zu wollen, ist schäbig. Fast so schäbig, wie der Grund für diese Entschuldigung: Merz hat alle ukrainischen Geflüchteten unter den Generalverdacht gestellt, Schmarotzer in unserem Land zu sein. Nun mal eben schnell entschuldigen? Nein, das funktioniert nicht.
Merz hat gestern gesagt: „Wir sehen mit großer Besorgnis, dass die Entscheidung der Bundesregierung vom System der Asylbewerberleistung auf das System der Arbeitslosengeld-II-Zahlungen überzugehen, im Frühjahr zu erheblichen Verwerfungen auch bei den Flüchtlingen aus der Ukraine führt.“ Merz redete also generell von „den Flüchtlingen aus der Ukraine“ und führte dann aus: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine, von denen sich mittlerweile eine größere Zahl dieses System zunutze machen. Da haben wir ein Problem, das größer wird.“ Die ukrainischen Flüchtlinge beuten systematisch und in zunehmendem Maße die deutschen Sozialsysteme aus – das war Merz‘ Vorwurf.
Seine Entschuldigung geht nun so: „Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems.“ Wenn aber Merz heute weiß, dass es bloß Einzelfälle sind, warum hat er es dann einen Tag zuvor als monströses und generelles Schmarotzertum dargestellt? Die Antwort ist offensichtlich: Weil er damit ganz gezielt im Sumpf am rechten Rand der CDU – und über diesen Rand hinaus – herumstapfen wollte.
Wahlkampf auf dem Rücken von Kriegsopfern, deren Familien die Freiheit Europas mit ihrem Leben verteidigen, ist zunächst mal vor allem eines: eine moralische Bankrotterklärung. Claus Hipp, Chef des Babykostherstellers Hipp, sagte einmal über Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen: „Wenn Menschen in Not sind, dann müssen wir ihnen helfen. Punkt. Die Nächstenliebe gegenüber Flüchtenden und Armen gehört zu den zentralen Botschaften der Bibel.“ Für den Unternehmer Hipp ist das Christentum die moralische Richtschnur. Und was leitet den Chef der Christlich Demokratischen Union Deutschlands? Alles mögliche. Erst gab es viele schöne Sprüche über die historischen Verdienste des ukrainischen Volkes, sogar eine Reise in die Ukraine, dann die Verhöhnung der „Sozialtouristen“. Merz, moralisch heute hier und morgen dort. Ein Moraltourist.
So viel zur Moral. Kommen wir zum Fressen. Deutschland wendet Milliarden auf für ukrainische Flüchtlinge. Das ist viel, aber es ist nichts im Vergleich zu dem, was die Ukraine für uns tut. Sie stoppt den Wahnsinnigen aus Moskau oder versucht es zumindest. Wenn sie das nicht getan hätte, wo stünden die russischen Truppen heute? Wenn unsere Häuser zerbombt sind, unsere Wirtschaft ausgelöscht und Einberufungsbescheide unsere Briefkästen erreichen, dann würden wir uns glücklich schätzen, wir müssten nur über Flüchtlingshilfen und Gaspreisdeckel debattieren. Diese Ukraine hat ungeteilte Solidarität verdient.
Stattdessen fällt Merz ihr in den Rücken. Er teilt der Welt mit: Deutschland lässt seine Sicherheit und seinen Wohlstand gern von ukrainischen Soldaten verteidigen – schaut bei den Kindern und Frauen dieser Soldaten aber auf jeden Cent.
Nein, nein, beteuert Merz nun, es sei ihm nur „um die mangelnde Registrierung der Flüchtlinge“ gegangen. Merkwürdige Ausrede. Denn wenn Flüchtlinge nicht registriert sind, bekommen sie kein Geld aus deutschen Kassen. Auch hier zeigt sich: Merz‘ Entschuldigung ist eine Farce. Ein hektischer Versuch, politischen Schaden von sich selbst abzuwenden.
Dafür aber, fürchte ich, ist es zu spät. Merz' widerlicher Ausdruck „Social Tourism“ geht in diesen Stunden schon um die ganze Welt. Deutschland hätte die Chance, die Türen weit aufzumachen für Flüchtlinge und andere Zuwanderer, die unser Land bereichern und voranbringen können. Abgesehen von der moralischen Verpflichtung gegenüber Flüchtlingen, sagt Claus Hipp, „brauchen wir die Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen“.
Das war die Chance. Jetzt haben wir die Schande.
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