Ulm gegen Leipzig Warum sich ausgerechnet diese Städte so gut entwickeln

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Branchenmix in Ulm, Gründerstimmung in Leipzig

Auch Leipzig liegt strategisch gut: Mitten in Deutschland, mit schneller Anbindung in die Hauptstadt, ausgestattet mit eigenem Flughafen. Und doch finden sich vergleichsweise wenige große Unternehmen und Mittelständler in der Stadt. Der Krieg, gefolgt vom DDR-Sozialismus, Abschottung, all das wirkt nach, Leipzig fehlen die Jahrzehnte, in denen sich im Südwesten der starke Mittelstand entwickelt hat. Nach der Wende wanderten außerdem viele Menschen zur Arbeitssuche Richtung Westen ab, die Einwohnerzahl sank auf 440.000.

Erst Anfang der 2000er Jahre konnte Leipzig endlich wieder an alte industrielle Traditionen anknüpfen. Da errichteten Porsche und BMW Standorte in Leipzig. DHL und Amazon zogen nach und nutzen den Flughafen als Cargo-Hub. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), ist überzeugt, dass die Ansiedlung der großen Unternehmen der Anfang des Aufschwungs für die Stadt war. „So sind viele neue Arbeitsplätze entstanden. Auch die Wissenschaft und die Kreativszene brachten viele Menschen nach Leipzig.“ Und die ehemalige Metropole bot genug Platz, so viele Menschen aufzunehmen. Heute ist Leipzig mit seinen 580.000 Einwohnern laut Statistischem Quartalsbericht die am stärksten wachsende Großstadt Deutschlands.

Ein Großteil der Leipziger arbeitet – anders als in Ulm – in Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern. In den vergangenen Jahren hat sich eine rege Gründerszene etabliert. Zwei der Leipziger Gründer sind Florian Mack und Christofer Volke. Die beiden Mittzwanziger lernten sich schon beim Wirtschaftsstudium in Leipzig kennen. Als sie mitbekamen, dass ihre Kommilitonen sich mit Energy Drinks, Mate und Kaffee aufputschten, kam ihnen die Idee, eine gesunde, koffeinfreie Alternative zu entwickeln. Sie mischten das Denkgetränk Neuronade auf Basis von Pflanzenextrakten – Ginkgo, Brahmi oder Aronia sollen die Konzentration anregen.

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Mittlerweile machen sie mit dem Online-Vertrieb des Drinks sechsstellige Umsätze und haben ein kleines, mit Produktkartons zugestelltes Büro im Leipziger Zentrum bezogen. „Leipzig bietet gute Voraussetzungen für Gründer“, sagt Florian Mack. „Die Mieten und Gehälter sind hier noch vergleichsweise niedrig, es gibt Gründernetzwerke und eine spannende Kreativszene.“

Die Gründer und Kreativen erwecken verfallende Industriestätten wieder zum Leben. In einer verwaisten Baumwollspinnerei im Westen der Stadt hat die Leipziger Gründerhochschule HHL das „Spin Lab“ eingerichtet, ein Co-Working-Space für Jungunternehmer. Auch die Gründer von Neuronade bekamen ihre Starthilfe im Spin Lab. Bekannte Start-ups, die aus der HHL hervorgingen, sind Trivago, Mister Spex oder Flaconi. Dass hier was geht, geschäftlich und kulturell, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Sogar die New York Times machte schon den Namen „Hypezig“ populär.

Ulm hat ein Luxusproblem

In Ulm ist die Start-up-Szene weniger ausgeprägt als in Leipzig. IHK-Geschäftsführer Otto Sälzle erklärt das als eine Reaktion auf den Arbeitsmarkt: „Alle Absolventen unserer Hochschulen haben hervorragende Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Unternehmen haben einen sehr hohen Bedarf an Fachkräften. Wenn eine Stadt viele, hoch attraktive, sehr gut bezahlte Jobs für Berufsanfänger bieten kann, dann ist die Start-Up Szene natürlich etwas dünner.“ Anders gesagt: In Sachen Gründung hat Ulm ein Luxusproblem.

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Um alt-eingesessene Unternehmen und Studenten mit ihren neuen Ideen zusammen zu bringen, hat die Stadt vor einigen Jahren dennoch die Initiative ergriffen. Neben dem traditionsreichen Schwörhaus, das heute das Stadtarchiv beherbergt, entstand das Verschwörhaus. Das kleine, weiße Haus wirkt unscheinbar neben dem prunkvollen Gebäude, von dessen Balkon der Oberbürgermeister jedes Jahr am Schwörmontag seine Rechenschaft ablegt. Die untere Etage mit einem großen Schaufenster sieht aus wie ein etwas chaotisches Café. Zwischen Kisten und Fahrrädern steht eine kleine Küche, daneben ein Snackautomat. Auf einem Tisch in der Ecke stapeln sich Dokumente. Auf einem Aufkleber an der Scheibe steht „cyber chaos & öffentliche unordnung“.

Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch aber sagt, der starke Kontrast zum Verschwörhaus sei bewusst gewählt: „Das Stadtbild soll das Zusammenspiel von Tradition und Moderne wiederspiegeln. Das Verschwörhaus soll ein Ort sein, an dem sich alle Communities treffen – ob das jetzt ein Wikipedia-Kongress ist oder ein Ort für die Open-Knowledge Foundation. Es ist ein Ort der querläuft und versucht, Leute anzuziehen, die wir spannend finden.“ Zusätzlich gibt es eine Unternehmer-Initiative, die im Verschwörhaus Projekte fördert.

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