




1. Dämonisierung macht Pegida größer
Wer auf eine Pegida-Kundgebung geht, hat zwei Möglichkeiten, sich unbeliebt zu machen. Nummer Eins: Sei Journalist – Stichwort „Lügenpresse“. Nummer Zwei: Sei Politiker einer etablierten Partei. Als am Montag die Namen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) fielen, schienen die Pfeifkonzerte kaum enden zu wollen.
Merkel hatte sich mit ihrer Neujahrsansprache offen gegen Pegida gestellt. „Deshalb sage ich allen, die auf solche Demonstrationen gehen: Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen!“ Die Kanzlerin warnte: „Zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“
Auch Justizminister Maas fand deftige Worte. „Ihr seid alle Heuchler“, warf er den Pegida-Anhängern vor. „Wenn die gleichen Leute, die vor einer Woche über die Lügenpresse schimpfen, jetzt mit Trauerflor zur Verteidigung der Pressefreiheit demonstrieren, ist das an Heuchelei nicht zu überbieten.“
Werner Patzelt von der Universität Dresden beobachtet die Kundgebungen seit Wochen aus nächster Nähe. „Die Pegida-Anhänger fühlen sich von der Politik verraten“, sagt der Politikwissenschaftler. Bei vielen Pegidisten kämen Erinnerungen an die DDR hoch. „Sie wollen sich nicht den Mund verbieten lassen.“ Vergleiche zwischen Angela Merkel und Erich Honecker sind keine Seltenheit bei den Märschen.
Aus Sicht von Patzelt sollte die politische Klasse aufhören, Pegida zu dämonisieren. „Wenn der Justizminister Pegida Heuchelei vorwirft, ist das lächerlich. Mit der Integrationsfrage spricht Pegida ein Thema an, das viele Menschen bewegt. Das sollten Politiker nicht herabwürdigen.“
Nach Polizeiangaben kamen am Montag 25.000 Menschen zur Demonstration in Dresden. In der Woche davor waren es noch 18.000. Patzelt meint, Pegida habe noch nicht sein volles Potential erreicht. „Wenn die politische Klasse weiter auf verbale Eskalation setzt, werden noch mehr Menschen an den Demonstrationen teilnehmen“, lautet seine Prognose.
Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hält es ebenfalls für möglich, dass Pegida weiter wächst – allerdings nur dann, wenn weitere unvorhersehbare Ereignisse wie der Terroranschlag in Paris geschehen. Andernfalls gehe in zwei bis drei Wochen die Luft ein wenig raus.
Ausländer in Deutschland
Besonders viele Ausländer kommen aus den Ländern, die 2004 der EU beigetreten sind. Die Zahl stieg gegenüber 2011 um 15,5 Prozent. Spitzenreiter ist Ungarn mit einem Plus von 29,8 Prozent, gefolgt von Polen mit +13,6 Prozent.
Die Zahl der Ausländer aus den von der Euro-Krise betroffenen Mittelmeerstaaten hat sich erhöht. Aus Griechenland sind 5,1 Prozent mehr Ausländer als im Vorjahr nach Deutschland gekommen, aus Spanien waren es 9,1 Prozent mehr Ausländer.
Die registrierte Bevölkerung mit türkischer Staatsangehörigkeit ist, ähnlich wie in den Jahren zuvor, um zwei Prozent zurückgegangen. Grund dafür ist die relativ hohe Zahl der Einbürgerungen.
Die meisten Ausländer zogen nach Bayern, das sind rund 65.900 mehr als im Jahre 2011. Den geringsten prozentualen Anstieg verzeichnet das Saarland mit einem Plus von 1,6 Prozent.
2. AfD wird Pegida aufsaugen
Die Alternative für Deutschland (AfD) ringt seit Wochen um eine einheitliche Position gegenüber Pegida. Parteisprecher Bernd Lucke unterstützt zwar Forderungen, wonach die Integration von Ausländern stärker gesteuert werden müsse. Immer wieder warnt er jedoch, aus dem Kampf gegen Islamisten eine ablehnende Haltung gegenüber dem Islam als Religion abzuleiten.
AfD-Vize Alexander Gauland sieht die Bewegung hingegen weniger kritisch und bezeichnet sie als „natürliche Verbündete“. Frauke Petry, die sächsische Landes- und Fraktionschefin der AfD, hat sich bereits mit den Organisatoren getroffen, um „Schnittmengen“ auszuloten.
Parteienforscher Patzelt ist überzeugt, dass die AfD der Bewegung eine parlamentarische Stimme geben wird. „Gerade unter Aufnahme dieser Strömung und unter Beseitigung von deren allzu rechten Zügen kann sie sich dauerhaft neben der CDU etablieren.“ Kurzum: Wenn sich die AfD etablieren will, braucht sie Pegida.
Sonderfall Sachsen
3. Kein Erfolg außerhalb von Dresden
Bislang ist der Erfolg in Dresden auf keine andere Stadt übergesprungen. Möglicherweise gelingt dies nun erstmals in Leipzig. Der lokale Ableger mit Namen „Legida“ zog am Montag 4.500 Menschen an. Ihnen standen jedoch 30.000 Leipziger gegenüber, die für ein tolerantes Zusammenleben warben.
Aus Sicht von Patzelt wird Pegida ein Dresdner Phänomen bleiben. Die Bewegung könne nur in Großstädten funktionieren, in denen es keinen links-liberalen Mainstream gebe. „Wie viele gibt es da außer Dresden?“
Auch Historiker Götz Aly ist davon überzeugt, dass die sächsische Landeshauptstadt ein Sonderfall ist. „Freiheit, selbstherrlicher Lokaldünkel und Fremdenangst gehören in Dresden schon lange zusammen“, schrieb Aly kürzlich in einem Beitrag für die Berliner Zeitung.
Ein Beispiel: Ein Gesetz von 1838 über die Rechtsstellung der Juden in Sachsen habe dazu geführt, dass in Dresden seinerzeit höchstens vier jüdische Kaufleute erlaubt gewesen sein.
4. Neues Einwanderungsgesetz als Reaktion auf Pegida
Pegida fordert ein neues Einwanderungsgesetz nach dem Vorbild der Schweiz, Australiens oder Kanadas. Darunter verstehen die Organisatoren eine „Pflicht zur Integration“, sie wollen Einwanderung unter dem Strich eher erschweren.
Die Unionsparteien lehnen eine Debatte über ein solches Gesetz bislang ab. CDU-Generalsekretär Peter Tauber weicht aber seit kurzem von dieser Linie ab. „Wenn wir eine Zuwanderung wollen, die nicht nur arbeitsmarktoptimiert ist, nicht nur temporär, dann müssen wir auch über ein Einwanderungsgesetz reden“, sagte er in einem Welt-Interview.
Bislang folgt die CDU Tauber in der Frage nicht. Im Gegenteil: Er wurde in der eigenen Bundestagsfraktion gerüffelt. Die Debatte aber wird weitergehen, zumal auch SPD und Grüne ein neues Einwanderungsgesetz unterstützen.
Deutschland
Politikwissenschaftler Patzelt hält diese Diskussion für wichtig, „damit endlich Konsens über die Grundsätze deutscher Einwanderungspolitik entstehen kann. Würden die Bundestagsparteien entsprechende Positionspapiere vorlegen, so begänne ein reinigendes Gewitter.“ Die etablierten Parteien dürften zwar andere Vorstellungen über ein solches Einwanderungsgesetz haben als Pegida, das Thema aber haben die Dresdner Demonstranten erfolgreich gesetzt.
Soziologe Dieter Rucht empfiehlt der Politik gar, sich mit Pegida zusammenzusetzen. „Sie sollten den Pegida-Leuten aber nicht nur zuhören, sondern mit ihnen streiten“, sagt der Experte für Protestforschung. In einer solchen öffentlichen Debatte werde letztlich klar, wer die besseren Argumente habe.
Und wenn sich die Pegida-Organisatoren verweigern? „Dann schaden sie sich letztlich selbst.“