Umstrittene Großprojekte Kein Konzept zu Bürgerprotesten

Berlin diskutiert über die richtigen Lehren aus dem Stuttgarter Bahnhofsdesaster – bislang ohne vorzeigbares Ergebnis.

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Proteste gegen Stuttgart 21 im Quelle: dapd

Der Widerstand trägt Jeanshemd, Käppi und ein schüchternes Lächeln. Man muss Matthias von Herrmann schon etwas genauer auf den Kopf schauen, um das Erkennungszeichen zu bemerken: Ein kämpferisch verfremdeter Baum prangt da, der Stamm ein Handgelenk, darüber eine geballte Faust als Krone. Von Herrmann ist „Parkschützer“ und damit Mitglied einer der hartnäckigsten Kritikertruppen von Stuttgart 21. Ginge es nach Stefan Mappus und Heiner Geißler, er dürfte jetzt gar nicht mehr hier demonstrieren im Stuttgarter Schlosspark, nur wenige Meter vom umkämpften Bahnhof. Aber nach dem Ministerpräsidenten und seinem Schlichter geht es nicht, der Widerstand ist noch da.

Matthias von Herrmann erinnert die Politik an ein Versäumnis. Mehr als vier Monate nachdem sich in Stuttgart Wasserwerfer und Demonstranten gegenüberstanden und ein geradezu endzeitlich aufgeladener Schlichterprozess folgte, gibt es noch immer keine abschließenden politischen Antworten auf entscheidende Fragen: Wie lassen sich Eskalationen wie im Schwäbischen künftig verhindern? Wie sorgt sie dafür, dass Bürger bei kommenden Großprojekten nicht nur stärker gehört, sondern auch überzeugt werden?

Maximale politische Beunruhigung droht jedenfalls nicht nur im Stuttgarter Stadtkessel: In Gorleben empfingen Anwohner vergangene Woche Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) mit „Drecksack“-Rufen, weil er die Endlagerfrage klären will – in Gorleben. An der Elbe stemmen sich Bürger gegen die geplante Flussvertiefung, in Berlin gehen sie gegen geänderte Flugrouten des kommenden Großflughafens Schönefeld auf die Barrikaden. In Schleswig-Holstein droht Stillstand bei der Anbindung des milliardenteuren Fehmarnbelt-Tunnels nach Dänemark. Und schon heute graut es Bürgermeistern wie Ministern bei der Vorstellung, Tausende Kilometer neue Ökostrom-Leitungen quer durch die Republik durchsetzen zu müssen.

Vorbild: Aufbau Ost

Das politische Timing in der Hauptstadt war da denkbar unglücklich. Im Dezember verschickte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) an seine Ressortkollegen einen Gesetzentwurf „zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren“. Darin will er die verschiedenen Gesetze zur Planung von Autobahnen, Kraftwerken, Schienen- oder Stromtrassen endlich bündeln und Verfahren straffen. Vorbild ist das Verkehrswegebeschleunigungsgesetz, mit dem nach der Wende die Modernisierung der zerrütteten Ostinfrastruktur vergleichsweise zügig möglich wurde.

Doch im Entwurf fand sich eine weitere Passage, und die hatte es in sich. Die zuständigen Verwaltungsbehörden könnten, so skizzierte es der Entwurf, in Zukunft auf öffentliche Erörterungstermine verzichten. Bei einer „großen Zahl von Einwendern“ drohe sonst Stillstand.

Das las sich nicht nur wie Bürgerbeteiligung nach Beamtengnade – es kam auch so an. Das hätten wohl „irgendwelche Beschleunigungsfanatiker“ getextet, schüttelt ein Kabinettskollege von de Maizière den Kopf. Die Kanzlerin sah sich gezwungen, ihren Minister zurückzupfeifen: Erst rüffelte sie den Entwurf in einer internen Frühstücksrunde mit den Unions-Ministern, dann auch öffentlich: „Wir wollen keineswegs weniger Bürgerbeteiligung, sondern wir überlegen, wie den Belangen der Menschen besser als jetzt entsprochen werden kann“, versprach Angela Merkel (CDU).

Mühsame Überarbeitung des Gesetzentwurfs

Alles auf Anfang also in Berlin. Der Gesetzentwurf wird mittlerweile renoviert. In de Maizières Haus verteidigt man sich zwar mit dem Hinweis, der Arbeitsauftrag stamme aus dem Jahr 2006, sei also schon viel älter als die Stuttgart-21-Erhitzung. Nennenswerte Sensibilität für die gesellschaftliche Gegenwart strahlte er dennoch nicht aus. Nun müssen die Beamten die Stellungnahmen aus anderen Ministerien und die Weisungen Merkels in zweiter Runde einarbeiten.

Der liberale Koalitionspartner will darauf gar nicht erst warten. Die FDP hat ein eigenes Positionspapier für mehr Bürgerbeteiligung bei Großprojekten erarbeitet. „Für den Laien ist absolut unverständlich, wann und wie er seine Belange einbringen kann“, sagt Fraktionsvize Patrick Döring. Mehr Mitsprache und gleichzeitig schnellere wie transparentere Verfahren müssten her. Das Papier regt dafür begleitende Mediationsverfahren und Bürgerentscheide an. „Unser Ehrgeiz muss es sein, Planungsverfahren in fünf Jahren abzuschließen“, so Döring – heutzutage sind 15 bis 20 Jahre die Regel.

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