Umweltökonomin Claudia Kemfert im Interview "Jetzt erst recht"

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Obama setzt beim Klimaschutz auch auf die Atomenergie. In Deutschland ist das politisch derzeit nicht machbar. Wäre es ökonomisch sinnvoll?

Ja, sicher, zumindest eine Verlängerung der Laufzeiten. Sonst müssen wir noch mehr Kohlekraftwerke ans Netz bringen – und das lässt sich nur schwer vermitteln, wenn wir die Klimaschutzziele einhalten wollen. Das zeigen auch die Proteste gegen neue Kraftwerke.

Wenn wir unsere teuer bezahlten Meiler weiterlaufen lassen, gewinnen wir Zeit, bis Alternativen marktfähig sind. Die Atomstrom-Gewinne sollten anteilig in eine Stiftung zur Förderung klimaschonender Technologien fließen. Das wären einige Millionen Euro im Jahr.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel rüstet aber im Kampf gegen die Kernenergie auf.

Ich verstehe die SPD, denn die Endlagerfrage muss dringend gelöst werden. Allerdings spricht auch einiges für die Verlängerung der Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke, das sehen auch in der SPD einige so. Allerdings glaube ich nicht, dass die SPD ihre offizielle Meinung ändert, auch nicht im Wahlkampf.

Und: Man muss vorsichtig sein, was im Wahlkampf versprochen wird. In Hessen wurden sehr ambitionierte Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien angepriesen, die vermutlich zumindest in der anvisierten Zeit schwer umzusetzen wären.

Sie haben Zweifel an Sonne, Wind und Co.?

Nein, wir brauchen die erneuerbaren Energien – um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, aber auch aus Klimaschutzgründen und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Aber selbst wenn die erneuerbaren Energien künftig ein Viertel zur Stromerzeugung beitragen, bleibt immer noch die Frage: Wie decken wir die übrigen 75 Prozent?

Der Ausbau hin zu 100 Prozent erneuerbarer Energien wird einige Zeit dauern, und vor allem muss man Energien speichern können, damit man auch erneuerbare Energien in Zeiten von wenig Wind und Sonne nutzen kann.

Was rät die Wissenschaftlerin?

Politiker, aber auch Unternehmer müssen Klartext sprechen: Wir steuern auf ein Energieversorgungsproblem zu. Energieversorger und Kommunalpolitiker sollten ihre Wähler und Kunden besser aufklären, wie man Wirtschaftswachstum und Klimaschutz zusammenbringen kann – etwa, indem man ein neues, effizientes Kohlekraftwerk baut und gleichzeitig an anderer Stelle, beispielsweise im Bereich der Gebäude oder Mobilität, Klimaschutz betreibt.

In der Rezession wird aber eher darüber debattiert, ob wir uns Klimaschutz überhaupt noch leisten sollen?

Die Finanzkrise ist natürlich ein Schock – aber so brutal es ist: Die Krise zeigt auch, wo vorher nicht in zukunftsweisende Märkte investiert wurde. So hat etwa die Autoindustrie mit ihren großen Karossen auf die falschen Produkte gesetzt.

Die Finanzkrise wird dazu führen, dass Zukunftsmärkte noch interessanter für Kapitalanleger werden. Die Krise trifft uns derzeit zwar hart – aber in der Zeit danach werden insbesondere die Branchen gut aufgestellt sein, die heute in die richtigen Märkte investieren.

In Ihrem gerade erschienenen Buch „Die andere Klima-Zukunft“ plädieren Sie für Innovation statt Depression. Bleiben Sie auch nach dem Börsencrash optimistisch?

Die Finanzkrise überschattet momentan die öffentliche Debatte. Kredite fehlen, viele kleine Mittelständler müssen die eine oder andere Investition verschieben. Aber es geht nicht allen schlecht: Die großen Konzerne sind die Gewinner dieser Krise, sie haben die nötige Liquidität, um jetzt in die richtigen Projekte zu investieren – etwa in Solar- und Windparks oder in Elektromobilität. Wer jetzt gut aufgestellt ist, kann sogar günstig Aktien kaufen.

Wie der Solarfabrikant Frank Asbeck, der mit seiner Offerte für Opel Schlagzeilen machte?

Okay, das war etwas skurril. Aber so schräg das auch klingt, es hat eine gewisse Symbolkraft: Die Solarindustrie ist in Deutschland sehr erfolgreich – auch weil sie stark gefördert wurde. Wir haben das Know-how für Solarzellen, die künftig auf Dächern in sonnenreichen Ländern liegen wie etwa in Saudi Arabien. Die Scheichs stellen sich auf die Zeit nach dem Öl ein und fragen gezielt deutsche Solartechnik nach.

Das zeigt doch: Als Weltmarktführer im Bereich Klimaschutztechnik profitieren wir von der weltweit steigenden Nachfrage. Klimaschutz ist kein Luxus in Boomzeiten – sondern unser Weg aus der Krise. Es muss nicht heißen: Erst einmal nicht. Sondern: Jetzt erst recht!

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