Umweltökonomin Claudia Kemfert im Interview "Jetzt erst recht"

Die Umweltökonomin Claudia Kemfert über den Aufbruch der Amerikaner und welche Hoffnungen sie in die aktuelle UN-Klimakonferenz setzt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Umweltökonomin Claudia Kemfert Quelle: Kemfert privat

WirtschaftsWoche: Frau Kemfert, gerade hat die Klimakonferenz der Vereinten Nationen begonnen, Sie sind als Beraterin der EU-Kommission in Posen dabei. Was erwarten Sie – konkrete Ergebnisse oder nur weitere Absichtserklärungen?

Claudia Kemfert: Ich hoffe vor allem, dass wir den Fahrplan einhalten, den wir vor einem Jahr auf Bali beschlossen haben. Das klingt zwar wenig ambitioniert, aber in der aktuellen Finanzkrise würde so mancher den Klimaschutz gerade am liebsten ganz abschaffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU-Kommission sehen das zum Glück anders, sie wollen sowohl an den Zielen wie am Zeitplan festhalten.

Ich rechne damit, dass wir uns jetzt in Posen zumindest auf grundlegende Klimaschutzziele einigen. Diese sollten dann die Grundlage für die Verhandlungen des Nachfolgeabkommens des Kyoto-Protokolls sein.

Momentan können noch nicht einmal die 27 Europäer eine gemeinsame Position finden – wie soll das den 192 UN-Staaten gelingen?

Die Interessen innerhalb der Europäischen Union sind sehr unterschiedlich – etwa bei der Frage, ob und welche CO2-Zertifikate versteigert werden sollen. Grundsätzlich gilt ab 2012 die Vollauktionierung der Emissionsrechte – aber es soll Ausnahmen geben. Welche, darüber wird gerade hinter den Kulissen diskutiert. Die deutsche Regierung setzt sich etwa für energieintensive Branchen ein, die durch die hohen Zusatzkosten eindeutige Nachteile hätten.

Welche Branchen träfe es besonders hart?

Stahl-, Aluminium- und Chemieindustrie zum Beispiel – je nachdem, welche Kostenbelastung entsteht und wie stark diese Branchen im internationalen Wettbewerb stehen. Die Polen allerdings fordern Ausnahmen für ihre Versorger, da sie den Strom auf Kohle-Basis erzeugen und somit besonders viele Emissionsrechte erwerben müssten. Die Kommission kommt diesen Sonderwünschen entgegen.

Es gibt Überlegungen, anfangs nur ein Fünftel der Zertifikate zu versteigern und diesen Anteil dann sukzessive zu erhöhen – oder auch, bestimmte Sektoren ganz von der Versteigerung zu befreien. All das soll Mitte Dezember auf dem EU-Gipfel beschlossen werden.

Was bringen europäische Beschlüsse denn, wenn die weltgrößten Klimasünder USA und China nicht mitziehen?

Nicht viel. Aber ich bin optimistisch, dass sich der Rest der Welt den europäischen Vorreitern anschließt. Amerika ist schon in Aufbruchstimmung: Barack Obama will sein Land an die Spitze des Kampfes gegen den Klimawandel stellen und setzt dabei auf internationale Kooperation.

Der neue Präsident will den Emissionshandel einführen, erneuerbare Energien mit 15 Milliarden Dollar pro Jahr fördern und die Emissionen radikal senken. Vielleicht gibt es sogar demnächst einen amerikanischen Klima-Minister. Das sind wirklich sehr gute Nachrichten...

...auch wenn Obama in Posen noch nicht am Verhandlungstisch sitzt?

Seine Leute dürfen zwar diesmal noch nichts entscheiden, nehmen aber als Beobachter teil. EU-Präsident José Maria Barroso scherzt bereits, dass demnächst Obama die EU-Kommission mit seinem Klimaprogramm unter Druck setzen könnte. Der klare Vorstoß der Amerikaner ist ein wichtiges Signal. China und Indien werden vermutlich nicht gleich auf den Zug aufspringen, aber ich rechne damit, dass China sich verpflichtet, in der nächsten Verhandlungsperiode konkrete Minderungsziele zu definieren.

Obama setzt beim Klimaschutz auch auf die Atomenergie. In Deutschland ist das politisch derzeit nicht machbar. Wäre es ökonomisch sinnvoll?

Ja, sicher, zumindest eine Verlängerung der Laufzeiten. Sonst müssen wir noch mehr Kohlekraftwerke ans Netz bringen – und das lässt sich nur schwer vermitteln, wenn wir die Klimaschutzziele einhalten wollen. Das zeigen auch die Proteste gegen neue Kraftwerke.

Wenn wir unsere teuer bezahlten Meiler weiterlaufen lassen, gewinnen wir Zeit, bis Alternativen marktfähig sind. Die Atomstrom-Gewinne sollten anteilig in eine Stiftung zur Förderung klimaschonender Technologien fließen. Das wären einige Millionen Euro im Jahr.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel rüstet aber im Kampf gegen die Kernenergie auf.

Ich verstehe die SPD, denn die Endlagerfrage muss dringend gelöst werden. Allerdings spricht auch einiges für die Verlängerung der Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke, das sehen auch in der SPD einige so. Allerdings glaube ich nicht, dass die SPD ihre offizielle Meinung ändert, auch nicht im Wahlkampf.

Und: Man muss vorsichtig sein, was im Wahlkampf versprochen wird. In Hessen wurden sehr ambitionierte Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien angepriesen, die vermutlich zumindest in der anvisierten Zeit schwer umzusetzen wären.

Sie haben Zweifel an Sonne, Wind und Co.?

Nein, wir brauchen die erneuerbaren Energien – um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, aber auch aus Klimaschutzgründen und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Aber selbst wenn die erneuerbaren Energien künftig ein Viertel zur Stromerzeugung beitragen, bleibt immer noch die Frage: Wie decken wir die übrigen 75 Prozent?

Der Ausbau hin zu 100 Prozent erneuerbarer Energien wird einige Zeit dauern, und vor allem muss man Energien speichern können, damit man auch erneuerbare Energien in Zeiten von wenig Wind und Sonne nutzen kann.

Was rät die Wissenschaftlerin?

Politiker, aber auch Unternehmer müssen Klartext sprechen: Wir steuern auf ein Energieversorgungsproblem zu. Energieversorger und Kommunalpolitiker sollten ihre Wähler und Kunden besser aufklären, wie man Wirtschaftswachstum und Klimaschutz zusammenbringen kann – etwa, indem man ein neues, effizientes Kohlekraftwerk baut und gleichzeitig an anderer Stelle, beispielsweise im Bereich der Gebäude oder Mobilität, Klimaschutz betreibt.

In der Rezession wird aber eher darüber debattiert, ob wir uns Klimaschutz überhaupt noch leisten sollen?

Die Finanzkrise ist natürlich ein Schock – aber so brutal es ist: Die Krise zeigt auch, wo vorher nicht in zukunftsweisende Märkte investiert wurde. So hat etwa die Autoindustrie mit ihren großen Karossen auf die falschen Produkte gesetzt.

Die Finanzkrise wird dazu führen, dass Zukunftsmärkte noch interessanter für Kapitalanleger werden. Die Krise trifft uns derzeit zwar hart – aber in der Zeit danach werden insbesondere die Branchen gut aufgestellt sein, die heute in die richtigen Märkte investieren.

In Ihrem gerade erschienenen Buch „Die andere Klima-Zukunft“ plädieren Sie für Innovation statt Depression. Bleiben Sie auch nach dem Börsencrash optimistisch?

Die Finanzkrise überschattet momentan die öffentliche Debatte. Kredite fehlen, viele kleine Mittelständler müssen die eine oder andere Investition verschieben. Aber es geht nicht allen schlecht: Die großen Konzerne sind die Gewinner dieser Krise, sie haben die nötige Liquidität, um jetzt in die richtigen Projekte zu investieren – etwa in Solar- und Windparks oder in Elektromobilität. Wer jetzt gut aufgestellt ist, kann sogar günstig Aktien kaufen.

Wie der Solarfabrikant Frank Asbeck, der mit seiner Offerte für Opel Schlagzeilen machte?

Okay, das war etwas skurril. Aber so schräg das auch klingt, es hat eine gewisse Symbolkraft: Die Solarindustrie ist in Deutschland sehr erfolgreich – auch weil sie stark gefördert wurde. Wir haben das Know-how für Solarzellen, die künftig auf Dächern in sonnenreichen Ländern liegen wie etwa in Saudi Arabien. Die Scheichs stellen sich auf die Zeit nach dem Öl ein und fragen gezielt deutsche Solartechnik nach.

Das zeigt doch: Als Weltmarktführer im Bereich Klimaschutztechnik profitieren wir von der weltweit steigenden Nachfrage. Klimaschutz ist kein Luxus in Boomzeiten – sondern unser Weg aus der Krise. Es muss nicht heißen: Erst einmal nicht. Sondern: Jetzt erst recht!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%