Umweltschutz Schwarzer Peter für die Landwirtschaft

2017 war ein Jahr des umweltpolitischen Stillstands. So beklagen es Umwelt- und Naturschutzverbände. Der Regierung mangele es an Ambitionen und Tatkraft, die Landwirtschaft verhindere Fortschritt. Wie wird 2018 aussehen?

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Die Trophäe „Dinosaurier des Jahres“ verleiht der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) jedes Jahr. Diesmal an den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes. Quelle: dpa

Berlin Alle Jahre wieder verleiht der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zwischen Weihnachten und Silvester den peinlichsten aller Umweltpreise: Den „Dinosaurier des Jahres“ für besonders rückschrittliches öffentliches Engagement in Sachen Natur- und Umweltschutz. In diesem Jahr trifft es Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Rukwied erhält den Preis für „seine rücksichtslose Blockade einer umweltfreundlichen Agrarreform“, wie es beim Nabu heißt.

„Die Öffentlichkeit ist erschüttert über die erneute Zulassung für Glyphosat, über zu viel Nitrat im Grundwasser und das drastische Insekten- und Vogelsterben – doch Herr Rukwied hält unbeirrt an seiner Linie fest, das System der Agrarpolitik mit milliardenschweren Blankoschecks vom Steuerzahler ohne Wenn und Aber zu verteidigen“, kritisierte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke.

Dabei ist genau dieses System hoch umstritten. „29 Prozent des EU-Haushalts fließen derzeit in pauschale, flächenbezogene Agrarsubventionen, die Landwirtschaft und Natur mehr schaden als nutzen“, sagt der Naturschutzverband WWF. Es brauche eine gezielte Förderung von Leistungen etwa im Naturschutz und ein Ende von Subventionen, die sich nur an der Größe der Betriebe orientierten. Umweltverbände haben wiederholt einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft gefordert und eine Verteilung der Agrargelder verlangt, die sich stärker an Nachhaltigkeits- und Umweltvorgaben orientierten.

Die EU-Agrarpolitik setzt sich aus zwei Säulen zusammen: Die erste Säule bilden die sogenannten Direktzahlungen an die Landwirte, die je Hektar landwirtschaftlicher Fläche gewährt werden. Die zweite Säule bilden gezielte Förderprogramme für die ländliche Entwicklung, wo auch auf Nachhaltigkeit und Tierschutz geschaut wird.

Allein in Deutschland stehen von 2014 bis 2020 jährlich rund 6,2 Milliarden Euro an EU-Fördermitteln zur Verfügung. Davon 4,85 Milliarden Euro in Form von Direktsubventionen. Nur 1,35 Milliarden Euro sind an bestimmte Leistungen gebunden. Insgesamt sind es in der Europäischen Union fast 60 Milliarden Euro, die jedes Jahr für Europas Bauern und den ländlichen Raum ausgegeben werden.

EU-Kommissar Phil Hogan hatte Ende November erste Pläne für die Förderperiode ab 2021 vorgestellt, in denen die Säulenstruktur zur Kritik von Umweltverbänden nicht angetastet wurde. Hogan wolle den einzelnen Ländern mehr Spielraum für die Verteilung der Gelder geben, damit sie auf soziale und ökologische Herausforderungen besser eingehen könnten, so der WWF. Fatalerweise fehlten in Hogans Vorschlag jedoch klare und verbindliche Ziele für die Mitgliedsstaaten. Ohne diese, fürchten Umweltverbände, werde es nichts mit mehr Effizienz und Naturverträglichkeit. Der Nabu forderte einen völligen Stopp der bisherigen Pauschalzahlungen. Tschimpke kündigte mit Blick auf eine mögliche weitere Große Koalition zwischen Union und SPD an, den öffentlichen Druck in den nächsten Monaten weiter zu erhöhen.

2017 war ein Jahr des umweltpolitischen Stillstands, kritisierte auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Der Bundesregierung warf sie ein Totalversagen bei der Luftreinhaltung, dem Natur- und Klimaschutz vor und kündigte an, verstärkt den Rechtsweg beschreiten zu wollen. Schwerpunkte für 2018 sei die Durchsetzung sauberer Luft für die Städte, die Reduzierung von CO2, Klimaschutz sowie eine ökologisch ausgerichtete Landwirtschaftspolitik.

Beim Klimaschutz sei es offensichtlich, dass es der Bundesregierung an Ambitionen und Tatkraft mangele, so der Vorwurf. Mehr als Ankündigungen habe Kanzlerin Angela Merkel auf der Klimakonferenz in Bonn nicht zu bieten gehabt. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH, warnte davor, dass Deutschland beim Klimaschutz weiter zurückfalle. Er forderte ein klimapolitisches Sofortprogramm, damit die verbindlichen Ziele für 2020 erreicht würden. Außerdem müssten die erforderlichen langfristigen Maßnahmen im Energie-, Wärme- und Verkehrssektor eingeleitet werden.


Der Kampf gegen den Diesel

Im Gebäudebereich wird aus Sicht der DUH ein erhebliches Potenzial zur Einsparung des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 verschenkt. Es mangele an gesetzlichen Rahmenbedingungen und einer Förderpolitik für einen sozialverträglichen Klimaschutz im Gebäudebereich. Zudem sei die Energiewende bislang vor allem eine Stromwende. Daher müssten mehr erneuerbare Energien im Wärmebereich zum Einsatz kommen.

In der Luftreinhaltepolitik hat die Bundesregierung nach Ansicht der DUH versagt und sich zu Recht mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU eingefangen. 2018, so die Ankündigung der DUH, werde man Diesel-Fahrverbote in bis zu 90 Städten durchsetzen. Eine Grundsatzentscheidung hierzu fällt das Bundesverwaltungsgericht Leipzig am 22. Februar. In Dutzenden deutschen Kommunen werden vor allem die Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickoxide regelmäßig überschritten. Um gegenzusteuern, war Ende November bei einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit betroffenen Bürgermeistern der Startschuss für konkrete Projekte für bessere Luft in den Städten gefallen. Dazu wurde ein Fonds mit einem Volumen von einer Milliarde Euro aufgelegt. Ein Viertel davon soll die Autobranche übernehmen.

Für ihren Kampf gegen die Diesel-Stickoxide erhalten 60 Städte bereits Geld vom Bund. Entsprechende Förderbescheide über insgesamt rund 12 Millionen Euro hatte der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) kurz vor Weihnachten in Berlin ausgegeben. Das Geld soll unter anderem für Elektrobusse investiert werden, zusätzliche Ladestellen für Elektroautos, den Bau von Radwegen und digitale Leitsysteme zur Vermeidung von Staus verwendet werden.

Die langsame Regierungsbildung sehen die Verbände durchweg mit Sorge. Einer Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen hätten Umweltschützer etwas abgewinnen können, weil die Grünen das Thema gepuscht hätten, auch wenn sie von den Liberalen in einem allzu forschen Auftreten gebremst worden wären. Von einer Großen Koalition versprechen sie sich mäßig viel.

Selbst Barbara Hendricks, seit Ende 2013 Bundesumweltministerin, forderte jüngst mehr Engagement von ihren Genossen in Umwelt- und Klimafragen. Ob sie damit erfolgreich sein wird, ist fraglich. Ihr Parteikollege, Außenminister Sigmar Gabriel, trat mit seiner im „Spiegel“ geäußerten Erkenntnis, „dass Umwelt- und Klimaschutz uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze“ gewesen seien, bereits wieder auf die Bremse. Dabei bezweifelt auch Hendricks keinesfalls die Bedeutung der Industrie in Deutschland. Sie warnt allerdings davor, die Gefährlichkeit des Klimawandels auch für die deutsche Wirtschaft zu unterschätzen. SPD-Chef Martin Schulz bekannte sich zu den deutschen Klimazielen 2020 und positionierte sich damit auch gegen die Verstromung von Braunkohle. Allerdings dürfe der Kohleausstieg nicht auf der Kosten der Versorgungssicherheit oder der Beschäftigten gehen, sagte er. Es müsse ein Ende damit haben, dass Umweltschutz gegen Industriepolitik ausgespielt werde.

Das Klimaziel 2020 sieht vor, den CO2-Ausstoß bis 2040 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Ohne kräftiges Gegensteuern wird die Bundesregierung das Ziel aber nicht erreichen können. Die Gespräche zwischen Union und SPD werden sich deshalb auch darum drehen, welche Maßnahmen eine künftige Regierung ergreift, um das Klimaziel zu sichern und wie engagiert ein Ausstieg aus der Braunkohleverstromung angegangen wird.

Auch um die künftige Agrarpolitik wird gerungen werden. Die deutsche Bevölkerung, das ergab jüngst eine repräsentative Onlineumfrage der Forschungsgruppe Civey im Auftrag von Greenpeace, erhofft sich jedenfalls mehrheitlich einen höheren Stellenwert des Klimaschutzes. Es sei für die internationale und nationale Glaubwürdigkeit immer wichtiger, angekündigte Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, mahnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Das sollten auch die zukünftigen Regierungspartner in Deutschland nicht aus den Augen verlieren.“

„Wir müssen uns über das Ausmaß der vor uns liegenden Herausforderung bewusst sein“, sagte Hendricks kurz vor Weihnachten auf dem Global Landscape Forum in Bonn, auf dem es unter anderem um die Renaturierung degradierter Landschaften weltweit ging. „Nur weil sich die internationale Gemeinschaft zum Beispiel auf der Pariser Klimakonferenz auf das Zwei-Grad-Ziel geeinigt hat, heißt das noch nicht, dass jetzt alle an einem Strang ziehen“, prophezeite Hendricks auch für die jährlichen Klimaverhandlungen, die 2018 in Polen stattfinden werden. Man werde auch in Zukunft um Formulierungen ringen. Vor zwei Jahren, im Dezember 2015, war in Paris das Weltklimaabkommen verabschiedet worden. Es sieht vor, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im vorindustriellen Vergleich zu begrenzen. Derzeit befindet sich die Welt eher auf einem Drei-Grad-Kurs.

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