Undercover im Flüchtlingsheim "Man wurschtelt sich so durch"

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Die Luft wird schlechter

Wenige Tage später beginnt mein erster Arbeitstag. Zunächst soll ich mir einen ersten Eindruck vom Deutschkurs um 15 Uhr verschaffen. Bei meinem Eintreffen zehn Minuten vor Beginn steht der Unterrichtsablauf noch nicht fest.

„Mal sehen was ich mit denen heute mache“, sagt der Sozialpädagoge, nennen wir ihn einfach Patrick Schuster. Er blättert durch seine Unterlagen. Dazu ein zerknittertes blaues Hemd und eine eng anliegende Khaki-Hose. Schuster arbeitet Vollzeit für European Homecare. Sein Praktikum hat er im Obdachlosenheim gemacht. Schwerpunkt: Suchtverhalten. „Aber das macht dich irgendwann kaputt. Die meisten nehmen eh wieder Drogen. Hier gibt es wenigstens den ein oder anderen Hoffnungsschimmer”, verkündet er und runzelt die Stirn.

Der Weg in den Klassenraum führt die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Die Schüler kommen aus Syrien, Marokko, den Balkanstaaten. Schuster kennt die Länder nur von der Weltkarte. Die meisten sind Anfang 20, zu alt um eine richtige Schule zu besuchen.

Gegen fünf nach drei schlendert der Lehrer gemächlich ins Klassenzimmer. „Die Blätter habt ihr?“, eröffnet er den Unterricht auf Deutsch. Verständnislos blicken die Schüler ihn an, bis er auf die Übungsblätter zeigt. Heute sind die Grundverben dran: Haben und Sein.

Um viertel nach drei schlurfen weitere Schüler in Badelatschen herein. Langsam füllen sich die Bänke. „Mit genauen Uhrzeiten haben Sie es nicht so“, erklärt der Sozialpädagoge achselzuckend. Während ein Schüler laut das Verb „sein“ konjugiert, versinkt er vorne am Tisch in seinen Papieren, vergleicht die Konjugationen der Schüler mit seinen Lösungsblättern: „Alles kann man auch nicht immer wissen. Ich bin ja auch kein ausgebildeter Lehrer. Man wurschtelt sich halt so durch“, erklärt er mir. Dann verbessert er die Fehler an der Tafel.

Die Luft im Klassenraum wird schlechter. Nur ein einziges Fenster lässt sich halb öffnen, die Tafel steht im Weg. Patrick Schuster stört sich nicht dran und fragt die Schüler weiter ab. Um zehn vor vier hat er genug. „Feierabend, auf jeden Fall für mich“, sagt Schuster und beendet den Unterricht hastig. Schnell packt er seine Sachen zusammen. Er rennt vorbei an den Männern von der Security, die vor dem Klassenraum stehen. Seine Schüler schlurfen hinterher. Nachdenklich laufe ich nach draußen.

WirtschaftsWoche-Volontärin Nena Schink arbeitete über einen Zeitraum von zwei Wochen als ehrenamtliche Helferin undercover in dem Flüchtlingsheim. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes werden der Ort und die richtigen Namen der Mitarbeiter und anderer Ehrenamtlicher nicht genannt.

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