Undercover im Flüchtlingsheim "Man wurschtelt sich so durch"

European Homecare betreibt im Auftrag der Landesregierungen Flüchtlingsheime. Dafür erhält das Unternehmen viel Geld. Unsere Reporterin hat sich als ehrenamtliche Helferin eingeschleust und die Zustände dort erlebt.

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European Homecare in der Kritik? Quelle: dpa Picture-Alliance

Zwei Männer von der Security versperren mir den Weg. Sie qualmen, wollen meinen Ausweis sehen. Mürrisch blicken Sie auf mich herab. Dann begleiten sie mich ins Foyer des Flüchtlingsheimes.

Dort lungern ein paar Jugendliche herum. Die Kinder spielen Fangen, im Hintergrund läuft ein alter Fernseher. Der Koordinator des Flüchtlingsheimes begrüßt mich. Sein Hemd spannt über seinem Bauch, seine Goldkette lugt hervor. Während er mich zu den Aufzügen führt, erzählt er gleich, dass European Homecare ein gewinnorientiertes Unternehmen sei, aber das sei die Caritas schließlich auch. Stimmt zwar nicht, aber ich belasse es dabei.

Er fährt fort. Eigentlich gehe es allen Organisationen doch nur um das eine: Geld. Das müsse schließlich erst einmal verdient werden.

Eine vierstellige Summe pro Kopf bekommen Firmen wie European Homecare von den Landesregierungen und Kommunen, um Flüchtlinge unterzubringen und zu betreuen. Die genaue Höhe kann je nach Land und Kommune variieren. Leisten Sie dafür genug? Gerade dieses Unternehmen hat einen zweifelhaften Ruf. European Homecare wird bezichtigt, Flüchtlinge mangelhaft unterzubringen. Ob das stimmt, wollte ich herausfinden.

Die Aufzüge, die uns zum Büro bringen sollen, sind deaktiviert. Der Leiter steckt seinen Schlüssel in die Vorrichtung. „Irgendwo muss man ja anfangen zu sparen. Wenn alle Aufzüge in Betrieb wären, das wäre wirklich zu teuer“, erklärt er mir. Frauen und Kinder dürfen natürlich mal den Aufzug benutzen. „Unsere Security-Männer begleiten sie dann“, erklärt er. „Die jungen Männer können ja wohl die paar Stockwerke in ihre Mehrbettzimmer hochlaufen.“

In den schummrigen Gängen des vierten Stockwerks streichelt er ab und zu einem Kind über den Kopf. Eine Gruppe Afrikaner sitzt in einer Ecke. Sie starren apathisch auf ihre Handys. Das Büro des Koordinators gleicht einer Abstellkammer. Die Farbe blättert von den Wänden ab. „Sie wollen also als Ehrenamtliche hier arbeiten?“, beginnt er das Vorstellungsgespräch. Nach fünfzehn Minuten ist alles bereits beendet: erfolgreich.

Im Schnelldurchlauf werden mir danach die Aufenthaltsbereiche der Flüchtlinge gezeigt. Der sogenannte „Activity-Raum“ ist zuerst an der Reihe. Ein Schild mit der Aufschrift „Behandlungszimmer“ erinnert an die Vergangenheit. „Hier können sich die Flüchtlinge mal so richtig austoben. Der Raum ist natürlich für alle da: Frauen, Männer Kinder“, verkündet mein neuer Chef. Mehr als ein alter Kicker, ein zerfledderter Box-Sack und ein abgenutztes Trimm-dich-Rad passen nicht in den 15 Quadratmeter großen Raum. Die Fenstergriffe sind abmontiert. Nach der kurzen Begehung wird das Zimmer schnell wieder abgeschlossen – ein Flüchtling könnte den „Activity-Raum“ ja unbefugt betreten.

Im ersten Stockwerk befindet sich die Kinderstube. Auch diese ist abgeschlossen. Kinder folgen uns, der Heimleiter scheucht sie weg: „Die Kinder kennen die Zeiten, aber sie versuchen es immer wieder“, erklärt er lächelnd, dann bringt er mich zurück ins Foyer. Beim Verlassen des Flüchtlingsheimes sehe ich dieselben Menschen wie vor zwei Stunden. Sie haben ihren Platz offenbar nicht einmal verlassen.

Die Luft wird schlechter

Wenige Tage später beginnt mein erster Arbeitstag. Zunächst soll ich mir einen ersten Eindruck vom Deutschkurs um 15 Uhr verschaffen. Bei meinem Eintreffen zehn Minuten vor Beginn steht der Unterrichtsablauf noch nicht fest.

„Mal sehen was ich mit denen heute mache“, sagt der Sozialpädagoge, nennen wir ihn einfach Patrick Schuster. Er blättert durch seine Unterlagen. Dazu ein zerknittertes blaues Hemd und eine eng anliegende Khaki-Hose. Schuster arbeitet Vollzeit für European Homecare. Sein Praktikum hat er im Obdachlosenheim gemacht. Schwerpunkt: Suchtverhalten. „Aber das macht dich irgendwann kaputt. Die meisten nehmen eh wieder Drogen. Hier gibt es wenigstens den ein oder anderen Hoffnungsschimmer”, verkündet er und runzelt die Stirn.

Der Weg in den Klassenraum führt die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Die Schüler kommen aus Syrien, Marokko, den Balkanstaaten. Schuster kennt die Länder nur von der Weltkarte. Die meisten sind Anfang 20, zu alt um eine richtige Schule zu besuchen.

Gegen fünf nach drei schlendert der Lehrer gemächlich ins Klassenzimmer. „Die Blätter habt ihr?“, eröffnet er den Unterricht auf Deutsch. Verständnislos blicken die Schüler ihn an, bis er auf die Übungsblätter zeigt. Heute sind die Grundverben dran: Haben und Sein.

Um viertel nach drei schlurfen weitere Schüler in Badelatschen herein. Langsam füllen sich die Bänke. „Mit genauen Uhrzeiten haben Sie es nicht so“, erklärt der Sozialpädagoge achselzuckend. Während ein Schüler laut das Verb „sein“ konjugiert, versinkt er vorne am Tisch in seinen Papieren, vergleicht die Konjugationen der Schüler mit seinen Lösungsblättern: „Alles kann man auch nicht immer wissen. Ich bin ja auch kein ausgebildeter Lehrer. Man wurschtelt sich halt so durch“, erklärt er mir. Dann verbessert er die Fehler an der Tafel.

Die Luft im Klassenraum wird schlechter. Nur ein einziges Fenster lässt sich halb öffnen, die Tafel steht im Weg. Patrick Schuster stört sich nicht dran und fragt die Schüler weiter ab. Um zehn vor vier hat er genug. „Feierabend, auf jeden Fall für mich“, sagt Schuster und beendet den Unterricht hastig. Schnell packt er seine Sachen zusammen. Er rennt vorbei an den Männern von der Security, die vor dem Klassenraum stehen. Seine Schüler schlurfen hinterher. Nachdenklich laufe ich nach draußen.

WirtschaftsWoche-Volontärin Nena Schink arbeitete über einen Zeitraum von zwei Wochen als ehrenamtliche Helferin undercover in dem Flüchtlingsheim. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes werden der Ort und die richtigen Namen der Mitarbeiter und anderer Ehrenamtlicher nicht genannt.

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