Kritikfähigkeit ist Autofahrern in Deutschland wenig gegeben. Zwar beobachten fast alle Befragten ein zu dichtes Einscheren anderer Autos oder dreistes Vorbeiziehen an Kolonnen. Aber nur ein Fünftel gibt zu, das auch schon einmal gemacht zu haben. 97 Prozent haben auch gesehen wie Radfahrer zu dicht überholt werden. Aber 95 Prozent schwören, dass sie immer besonders viel Rücksicht auf Radler nehmen. Unfallforscher Brockmann erklärt sich diesen Widerspruch mit einer falschen Selbstwahrnehmung bei Autofahrern und einem unerschütterlichen Glauben an die eigenen Fähigkeiten.
Unfälle
Dass die Selbstwahrnehmung, immer gut zu fahren, oft täuscht, zeigt die Unfallstatistik. Die meisten Crashs bauen nach der Umfrage jene Autofahrer, die besonders rücksichtslos unterwegs sind. Sie kassieren auch die meisten Strafen bis hin zu Fahrverboten. „Es trifft die Richtigen, aber die Strafen führen nicht zu einem weniger riskanten Verhalten“, bilanziert Brockmann. „Die Einsicht fehlt. Der Glaube, gut zu fahren, ist immer größer.“
Senioren
Vorsicht als Tugend im Straßenverkehr erreicht mit mehr als 80 Prozent Zustimmung einen hohen Wert in der Umfrage, dicht dahinter liegen Wachsamkeit, Aufmerksamkeit und Kenntnis der Regeln. Aber ab 70 Jahren geht der Studie zufolge die Wertschätzung all dieser Tugenden deutlich zurück. „Wahrscheinlich glauben Senioren, dass ihnen ihre Erfahrung hilft. Dabei ist eine Selbstüberschätzung möglich“, sagt Brockmann. Die Quittung dafür bekommen ältere Autofahrer in der Studie: Mehr als zwei Drittel der Befragten sprechen sich für einen Fahrtauglichkeitstest ab 75 Jahren aus. Einzig die Senioren stimmen solchen Vorschlägen nicht zu. „Mit Blick auf die schweren Unfälle älterer Autofahrer haben die Leute auch hier eine realistische Einschätzung“, urteilt Brockmann.
Schöner flunkern?
Im Vergleich zu 2010 bekennen sich deutlich weniger Autofahrer zum Handy am Steuer. 80 Prozent geben an, niemals ohne Freisprechanlage zu telefonieren. Und nur fünf Prozent geben zu, bei der Fahrt SMS oder E-Mails zu lesen. Obwohl die Risiken gut bekannt sind, glaubt Unfallforscher Brockmann nicht an den großen Bewusstseinswandel. „Das hat mit der Realität wenig zu tun“, betont er. „Wir halten das für einen Effekt von sozialer Erwünschtheit bei Befragungen.“