Union und SPD kippen Klimaziel „Die Politik sollte nicht mit unserem Klima zocken“

Die Sondierer von Union und SPD haben das deutsche Klimaziel für 2020 gekippt und nehmen stattdessen 2030 in den Fokus. Angedacht ist ein Klimaschutzgesetz. Umweltverbände und Opposition reagieren mit harscher Kritik.

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SPD, CDU und CSU: Groko-Sondierer kippen Klimaziel Quelle: dpa

Berlin Noch nach den Bundestagswahlen im September hielt Angela Merkel (CDU) am Klimaziel 2020 fest. Sie wolle sich, betonte die Kanzlerin im Oktober auf dem Kongress der Gewerkschaft IG BCE, „nicht vom Ziel verabschieden“. Vielmehr werde das Klimaziel in den kommenden Koalitionsverhandlungen eine große Rolle spielen. Ungewohnte Konstellationen hätten die Chance, bisher „unlösbare Dinge einer Lösung zuzuführen“, erklärte sie mit Blick auf die damals bevorstehenden Sondierungsgespräche der Union mit FDP und Grünen. Auf der Weltklimakonferenz im November in Bonn sprach die Kanzlerin von „einer zentralen, wenn nicht der zentralen Herausforderung der Menschheit“. Der Klimawandel sei „für unsere Welt eine Schicksalsfrage“.

Inzwischen hat sich die Lage geändert. Zwar ist die Herausforderung nicht weniger dringlich geworden, doch nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen sprechen Union und SPD darüber, ob sie eine Neuauflage der Großen Koalition verhandeln sollten. Ein Ziel bleibt dabei auf der Strecke: das Klimaziel. So heißt es zwar vollmundig im Ergebnispapier der Sondierungsarbeitsgruppe Klimaschutz, Energie und Umwelt, dass Deutschland sich zu den beschlossenen Klimaschutzzielen für 2020 bekenne, das Ziel aber aus heutiger Sicht nicht erreicht werde.

Opposition und Umweltverbände reagierten harsch. Die Aufgabe des 2020-Klimazieles sei Ausdruck des klimapolitischen Versagens der Großen Koalition über die letzten vier Jahre, sagt Grünen-Klimaexpertin Annalena Baerbock, die Ende des Monats Parteichefin werden will. Anja Piel, ebenfalls Kandidatin für den Vorsitz der Grünen, erklärt, das sei nicht nur „fürs Klima, für Deutschland, eine völlig absurde Entscheidung, sondern schafft auch eine Innovationsbremse, die Arbeitsplätze kosten wird und Deutschland nicht zukunftsfähig macht“.

Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Martin Schulz hätten im Wahlkampf das Einhalten des Ziels versprochen, das müssten sie jetzt einlösen, forderte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Greenpeace sprach den möglichen Koalitionären politischen Ehrgeiz und ökologische Verantwortung ab, wenn sie schon nach ein paar Stunden vor dem deutschen Klimaziel kapitulierten. „Natürlich kann Deutschland das 2020-Klimaziel erreichen, dazu braucht es alleine politischen Mut“, sagte Greenpeace-Energieexperte Tobias Austrup.

Die „Glaubwürdigkeit bei Investoren und internationalen Partnern“, sieht Karsten Neuhoff in Gefahr, Abteilungsleiter Klimapolitik des DIW Berlin. „Die Politik sollte mit unserem Klima nicht zocken: Sie muss klare Strukturen schaffen, damit alle Akteure dem öffentlichen Auftrag zum Klimaschutz gerecht werden.“ Neue Emissionsminderungsziele müssten klar definiert sein, fordert der Wirtschaftsforscher. „Ohne klar definierte Pfade versanden politische Initiativen.“

Vorgesehen war, die klimaschädlichen Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Dass dieses Ziel von der Bundesregierung nur noch schwerlich zu erreichen war, zeichnete sich bereits seit Monaten ab. Sollte es eine neue Große Koalition geben, soll ein weiteres Maßnahmenpaket vereinbart werden, mit dem die Lücke so weit wie möglich geschlossen und das Ziel Anfang der 2020er Jahre erreicht werde, heißt es in dem Sondierungspapier, das dem Handelsblatt vorliegt. Zugleich soll das Ziel 2030 in den Blick genommen werden – eine Reduzierung von mindestens 55 Prozent der klimaschädlichen Emissionen im Vergleich zu 1990.


Kommissionen sollen es nun richten

Eine Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ soll bis Ende 2018 ein Aktionsprogramm für die Bereiche Energie, Verkehr und Bau erarbeiten, das auch einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung umfasst. Auf dieser Grundlage dann soll ein Gesetz verabschiedet werden, das die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleistet. Anders als das Ziel für 2020 ist das 2030er-Ziel auch europarechtlich und das Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich bindend.

Vor allem was den Kohleausstieg angeht, waren die Sondierer um eine mögliche Jamaika-Koalition ehrgeiziger gewesen. Hier war zuletzt sogar erwogen worden, Kraftwerke mit einer Kapazität von sieben Gigawatt abzuschalten. Von diesem Ehrgeiz ist jetzt nichts mehr zu spüren. Verhandlungsführer der Arbeitsgruppe für die CDU war NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), Regierungschef eines Landes, in dem die Braunkohleverstromung noch immer eine große Rolle spielt. Auch die SPD ist beim Thema Kohleausstieg zurückhaltend – stellt sie doch den Ministerpräsidenten in Brandenburg, ebenfalls eines kohlereichen Bundeslandes.

Die Abkehr von der schädlichen Kohle bleibe zumindest durch eine Kohleausstiegskommission auf der Tagesordnung, versuchte Michael Schäfer, Leiter des Fachbereichs Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland, der Vereinbarung wenigstens etwas Gutes abzugewinnen. Positiv sei auch, dass die Verhandler endlich ein Klimaschutzgesetz beschließen wollten. Ein konkreter Ansatz für eine wirksame CO2-Bepreisung aber fehle, kritisierte der WWF.

Grünen-Politiker Robert Habeck, derzeit noch Umweltminister in Schleswig-Holstein, aber Kandidat für den Parteivorsitz der Ökopartei, warf Union und SPD vor, den Klimaschutz zu vernachlässigen. „Wer kämpft in der Großen Koalition für den Kohleausstieg oder für eine wirkliche Verringerung des CO2-Ausstoßes, auch im Verkehr? Da ist niemand, den ich kenne“, sagte Habeck der Nachrichtenagentur dpa.

Dass der Kohleausstieg in eine Kommission verschoben werden solle, werde dazu führen, dass die Emissionen in Deutschland ein weiteres Jahr nicht sinken würden, sagte Grünen-Klimaexpertin Baerbock. „Durch viele schöne Ankündigungen wird noch keine Tonne CO2 eingespart.“ Der Bund für Umwelt und Naturschutz forderte erneut, bis 2020 die dreckigsten Kohlekraftwerke stillzulegen. „Klimapolitik braucht jetzt Mut, das erwarten wir von der neuen Regierung.“

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