
Den Ärger der Fluglinien über wachsende Lärmschutzauflagen kann Egon Behle gut verstehen. „Umweltauflagen dürfen nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zulasten des Standorts Deutschland führen“, warnt der scheidende Chef des Münchner Triebwerksherstellers MTU. Doch die Vorschriften bescheren dem Unternehmen auch wachsende Umsätze. Denn den Zwang zu mehr Ruhe in Flughafennähe können Airlines und Airports nur erfüllen, wenn sie neue Flugzeuge kaufen, die dank neuer Turbinen mit MTU-Technik nur halb so laut sind wie heutige Maschinen.
Die Nachfrage ist so groß, dass MTU den Umsatz bis 2020 auf rund sechs Milliarden Euro verdoppeln will. Die PW1000G genannte Turbine machte MTU zum Sieger im Deutschen Innovationspreis, den die WirtschaftsWoche Ende April zusammen mit Accenture, dem Versorger EnBW und dem Chemiekonzern Evonik vergeben hat.
Einen ähnlichen Schub verschafft der Lärmschutz auch anderen Unternehmen. So verzeichnet der deutsch-französische Flugzeughersteller Airbus allein im ersten Quartal 2013 Aufträge von fast 50 Milliarden Euro, das Gros davon für die neue A320neo genannte, deutlich leisere Flugzeugfamilie.
Deutschlands Lärmquellen in Dezibel
Stille
Schneefall
Ticken einer Taschenuhr
Flüstern
Kühlschrank
Leises Gespräch, ruhiger Bach
Optimaler Schutz laut Deutscher Gesellschaft für Akustik: 50 dB tagsüber und 40 dB nachts
Normales Gespräch
Zielwerte des Umweltbundesamts und der WHO: 65 dB tagsüber und 55 dB nachts
Lautes Gespräch, Rasenmäher, sieben Meter entfernt
Grobe Richtschnur für Richter: 70 dB tagsüber und 60 dB nachts gelten meist als zumutbar
Starker Straßenverkehr, laute Radiomusik
Unzumutbare Dauerbelastung: 75 dB Lärm gilt unter Experten als langfristig nicht mehr tolerierbar
Airbus A319 in 450 Meter Höhe, Presslufthammer, Güterzug
Alter Güterzug, Boeing 747 in 450 Meter Höhe
Alter Güterzug auf schlechten Schienen
Kampfjet in sieben Meter Entfernung
Schmerzgrenze
Von den Schallschutzmaßnahmen der Flughäfen für Anwohner profitieren Hersteller wie die Schweizer Egokiefer. Bis zu 500 Euro pro Stück kosten die Schallschutzfenster, die etwa der Frankfurter Flughafen im Rahmen des Ausbaus finanziert – insgesamt gut 100 Millionen Euro.
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Der Zwang zur Stille ist auch für Hersteller von Lärmschutzwänden an Flughäfen, Schnellstraßen und Bahnstrecken profitabel. Einer der wenigen Allrounder unter ihnen ist die Stuttgarter ED. Züblin aus dem österreichischen Strabag-Konzern, die Lärmschutzwand-Systeme aus Beton, Aluminium oder Holz herstellt. Die Konkurrenten sind meist Mittelständler wie Schütte aus Ganderkesee bei Bremen, mit gut 100 000 verbauten Quadratmetern Marktführer für meist an Bahnstrecken verbaute Aluminium-Lärmschutzwände. Eine Tochter des Essener Evonik-Konzerns stellt Acrylglas-Elemente für Lärmschutzwände her.
Auf 220 bis 250 Millionen Euro schätzt der Deutsche Verband für Lärmschutz an Verkehrswegen in Bonn den Umsatz der Branche. Verbandschef Hartmut Basanow erwartet, dass „das Geschäftsvolumen mittelfristig steigt“. Rund 100 Millionen Euro steckt allein die Bahn seit 2007 pro Jahr in Lärmschutzwände und -fenster, deren Einbau sie Anwohnern von Bahnstrecken bezahlt. Laut Basanow machen Bahn-Aufträge heute drei Viertel des Marktvolumens aus.